Auf diese Aussagen haben viele Beobachter lange gewartet. Und gestern war es dann endlich soweit: Ein als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft agierender Wirtschaftsanwalt packte beim Bonner Strafprozess gegen zwei britische Ex-Händler der HypoVereinsbank (HVB) aus – und teilte dabei auch gegen eine Reihe ehemaliger Kollegen kräftig aus.
Der Kronzeuge, der in dieser Rolle vor einiger Zeit auch schon einmal im Fernsehen zu sehen war, startete seine Aussage mit der Beschreibung von Hanno Berger, der als der Erfinder einer quasi-industrialisierten Cum-Ex-Beratung gilt. Berger sei heute ein „Ritter von trauriger Gestalt, damals aber war er der König der Steuerberatungsindustrie.“ Alle vermögenden Industriellen, der deutsche Mittelstand, alle hätten sich bei Berger um einen Termin bemüht, um Steuern zu sparen oder Cum-Ex-Geschäfte zu tätigen.
Neben Berger belastete der Kronzeuge zahlreiche Weggefährten Bergers aus dessen Zeit bei den US-Anwaltskanzleien Shearman & Sterling, Dewey & LeBoeuf und dessen letzter Station Berger Steck & Kollegen, die bei der industrialisierten Vermarktung der Cum-Ex-Praktiken mitgeholfen haben sollen.
Am Anfang stand ein Gutachten
Diese Gruppe um Berger sei auf der Suche nach Geschäftsmodellen für ihre Beratungspraxis gewesen, als sie 2005 ein Gutachten von Freshfields Bruckhaus Deringer für die Deutschlandtochter der australischen Bank Macquarie erreichte, das sich mit den Ansprüchen auf Erstattung der Kapitalertragsteuern bei Leerverkäufen, dem Kern der Cum-Ex-Geschäfte, auseinandersetzte. Das Gutachten kam, so der Kronzeuge, zu dem Schluss, dass ein Erstattungsanspruch bestehe. Macquarie wollte von Berger eine zweite Meinung zum Freshfields-Gutachten einholen. „Das kann nicht sein“, sei die erste Antwort auf das Gutachten gewesen, so der Zeuge. Aber nach eingehender gutachterlicher Prüfung lag die Rechtmäßigkeit des Vorgangs auch aus Sicht Bergers und seines damaligen Teams auf der Hand. So habe Berger die Grundlage geliefert bekommen, Cum-Ex als risikoloses, aber enorm ertragreiches Produkt an Investoren selbst zu vermarkten.
Für die Vermarktung habe sich Berger mit Leuten umgeben müssen, die in London bekannt und des Englischen mächtig gewesen seien, denn Berger habe nicht besonders gut Englisch gesprochen, „konnte dafür aber gut Latein und Altgriechisch“.
Beim Klinkenputzen bei Banken in London habe man dann Kontakt zu dem ehemaligen HVB-Banker Paul Mora bekommen, einem neuseeländischen Juristen, und den aktuell in Bonn angeklagten Händlern der Bank, die sich 2008 als Gesellschafter des Hedgefonds Ballance selbstständig machten.
Aufkommende Störgefühle
Vermarktung habe laut Zeuge im Wesentlichen bedeutet, das Cum-Ex-Produkt für Investoren zu öffnen und sogenannte Störgefühle wegzureden. Die „Störgefühle“ kamen immer wieder auf, erklärte der Kronzeuge. Etwa 2007 in Form eines Schreibens des Bundesfinanzministeriums (BMF). Das BMF hatte geschrieben, dass Leerverkäufe und Absprachen rechtlich nicht zulässig seien. Berger habe aus allen Rohren gefeuert und geschrien: „Ja, was ist denn ein BMF-Schreiben, was ist das denn?“, um sich die Frage gleich selbst zu beantworten: „Das ist ein verwaltungsinternes Schreiben. Hat das Normcharakter?“, soll er weiter gefragt haben – niemand habe widersprochen, das Störgefühl verschwand.
