Es war ein Schock für alle: Am 04. August 2012 starb Jochen Rölfs, Gründer und Namenspartner der RölfsPartner-Gruppe, die heute unter Baker Tilly firmiert. Er war einer der prägenden Figuren der Kanzlei, ein Restrukturierungsexperte mit starkem Geschäft und einer der Väter des Erfolgs. Sein Verlust wog schwer, sicher geschäftlich, aber für viele auch persönlich. Doch nicht nur der Tod selbst schockierte in der Kanzlei so manchen, sondern auch das, was im Anschluss passierte: Denn Jochen Rölfs war nicht nur einer der wichtigsten Partner, sondern auch der mit Abstand größte Anteilseigner der Kanzlei. Und dies wurde nun zum Problem.
Denn die Erbengemeinschaft Rölfs musste abgefunden werden. Der Auszahlungsbetrag soll mehrere Millionen Euro betragen haben. Insider der Kanzlei berichten von mehreren Jahren, in denen die Kanzlei einen Teil des Gewinns an die Erben auszahlen musste. Geld, das vom Gewinn der noch lebenden Partner abgezogen wurde.
Ursache war das Vergütungssystem für Partner, das auch nach dem Beitritt zum Baker Tilly-Netzwerk 2005 nicht geändert wurde. Dieses sah sowohl Salary-Partner – im Kanzleijargon sogenannte stille Partner – als auch Equity-Partner vor. Gemein war beiden Partnerstufen, dass die Partner in Form einer klassischen ‚Goodwill-Partnerschaft‘ Anteile erwerben sollten. Bei stillen Partnern lag die Einlage nach Informationen des JUVE Steuermarkt bei 100.000 bis 150.000 Euro, bei Equity-Partnern startete sie soweit bekannt bei etwa 400.000 Euro. Während die stillen Partner eine Verzinsung von rund vier bis sechs Prozent auf ihre Einlage erhielten, war es bei den Equity-Partnern eine Dividende auf die geleistete Einlage. Und die Höhe der Einlage war nicht gedeckelt. Baker Tilly selbst hält sich zu Details des alten Systems weitgehend bedeckt, mehrere aktuelle und ehemalige Baker Tilly-Partner bestätigen dies jedoch.
Woraus das Management der Next-Ten-Gesellschaft jedoch keinen Hehl machte: Das System war veraltet – auch wenn es unter MDP-Einheiten weiterhin eine hohe Anzahl Gesellschaften gibt, die so oder so ähnlich aufgestellt sind.
Wachstumsbremse
Denn es führte zu gleich mehreren Problemen: Partner, die Baker Tilly verlassen wollten oder vielleicht auch sollten, mussten ebenso abgefunden werden – das heißt, ihre Anteile wurden ausbezahlt – wie solche, die in den Ruhestand gingen. Die Höhe der Abfindung war – egal ob nach Markt- oder nach Buchwert abgefunden wurde – an die Einlage gebunden, und nicht an das Geschäft, das die jeweiligen Partner zuletzt hereingebracht hatten. Die Differenz war Insidern zufolge teilweise eklatant. Gerade ältere Partner, die sich über die Jahre sukzessive aus dem Geschäft zurückgezogen hatten oder solche, die man eben aufgrund mangelnden Geschäfts gern loswerden wollte, verursachten in der „Endabrechnung“ des Partners einen Verlust für die Kanzlei. Das im Grunde klassische Vergütungsmodell, das sich an einer sehr traditionellen Vorstellung von Partnerschaft orientierte, wurde aber auch an anderer Stelle zum Wachstumshemmnis: Junge stille Partner hatten immer häufiger nur wenig Interesse daran, die hohen Einlagen, die eine Equity-Partnerschaft erforderte, zu leisten und blieben lieber in ihrer Position – auch wenn sie sich von den Umsätzen her längst für eine Equity-Partnerschaft qualifiziert hätten.
Ähnlich verhielt es sich mit Quereinsteigern vor allem in der Rechtsberatung: Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Einkaufstour amerikanischer Anwaltskanzleien mit ihren stark leistungsbezogenen Vergütungskomponenten wirkte das Baker Tilly-Modell sehr antiquiert und für leistungsstarke Partner finanziell unattraktiv. Wer will schon erst einmal Hunderttausende Euro investieren, ohne für die eigene Leistung ausreichend finanziell gewürdigt zu werden?
