Gerade in den vergangenen Jahren sind die wirtschaftlichen Beziehungen mit der Ukraine deutlich enger geworden – sei es in der Agrar- und der Automobilindustrie oder auch in der IT-Branche. Zahlreiche deutsche Unternehmen haben Tochtergesellschaften oder Werke in der Ukraine, die nun aufgrund des Krieges nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt arbeitsfähig sind. Neben der Sorge um die Sicherheit der Mitarbeiter stellen sich dabei auch Fragen nach den wirtschaftlichen Folgen. Im Russland-Geschäft sind es derweil vor allem die Sanktionen, die das Geschäft deutscher Unternehmen beeinflussen. All dies hat erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Unternehmen – und damit auch die Verrechnungspreise.
„Lieferketten sind teils unterbrochen und zu verzeichnende Preissprünge beeinflussen die gesamte Wertschöpfungskette. Multinationale Unternehmen müssen von daher prüfen, wie sich die Folgen des Krieges auf das jeweilige Verrechnungspreissystem insgesamt sowie auf bestehende Vertragsregelungen im Einzelnen auswirken und welche Vertragsanpassungen erforderlich sind“, erläutert Gertud Bergmann, Verrechnungspreispartnerin bei Mazars in Berlin: „Die Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes stellt multinationale Unternehmen in dieser Krisensituation bei der praktischen Umsetzung vor besondere Herausforderungen; insbesondere im Bereich der Vergleichbarkeitsanalysen, bei Verlusten einzelner Gesellschaften, zum Beispiel auch von Routinegesellschaften, der Aufteilung der krisenbedingten spezifischen Kosten oder bei drohenden Enteignungen oder staatlich vorgegebenen Preissystemen. Zudem sind die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges auf bestehende oder derzeit laufende Vorabverständigungsverfahren zu analysieren. Multinationale Unternehmen sind von daher gehalten, den Einfluss der wirtschaftlichen Folgen der Krisensituation auf ihre Funktions- und Risikoanalyse, der Industrieanalyse und der Ertragssituation der jeweiligen Gruppengesellschaften zu untersuchen, diese entsprechend zu dokumentieren und erforderliche Anpassungen des Verrechnungspreissystems vorzunehmen.“
Viele deutsche Muttergesellschaften unterstützten nun ihre ukrainischen Niederlassungen vor Ort – auch finanziell, sagt Axel Eigelshoven, Verrechnungspreispartner bei PricewaterhouseCoopers (PwC) in Düsseldorf: „Es ist absehbar, dass diese Unterstützungszahlungen der deutschen Muttergesellschaften zur Abdeckung von Abschreibungen, Betriebskosten und außerordentlichen Aufwendungen in einigen Jahren Gegenstand von Betriebsprüfungen sein werden. Zudem dürften Verbindlichkeiten gegenüber den Tochtergesellschaften uneinbringlich werden, auch hier stellt sich die Frage nach dem Fremdvergleich. Die Darlehenszinsen müssen im Zeitpunkt der Darlehensgewährung die länderbezogenen Risiken hinreichend berücksichtigt haben, ob dies der Fall ist, muss analysiert werden.“ Ähnlich ist es in Bezug auf Russland, wo viele Unternehmen aufgrund der Sanktionen oder aus moralischen Gründen ihr Geschäft eingeschränkt oder ganz eingestellt haben: „Hier müssen die Unternehmensverträge und fremdübliches Verhalten analysiert werden. Fraglich ist insbesondere, ob fremde Dritte Abstandszahlungen zur Auflösung von Verträgen leisten müssen oder ob diese bereit wären – zum Beispiel in Hinblick auf Reputationsrisiken der eigenen Brand – Abschlusszahlungen zur Beendigung von Verträge zu leisten. Auch hier werden viele Forderungen uneinbringlich und die Abzugsfähigkeit in Deutschland wird strittig sein“, so Eigelshoven. Hilfe vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) hierzu sei derweil zunächst nicht zu erwarten: „Dem Vernehmen nach plant das BMF keine Hilfestellung zur Analyse der Fremdüblichkeit dieser Herausforderungen, auch wenn der Wunsch in der Wirtschaft bereits geäußert wurde.“
Klar ist: Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Unternehmen können sehr unterschiedlich sein. „Es gibt Branchen, die davon profitieren und solche, die darunter leiden, einige vorübergehend, andere dauerhaft. Verrechnungspreise müssen das reflektieren, insbesondere bei der Frage, wer das Risiko trägt. Grundsätzlich sollte diese Frage immer schon geklärt sein, aber diese extreme Situation kann auch für konzerninterne Vereinbarungen den Wegfall der Geschäftsgrundlage bedeuten. Das muss man sich im Einzelfall anschauen.“, warnt Dr. Axel Bödefeld, Partner bei Oppenhoff & Partner in Köln und rät: „Die konkreten Auswirkungen müssen anhand einer sachgerechten Risiko-Allokation in die Verrechnungspreise einfließen.“