Unter der Lupe

„Das Wachstumschancengesetz hat es in sich“

Die Inflation bleibt hoch und das Wirtschaftswachstum überschaubar. Abhilfe schaffen soll nun das seit Längerem angekündigte Steuerpaket von Bundesfinanzminister Christian Lindner mit dem klangvollen Namen ‚Wachstumschancengesetz‘. Es soll Unternehmen entlasten und zu mehr Investitionen und Innovation anregen. JUVE Steuermarkt sprach mit Professor Dr. Jens Schönfeld, Partner und Steuerrechtsspezialist bei der steuerzentrierten Großkanzlei Flick Gocke Schaumburg, über Chancen und Härten des Gesetzentwurfs.

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Worum geht es? Am 17. Juli 2023 hat das Bundesfinanzministerium den Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness“ – kurz Wachstumschancengesetz – veröffentlicht. Mit dem Gesetzentwurf will der Finanzminister Unternehmen stärken und die Wirtschaft um jährlich rund sechs Milliarden Euro entlasten. Das Steuerpaket enthält knapp 50 Maßnahmen und sieht unter anderem eine neue Prämie für Investitionen in den Klimaschutz, üppigere Forschungsförderung, großzügigere Verlustverrechnung und die Steigerung der Attraktivität der Körperschaftsbesteuerung vor. Darüber hinaus sollen Anpassungen im Bereich der Umsatzsteuer, der Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen und der Abbau bürokratischer Hürden erfolgen. Ob alle Koalitionspartner dem Entwurf zustimmen, ist noch unklar. Eine Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer, kurz BRAK, vom vergangenen Mittwoch zeigt, dass der Referentenentwurf nicht überall Zuspruch findet: „Für Steuervereinfachung, Steuerfairness oder Wachstumschancen lässt der Entwurf keinen Raum.“ 

JUVE Steuermarkt: Seit seiner Veröffentlichung hat das Wachstumschancengesetz allerhand Reaktionen hervorgerufen. Die Bundesrechtsanwaltskammer etwa kritisiert den Titel des Gesetzes als „irreführend“. Wie haben Sie auf den Referentenentwurf reagiert? 
Jens Schönfeld:
Als ich den Entwurf gelesen habe, habe ich auch erst einmal schwer geatmet, denn das Gesetz hat es in sich und enthält einige Härten. Das soll aber nicht heißen, dass darin nicht auch viel Gutes steckt. Allerdings muss man die Chancen zwischen all den Nickeligkeiten erst einmal ausfindig machen. 

Von welchen Nickeligkeiten sprechen wir hier? 
Bezogen auf das materielle Steuerrecht sind vor allem die massiven Verschärfungen bei der Zinsschranke problematisch. Das hat man mit dem Steuerfairnessgesetz im Grunde schon seit zwei Jahren vor sich hergetragen. Nur: Vor zwei Jahren sah die Welt noch ganz anders aus. Damals hatten wir geglaubt, so etwas wie Inflation gäbe es nicht und einen Krieg in Europa schon einmal gar nicht. Und jetzt wissen wir: Inflation kann es geben, und zwar richtig hoch, und die Zinsen können steigen, und das ziemlich schnell. Bei der Zinsschranke handelt es sich um eine echte Gutwetterregelung. Wird es aber erst einmal stürmisch und man verschärft diese Regelungen auch noch, wird es für einige Steuerpflichtige extrem eng.

Wen trifft das Gesetz besonders hart? 
Ganz klar die Immobilienbranche, denn schon jetzt sterben reihenweise Immobilienentwickler. Das war im Grunde auch vorhersehbar, weil die Immobilienunternehmer davon ausgegangen sind, dass sich der Markt so weiterentwickelt. Man hat die niedrigen Zinsen genutzt, um sich zu überschulden. Das kippt natürlich, wenn sich – wie jetzt – das Zinsniveau ändert. Unternehmen bekommen keine Refinanzierung mehr oder zumindest keine, die sie schultern können. Für diese Unternehmen ist die Zinsschranke also der letzte Schubs in den Abgrund. 

Was hat es mit der Zinshöhenschranke auf sich?
Die Zinshöhenschranke ist eine weitere Nickeligkeit. Sie beschränkt den Zinsabzug auf maximal zwei Prozent über dem Basiszins. Wenn man ehrlich ist, zielt diese Regelung eigentlich auf ausländische Finanzierungsgesellschaften ab, die für den Fiskus wieder attraktiver geworden sind. Bei einem Niedrigzinsniveau ergibt die Steuer- oder Zinsarbitrage keinen Sinn, doch das kann sich nun theoretisch ändern. 