Wenn alles nichts half, dann habe es die „ganz große Keule“ gegeben: „Wer ein Problem damit hat, dass mit unserer Arbeit weniger Kindergärten gebaut werden, kann gehen“, zitiert ihn der frühere Berger-Vertraute. Störgefühle wegzureden beschreibt der Kronzeuge als „Twisting“. Alle Beteiligten hatten das Lügen perfektioniert. Auch Absprachen mit den Händlern, den Banken aber auch mit den Investoren hätten zum Programm gehört.
„Der Wortlaut ist die Grenze der Auslegung“ habe Berger immer wieder gepredigt. Auf die Frage des Richters, ob sie sich nicht auch einmal das Ziel des Gesetzes angeschaut hätten, das das BMF 2007 erlassen hatte, um eine Cum-Ex-Lücke rund um das Thema Leerverkäufe zu schließen, antwortete der Zeuge, dass die Berater um Berger auf das Gesetzgebungsverfahren eingewirkt hätten. Kontakte in die Finanzverwaltung und zum Bundesverband der deutschen Banken hätten dabei geholfen. Neben Berger habe aber auch Freshfields mitgeholfen, das neue Gesetz zu formulieren, das Störgefühle beseitigte und die Cum-Ex-Geschäfte etwa mit der Hamburger Privatbank Warburg weiter beschleunigte.
Aus der Phalanx zum Kronzeugen
„Sie tauchen bei der Warburg mit ihrem rhetorisch versierten Freund auf und verkaufen denen den Griff in die Staatskasse – und keinem geht aus moralischen Gründen die Augenbraue hoch?“, fragte der Vorsitzende Richter den Zeugen. „Wir waren damals in diesem Elfenbeinturm“, erklärte der Zeuge. „Wir dachten, wir sind die Größten, man konnte von JUVE bis sonstwohin lesen, was wir für tolle Hechte sind.“
Das sei solange gutgegangen bis der Ton rauer wurde und die Staatsanwaltschaften 2013 die Kanzlei Berger Steck durchsuchten. „Berger ist an diesem Tag weg aus Deutschland und nie zurückgekehrt“, so der Zeuge. Als die Polizei sein eigenes Haus durchsuchte – morgens um sechs Uhr, seine Frau mit dem 18 Monate alten Sohn auf dem Arm – da sei ihm klar geworden, „dass etwas krumm war an der Sache“.
Berger habe dann allerdings weiter die Verteidigung orchestriert, die Phalanx, wie der Kronzeuge die Runde um Berger nennt. Sein damaliger Verteidiger, der Münchner Strafrechtler Dr. Daniel Amelung aus der Sozietät Amelung & Trepl, sei auch in der Phalanx gewesen. Ihnen sei verboten gewesen, mit der Staatsanwaltschaft zu sprechen.
Der Kronzeuge selbst habe Ende 2015 seine Verteidiger gewechselt und sei so zu Prof. Dr. Alfred Dierlamm aus Wiesbaden und Prof. Dr. Tido Park aus Dortmund gekommen. Dierlamm habe schnell „Beratungsfehler“ ausgemacht, ihm ins Gewissen geredet, dass er im Gefängnis lande, wenn er nicht langsam aufwache. Bei der letzten Besprechung der Phalanx in Zürich war Dierlamm dann an seiner Seite. Gegenüber saßen ihnen Berger und seine Leute, die sie anderthalb Stunden mit Dokumenten versorgt und erklärt hätten, was gemacht werden soll. „Wir haben schon viel erreicht, wenn wir so weitermachen, werden wir siegen“, glaubten die Verteidiger zu wissen. Dierlamm habe dann das Wort ergriffen und gesagt: „Herr Berger, wir haben Ihnen jetzt anderthalb Stunden zugehört: Wir machen das ganz anders.“ (Martin Ströder)