BMF-Interview

„Die neuen Entwicklungen zu Pillar 1 und 2 geben Hoffnung“

Stefan Greil ist Referent im Bundesfinanzministerium und dort seit Kurzem vor allem für die Themen Informationsaustausch und internationale Zusammenarbeit im Steuerbereich tätig. Vor seinem internen Wechsel lag sein Schwerpunkt im Ministerium vor allem bei der internationalen Unternehmensbesteuerung und dem Außensteuerrecht. Im Interview mit JUVE Steuermarkt spricht Greil über die wachsende Bedeutung von Verrechnungspreisen, die Notwendigkeit von Verständigungsverfahren und darüber, wieso die Politik bei Pillar 1 und Pillar 2 nach wie vor nicht vorankommt.

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Stefan Greil
Stefan Greil

JUVE Steuermarkt: Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Verrechnungspreisprojekte der vergangenen Jahre?
Stefan Greil: Das sind vor allem die BEPS-Aktionspunkte 8 bis 10 sowie deren entsprechend geplante Umsetzung im Außensteuergesetz und in Verwaltungsanweisungen. Was sich in den beiden letzteren vor allem widerspiegelt ist die stärkere Ausrichtung des Fremdvergleichsgrundsatzes an die OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Mit diesen wird es eine abgestimmte Interpretation auf internationaler Ebene gegeben, um Doppelbesteuerung und doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden. Würde man sich nicht daran orientieren und eine eigenständige Interpretation an den Tag legen, wäre die Konsequenz, dass die Anzahl von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten zunehmen würde. Und das sollte vermieden werden, wir wollen Verständigungsverfahren nicht künstlich schaffen.

Deutschland ist in Sachen Verständigungsverfahren absoluter Spitzenreiter im OECD-Vergleich. Und wiederum mehr als ein Drittel dieser Verfahren haben einen Bezug zu Verrechnungspreisen. Geht es Ihnen nur um Vermeidung? Oder muss man hier nicht auch an eine Reduzierung der Verfahren denken?
Es geht sicher in beide Richtungen. Zunächst zeigt sich an dieser Zahl auch die wachsende Bedeutung von Verrechnungspreissachverhalten in der internationalen Besteuerungspraxis. Dabei ist es sicherlich auch interessant, genau zu schauen, wie sich die Verfahren zusammensetzen bzw. woher sie resultieren. Wer hat zum Beispiel die Erstkorrektur vorgenommen, die ausländische Betriebsprüfung oder die inländische? Welche Sachverhalte liegen den Verfahren zugrunde und zeichnen sich besonders streitanfällig aus? Zudem: Wir sind eine der größten Exportnationen der Welt, da wundert es kaum, dass wir auch bei Verständigungsverfahren Weltmeister sind. Im Gegenteil: Es ist sogar für mich verwunderlich, dass es nicht noch mehr Verfahren sind. Und man kann die Zahlen auch positiv deuten: Man hat wohl großes Vertrauen in den deutschen Fiskus, dass die Doppelbesteuerung vermieden wird, sodass man sich eben auf Verständigungsverfahren einlässt. Es ist also zwar möglich, die Verfahren zu reduzieren, in dem wir unterschiedliche Interpretationen über einen international abgestimmten Grundsatz vermeiden. Aber uns geht es auch darum, eine Lösungsfindung in den Verständigungsverfahren zu erleichtern. Denn spätestens in einem Schiedsverfahren wird sich das ‚Schiedsgremium‘ nur noch mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien auseinandersetzen und anhand dessen einen Schiedsspruch fällen, der dann national gemäß § 175a AO umzusetzen ist. Wir würden nichts gewinnen, sondern insbesondere aufgrund der Zinsproblematik eher noch finanziell verlieren, und ineffiziente Verfahrensweisen schaffen, wenn wir Interpretationen an den Tag legen, die international nicht haltbar sind.

Insgesamt wird es aber doch trotzdem komplizierter. Die aktuellen Verwaltungsgrundsätze sehen zum Beispiel vor, dass auch E-Mail-Korrespondenzen zukünftig in die Dokumentationen einfließen sollen. Was steckt hinter dieser Veränderung und wie gehen Sie mit Kritik um, dass dies für Unternehmen nicht zu leisten sei?
Ich kenne die Kritik, ich muss aber doch widersprechen. Zum einen befindet sich die Aussage in den Ausführungen zu §90 Absatz 2 der Abgabenordnung und gehört damit schon mal nicht zur sog. Verrechnungspreisdokumentation. Es handelt sich auch um keinen Automatismus, dass nun alle E-Mails unmittelbar offenzulegen sind. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Mails nur verlangt werden, soweit diese geschäftliche Inhalte aufweisen. Wir können doch nicht einfach ignorieren, dass wir von der analogen in die digitale Welt wechseln. Der typische Geschäftsbrief wird heute von der Mail ersetzt. Darauf zielt die Randnummer 13 der Verwaltungsgrundsätze 2020 ab und gibt eigentlich auch nur das wieder, was seit Jahren bekannt ist und gilt. Und es wird in Zukunft auch für alle Beteiligten hilfreich sein, da Verrechnungspreisprüfungen effizienter durchgeführt werden können. Denn digitale Kommunikationswege erleichtern es, objektiv festzustellen, wer mit wem Geschäfte gemacht hat und wer welche Funktionen übernimmt und Risiken trägt.

