Nach Recherchen von WDR und ,Süddeutscher Zeitung‘ geht die Staatsanwaltschaft Köln einer bislang unbekannten Masche nach, mit der Banker und Aktienhändler möglicherweise in Deutschland Millionen an Steuergeldern erschlichen haben könnten. Die Fahnder haben ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitarbeiter einer Bank in Deutschland eingeleitet. Der Verdacht: Steuerbetrug.
Die Kölner Staatsanwaltschaft ist offenbar über ihre ,Cum-Ex‘-Ermittlungen auf die Auffälligkeiten bei Geschäften mit ,American Depositary Receipts‘ (ADR) gestoßen. Der Staatsanwalt Renè Seppi wollte auf dpa-Anfrage lediglich bestätigen, dass Geschäfte mit ,American Depositary Receipts‘ im Zuge der Cum-Ex-Ermittlungen auch einmal eine Rolle gespielt hätten und es Überlegungen gebe, „ob das auch so ein System war“.
So funktioniert Cum-Fake
Der neue Skandal läuft unter dem Begriff ,Cum-Fake‘, weil es dabei um Geschäfte mit Aktien geht, die der Inhaber gar nicht hält. Dabei bedienen sich die Betrüger Geschäften mit sogenannten American Depositary Receipts (ADR): Das sind Papiere, die von Banken ausgestellt und in den USA stellvertretend für ausländische Aktien gehandelt werden. Jedem ADR-Papier muss eigentlich eine echte Aktie zugrunde liegen. Der Trick bei den ,Phantom‘-Aktien: Großbanken und Aktienhändler sollen in den USA Millionen von ADR-Papieren herausgegeben haben, ohne dass echten Aktien hinterlegt waren.
Mit diesen sogenannten Vorab-ADRs wurden dann deutsche Finanzbehörden getäuscht und Steuererstattungen kassiert, obwohl diese zuvor gar nicht auf die Dividenden gezahlt worden waren. Den Gewinn, also die illegale Steuererstattung, sollen sich Banker, Aktienhändler und Investoren anschließend untereinander aufgeteilt haben. Insofern ähnelt die Masche den sogenannten Cum-Ex-Geschäften.
Die amerikanischen Finanzaufsicht SEC ist den Cum-Fake-Geschäften schon länger auf der Spur: Dort laufen bereits Ermittlungen gegen verschiedene Banken. Erst im November hat die Citibank einem Vergleich über 38,7 Millionen US-Dollar (33,3 Millionen Euro) zugestimmt, weil ihre ADR-Papiere nicht mit echten Aktien und damit konkreten Werten hinterlegt waren. Zwei Töchter der Deutschen Bank (DBTCA und DBSI) haben im Juli einem Vergleich über 75 Millionen US-Dollar (65,7 Millionen Euro) zugestimmt. Neben den beiden Geldhäusern handeln in Deutschland auch J.P. Morgan und die Bank of New York Mellon mit ADR-Papieren.
Gegen die Tricks und immer komplexeren Aktiengeschäfte sind die Mitarbeiter der deutschen Behörden kaum gefeit. „Wir laufen der Entwicklung immer hinterher“, klagt der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, im „Tagesspiegel“. Er spricht in Anspielung an die Banker und Aktienhändler von einer neuen „Weiße-Kragen-Kriminalität“. „Wir fahren mit dem Fahrrad einem Ferrari hinterher“, so Eigenthaler.
Politische Konsequenzen
Das Ministerium erklärte zu den aktuellen Recherchen, Steuerbescheinigungen dürften ausschließlich für ADR-Papiere ausgestellt werden, die sich tatsächlich im Depot des jeweiligen Instituts befänden und für die Kapitalertragsteuer auf die dem ADR zugrunde liegende Aktie abgeführt worden sei. Sollten Bescheinigungen dennoch beantragt und ausgestellt worden sein, liege ein klarer Gesetzesverstoß vor.
Vorsorglich hat das BMF nun ein digitalisiertes Erstattungsverfahren gestoppt, das es potenziellen Kriminellen besonders leicht gemacht haben könnte, in die Staatskasse zu greifen.
Florian Toncar, finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, verlangte die Einsetzung eines unabhängigen Sonderermittlers. Der Finanzexperte der Linken, Fabio de Masi, fordert, dass das Bundeszentralamt für Steuern und die Finanzaufsicht BaFin alle Erstattungen rund um den Dividendenstichtag systematisch analysieren und eine Task Force einsetzt. Nötig seien zudem ein europäisches Finanz-FBI und „ein Unternehmensstrafrecht, um die kriminelle Kultur in den Vorstandsetagen auszumerzen und entwendete Steuergelder lückenlos einzutreiben“. Der Grünen-Abgeordnete Gerhard Schick fordert von der Deutschen Bank Auskunft, ob die US-Töchter kriminelle Geschäfte unterstützt haben.