Nur theoretisch oder auch praktisch? 
Steuergestaltungen sind tatsächlich stark in den Hintergrund gerückt, wenn sie denn überhaupt noch vorkommen. Heute ist Compliance für Unternehmen das Maß aller Dinge und viel wichtiger als das Drehen an irgendwelchen Steuerschrauben. Das hat sich in den letzten zehn Jahren total verändert. Aber wenn es doch noch ausländische Finanzierungsgesellschaften gibt, dann will man die mit der Zinshöhenschranke packen. Das Problem ist nur, dass diese Regelung nicht auf das Ausland zugeschnitten ist. Sie gilt auch für inländische Gesellschaften und das ergibt überhaupt keinen Sinn, da korrespondierende Zinserträge in Deutschland steuerpflichtig sind. Warum sollen diese dann nicht zum Abzug zugelassen werden? Da gibt es einen Webfehler im System. 

Ein wesentlicher Kritikpunkt der BRAK ist zudem die geplante Erweiterung von Meldepflichten auf innerstaatliche Steuergestaltungen. Ist die Kritik berechtigt?
Die Frage, die sich mir stellt: Was will man eigentlich mit der Meldepflicht erfassen? Es liest sich so, als müssten Gestaltungsmissbräuche angezeigt werden, die sowieso strafbar sind. Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH zu den EU-Grundrechten muss man sich auch fragen, ob Rechtsanwälte nicht generell von dieser Meldepflicht ausgenommen sind. Es kann gut sein, dass Steuerberater hier hinten runterfallen. Es fühlt sich außerdem falsch an für einen Rechtsanwalt, der die Interessen seiner Mandanten voll und ganz vertritt, diesen ‚ausliefern‘ zu müssen. Ich kann daher die Haltung der BRAK nachvollziehen. Wir sind uns ja alle einig, dass so etwas wie Cum-Ex nicht nochmal passieren darf, aber die Frage ist, ob man deshalb jetzt das Kind mit dem Bade ausschütten muss. Steuergestaltungen auf grenzüberschreitender Ebene haben ja auch nicht die gewünschten Wirkungen gezeigt – und das hat einen Grund.

Neben all den Nickeligkeiten: Was bewerten Sie am Wachstumschancengesetz positiv?
Dass man die Mindestbesteuerung aussetzt und sich Gewinne und Verluste voll verrechnen lassen, ist ein gutes Signal. Damit hätte ich gar nicht gerechnet. Vielleicht ist das auch passiert, weil die Politik ohnehin damit rechnet, dass das Bundesverfassungsgericht die Mindestbesteuerung insgesamt kippt. Um die derzeitige Krisensituation zu überbrücken, ist dieser Schritt auf jeden Fall zu begrüßen. Da hat man sich ein bisschen was bei den Amerikanern abgeschaut, die bestimmte steuerliche Regelungen und Begünstigungen ebenfalls mit einer zeitlichen Befristung eingeführt haben. Bei der Mindestbesteuerung ist es genauso: Ab 2028 kommt die Mindestbesteuerung wieder zur Anwendung, dann aber mit einem Sockelbetrag von 10 Millionen Euro und bei Zusammenveranlagung von 20 Millionen Euro. 

Das heißt, es handelt sich quasi um eine Überbrückungshilfe in Schlechtwetterlage?
Das kann man so sagen, denn die Mindestbesteuerung führt ja ebenfalls zu einem Cashabfluss – auch in Krisenzeiten. Beim Aussetzen der Mindestbesteuerung und der Flexibilisierung der Verlustnutzung handelt es sich um die richtigen Schritte zur richtigen Zeit. 

Christian Lindner nennt das Gesetz eine „kleine Steuerreform“. Welche Punkte fehlen Ihrer Meinung nach für eine echte Steuerreform? 
Ich würde mir eine größere Signalwirkung nach außen wünschen. Wir hatten 2008 die letzte große Steuerreform, und damals hat man an den Markt die richtigen Signale gesendet. Mit Unternehmenssteuern von 30 Prozent waren wir in Deutschland lange Zeit wettbewerbsfähig, es war attraktiv, hierzulande zu investieren. Seitdem ist allerdings nicht mehr viel passiert, und wir sind mit unseren Steuersätzen im Ländervergleich stark zurückgefallen. Wir müssen an der Stelle etwas tun, um Deutschland als Wirtschaftsstandort wieder attraktiver zu machen, und eine Verlustverrechnung reicht da nicht aus. Wir müssen etwa bei der Körperschaftsteuer noch weiter runter, und sei es, dass wir am Ende vielleicht darüber nachdenken, die Gewerbesteuer auf die Körperschaftssteuer anzurechnen. Um Unternehmen dazu zu bewegen, Milliardenbeträge in Deutschland zu investieren statt in den USA, braucht es große Überschriften wie etwa: ‚Steuersenkung in Deutschland‘ – so etwas beeinflusst Unternehmen nachhaltig.

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