Ist die Dokumentation in Papierform überhaupt noch zeitgemäß?
Ich glaube, ‚gedruckt und gebunden‘ ist nach wie vor ‚state of the art‘. Aber irgendwann wird auch das überwunden werden. Die Unternehmen verfügen doch schon über alle Informationen in digitaler Form. Und darin liegt die Zukunft. Wieso müssen digitale Informationen in analoge Informationen umgewandelt werden, was zwangsläufig mit einer Fehleranfälligkeit einhergeht? Eine digitale Verrechnungspreisdokumentation wird nach meinem Dafürhalten mit Sicherheit eingeführt werden. Sie ist eine der zwingenden Voraussetzungen für eine zeitgerechte und zutreffende Besteuerung. Zudem führte eine solche Dokumentation zu der notwendigen und gebotenen Standardisierung.

Die Maßnahmen zur Corona-Pandemie haben auch viele Verrechnungspreissysteme durcheinandergebracht. Wie stehen Sie zum Positionspapier der OECD vom Dezember 2020? Ist das ausreichend bezüglich der Kommentare zu Praktiken des Fremdvergleichsgrundsatzes oder müsste noch mehr passieren?
Grundsätzlich finde ich, dass über die OECD-Verrechnungspreisleitlinien Krisen an sich bereits erfasst werden. Das heißt: Ein solches Schreiben wäre meines Erachtens gar nicht notwendig gewesen. Es gab aber wohl den praktischen Bedarf. Und in relativ kurzer Zeit hat man dann ein entsprechendes Papier verfasst, was in Einklang mit den bisherigen Leitlinien liegt. Insgesamt ist es also durchaus sachgerecht ausgefallen. Allein die Überlegung, wie überall auf der Welt die entsprechenden Unterstützungsprogramme funktionieren und zu berücksichtigen wären, kann man weder in den Leitlinien noch in einem ergänzenden Schreiben darstellen. Es bleibt halt wie immer im Fremdvergleich bei dem Grundsatz, dass man sich den einzelnen Sachverhalt und die dazugehörigen Bedingungen und Umstände sehr genau anschauen muss, um eine zutreffende Würdigung treffen zu können. Die OECD-Verrechnungspreisleitlinien geben einem dafür zumindest ein Werkzeug an die Hand, sich der Lösung einvernehmlich nähern zu können.

Weiterhin gibt es keinen Konsens über Pillar 1 und Pillar 2. Wo hakt es derzeit, und was sind die nächsten Schritte?
Dass es hakt, hat eigentlich einen sehr einfachen und erklärlichen Grund: Sie haben über 130 Staaten mit unterschiedlichen Interessen an einem Tisch, die über die Neuallokation von Besteuerungsrechten und eine effektive globale Mindestbesteuerung reden. Und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass dabei alle Staaten gewinnen werden. Dafür müsste der Steuerkuchen und damit die Bemessungsgrundlage vergrößert werden. Das erfolgt bei der Mindestbesteuerung ja sogar. Aber bei Pillar 1 werden Besteuerungsrechte schlicht umverteilt; der Steuerkuchen wächst dadurch grundsätzlich nicht. Auf OECD-Ebene wird daher intensiv diskutiert, um Kompromisslösungen zu finden. Dabei handelt es sich um komplexe technische, aber auch hochpolitische Fragen. Ich denke aber, dass mit den neueren Entwicklungen, insbesondere in den USA, man diesbezüglich nun wieder hoffnungsvoller in die Zukunft blicken kann.

Wieso?
Unter Präsident Joe Biden haben die US-Amerikaner ihre Idee eines Safe-Harbour-Ansatzes bei Pillar 1 abgelegt. Eine Folge daraus ist, dass der Weg für einen Kompromiss wieder in greifbare Nähe gerückt ist. Das hat die neue US-Finanzministerin Janet Yellen sehr deutlich gemacht. Und das ist ein wichtiger Schritt bei der Diskussion zur Umverteilung und Mindestbesteuerung auf internationaler Ebene.  

Das Gespräch führte Daniel Lehmann.

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