Ein solcher Hemmschuh fürs Wachstum passt nicht in einen sehr kompetitiven Beratungsmarkt. Und auch nicht zum Selbstverständnis des internationalen Baker Tilly-Verbunds. Dieser hatte sich Ende des vergangenen Jahres ein neues Logo verpasst, das den Wachstumsring eines Baumes darstellen soll. „Dahinter steckt die Idee, unseren Anspruch zu zeigen, ‚heute‘ die richtigen Entscheidungen zu treffen, um ‚morgen‘ erfolgreich zu sein und so gemeinsam zu wachsen“, so Ralf Gröning, Sprecher des Management Boards von Baker Tilly Deutschland.
Dafür, wie man ‚morgen‘ wachsen kann, gibt es einen Plan – nur die Entscheidung im Hier und Jetzt stockt. Bereits vor einigen Jahren führte Baker Tilly leistungsbezogene Komponenten in die Vergütung ein, Dividendenzahlungen wurden eingestellt. So hat Baker Tilly schon länger die ersten Schritte eingeleitet, sich vom klassischen Goodwill-System zu verabschieden.
Ein Mammutprojekt für Baker Tilly
Doch mit der Einführung leistungsbezogener Komponenten war das Thema noch nicht vom Tisch. Denn das Problem der hohen Einlagen der Partner blieb bestehen. Und in diesem Zusammenhang wollte Baker Tilly auch die Partnerstruktur angehen.
Die Umstellung des Vergütungs- und Partnersystems erwies sich jedoch als Mammutprojekt. „Für uns ist es wichtig, dass wir unsere Partner vom neuen Modell wirklich komplett überzeugen“, erläutert Dr. Thomas Gemmeke, der die Rechtsberatung verantwortet und auch Mitglied des Management Boards bei Baker Tilly ist, „und das hieß natürlich, die Dinge offen in der Partnerschaft zu diskutieren und alle Interessen zu berücksichtigen. Und das hat länger gedauert als erwartet.“
War zunächst von einer Umstellung zum Jahreswechsel 2018/19 die Rede, wurde später auf den Sommer geschoben. Nun setzt sich Baker Tilly gar kein festes Ziel mehr. „Ein wichtiger Meilen- stein war ein Grundsatzbeschluss zugunsten der Umstellungen, den die Partnerversammlung gefasst hat. Seitdem haben wir die harte Zeitschiene rausgenommen“, sagt Oliver Hubertus, Leiter der Steuerberatungssparte bei Baker Tilly und ebenfalls Mitglied im Management Board. Zudem soll, statt das ganze Programm in einem Paket abzustimmen und umzusetzen, Schritt für Schritt vorgegangen werden.
Denn es sind nach JUVE Steuermarkt-Informationen in Deutschland nicht weniger als rund 100 Equity-Partner und 50 Salary-Partner, die in das neue System eingebunden werden mussten, darunter Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Das System bedeutet für jeden dieser Partner Veränderungen – und die Partnerversammlung sieht für eine solche massive Änderung ein hohes Quorum vor.
Statt Equity- und stiller Partner soll es zukünftig nur noch Equity-Partner geben. Diese sollen auch weiterhin eine Einlage leisten, die als Grundkapital der Gesellschaft dient. Die Höhe der Einlage soll künftig allerdings gedeckelt und nach der Grundvergütung gestaffelt sein. Dividenden gibt es soweit bekannt nicht mehr. Für alle Quereinsteiger, die derzeit zu Baker Tilly stoßen, gilt diese neue Partnerstruktur bereits. Für den Rest wird nun sukzessive umgestellt. „Es kommen dort unterschiedliche Interessen zusammen, die berücksichtigt werden müssen“, so Wolfgang Richter, lange Zeit mit Ralf Gröning zusammen Co-Managing-Partner bei Baker Tilly und neben Jochen Rölfs die prägende Figur der Gesellschaft. „Diese alle abzuwägen und daraus eine für alle gangbare Lösung zu finden, ist gerade in Arbeit.“ In verschiedenen Arbeitsgruppen wurden Ideen entwickelt und einige auch wieder verworfen.
Neue Karrierestufe eingeführt
Denn die Umstellung auf ein One Equity, wie es neudeutsch so schön heißt, kann kaum von heute auf morgen geschehen. Dies würde entweder bedeuten, mit einem Mal alle bisherigen stillen Partner umgehend ins Equity zu heben oder alle zunächst wieder zu Associates bzw. Managern zu machen. Ersteres wäre sehr teuer für Baker Tilly, zweiteres den stillen Partnern politisch wohl kaum zu vermitteln. Favorisiert wurde im Partnerkreis daher offenbar eine Übergangslösung: Aus den bisherigen stillen Partnern werden sogenannte Directors, die sich über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren bewähren können. Bringen sie die entsprechende Leistung, werden sie ins Equity erhoben.
Im Umkehrschluss hieße dies aber auch, dass die Equity-Partner sich ebenfalls bewähren müssen. Bringen sie die für das One Equity erforderliche Leistung nicht, kann es sein, dass sie gehen müssen.
Ein Baker Tilly-Partner schätzte im vergangenen Jahr die Quote der aufgrund der Umstellung möglichen Abgänge deutschlandweit und partnerstufenübergreifend auf 10 bis 15 Prozent. In diese Schätzung nicht eingerechnet sind mögliche Abgänge von leistungsstarken Partnern, die das neue System, aus welchen Gründen auch immer, nicht mittragen möchten.
Headhunter witterten daher in der jüngeren Vergangenheit bereits Morgenluft bei der Vermittlung unzufriedener oder nicht mehr erwünschter Partner. Bislang sind diese Prognosen jedoch nicht eingetreten, im Gegenteil. Gerade zuletzt ist Baker Tilly personell wieder stark gewachsen.
Wie die Übergangsphase konkret gestaltet wird, möchte Baker Tilly nicht sagen. Fakt ist jedoch, dass es die Position des Directors mittlerweile gibt – ähnlich wie bei der Partnerschaft für Quereinsteiger. Vier Berater sind derzeit in dieser Position. „Wir haben den Director als zusätzliche Karrierestufe für Berater geschaffen, die entweder in ihrer vorherigen Einheit schon diese Position innehatten oder sich in einer Zwischenstufe zum Partner befinden“, so Oliver Hubertus.
Allerdings: Mit der Umstellung auf das neue Vergütungssystem und der Ablösung der Anteile kommen auch finanzielle Verpflichtungen gegenüber den Partnern zum Tragen, die nicht unerheblich sein dürften. Die Deckelung der Anteile bedeutet auch, dass Partner, deren Anteile derzeit über dem Deckel liegen, für diese abgefunden werden müssen. Und diese Abfindung muss finanziert werden. Dies ist auch der Punkt, der momentan wohl am heftigsten diskutiert wird. Denn gerade bei den älteren Part nern schlägt die Diskrepanz zwischen Einlage und Leistung durch – kaum einer dieser älteren Partner dürfte bereit sein, weniger Abfindung zu erhalten als investiert worden waren. Wie das passieren soll, dazu äußert sich Baker Tilly nicht.
Neues Management setzt hohe Ziele
Der Partner mit den derzeit meisten Anteilen ist Wolfgang Richter. Es heißt, Richter sei bei Baker Tilly im Millionenbereich investiert. Das bedeutet: Der 64-Jährige würde nach dem neuen System die höchste Abfindung bekommen, könnte aber auch gleichzeitig – da er in den letzten Jahren viel im Management und weniger in Mandaten tätig war – im neuen Vergütungssystem Abstriche machen müssen.
Dass sich Richter nun in der aktuellen Umlaufwahl zum neuen Management nicht mehr zur Verfügung stellte, werteten in diesem Zusammenhang viele Marktteilnehmer als Zeichen. Zum Jahreswechsel ging sogar das Gerücht, Richter bereite seinen Ausstieg bei Baker Tilly vor. „Dass ich mich nicht mehr zur Wahl gestellt habe, steht in keinem Zusammenhang mit den strukturellen Veränderungen bei Baker Tilly“, betont Richter derweil, „es gab da keinen Stress, im Gegenteil: Die strukturellen Veränderungen unterstütze ich. Vielmehr wollte ich nach all den Jahren den Weg frei machen für neue Impulse.“ Neben der Mandatsarbeit steht Richter zudem bei einzelnen Projekten weiterhin als Berater des Managements zur Verfügung, beispielsweise wenn es um die Industriegruppenfokussierung oder Quereinsteiger geht.
Gelingt die Umstellung ohne einen Aderlass wichtiger Partner, wäre der Weg für Quereinsteiger und Umsatzwachstum frei. Die Zeichen stehen gut. In den letzten Monaten kamen Quereinsteiger zur Kanzlei in München, Stuttgart, Frankfurt und Hamburg. Ob diese nicht gekommen wären, hätte das alte System Bestand gehabt, ist nicht überliefert. Fakt ist: Das neue Vergütungssystem war nie der einzig ausschlaggebende Punkt, doch attraktiv scheint es zu sein.
Die Umstellung könnte daher genau zur richtigen Zeit die nötigen Energien freisetzen. Die Branche steht nicht zuletzt durch die Digitalisierung vor großen Herausforderungen – und Baker Tillys Zahlen waren zuletzt zwar solide, im Marktvergleich aber nicht berauschend. Gut möglich, dass sich das in Zukunft ändern wird – wenn das ‚Morgen‘ begonnen hat.