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Heimatangelegenheit

Wer Richter an einem Finanzgericht werden will, sollte forensische und steuerrechtliche Kompetenz mitbringen. Sollte man meinen. Nur an den bayrischen Finanzgerichten gelten offenbar andere Kriterien. Hier rekrutiert sich die Richterschaft aus dem Pool der Beamten der Finanzverwaltung. Was dazu führt, dass nicht unbedingt die besten Kandidaten zum Zuge kommen.

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Ein Traumjob für Steuerrechtler. Die Hamburger Justizbehörde sucht zwei Richter für das Finanzgericht der Hansestadt: unbefristet, Vollzeit, auch teilzeitgeeignet, und schnellstmöglich zu besetzen. Wünschenswert: entweder mehrjährige, in der Regel mindestens fünfjährige richterliche Erfahrung oder eine entsprechend lange anderweitige berufliche Tätigkeit als Volljurist mit Schwerpunkt im Steuerrecht.

Bei der Rekrutierung neuer Richter legt das Finanzgericht Hamburg keine Scheuklappen an. So wurden in den vergangenen fünf Jahren vier Richter neu eingestellt, von denen drei zuvor an einem anderen Gericht und einer in der Finanzverwaltung tätig war. Zwei der Richter waren für eine gewisse Zeit auch im Steuerberatungsbereich einer Kanzlei tätig.

Auch in Baden-Württemberg erhalten geeignete Kandidaten aus anderen Gerichtsbarkeiten oder dem Steuerbereich einer Kanzlei eine Chance. Allein im letzten Jahr nahmen fünf Richter ihre Tätigkeit am Finanzgericht in Stuttgart auf, drei davon kamen aus einer Anwaltskanzlei.

Aus dem Pool der Beamten

Hamburg und Baden-Württemberg stehen damit für die gängige Einstellungspraxis der deutschen Finanzgerichtsbarkeit. Nur ein Bundesland schert aus: Bayern. Der Freistaat verzichtet auf richterliche oder anwaltliche, in Ausnahmefällen sogar auf konkrete steuerrechtliche Erfahrungen. Er gewinnt seine Finanzrichter nicht vom freien Markt, sondern ausschließlich aus dem Pool der Beamten seiner eigenen Finanzverwaltung.

Es ist daher konsequent, wenn hier anders als in anderen Bundesländern, wo das Justizministerium zuständig ist – das Bayerische Finanzministerium die Besetzung der Richterstellen an ‚seinen‘ Finanzgerichten regelt.

Denn laut Ausschreibungen des Ministeriums kommen für die Finanzrichterposten ausschließlich „Beamtinnen und Beamte des Freistaats Bayern“ in Betracht, die mindestens der Besoldungsgruppe A14 angehören. Neben der abgeleisteten Einführungszeit für Beamte im höheren Steuerverwaltungsdienst müssen sie eine „mindestens dreijährige hauptberufliche Tätigkeit mit steuerrechtlichem Bezug oder vergleichbare Tätigkeit“ geleistet haben. Dabei gilt als vergleichbare Tätigkeit allerdings auch eine Referententätigkeit im Finanzministerium – ganz gleich, ob diese in einer Steuerfachabteilung stattfand, in der Personal- oder Presseabteilung.

Werden hier also staatsnahe Beamte qualifizierteren Bewerbern vorgezogen? Werden Finanzrichterstellen gar als Versorgungsposten für verdiente Beamte genutzt?

Offiziell will dies natürlich niemand behaupten. Doch hinter vorgehaltener Hand diskutieren Kenner der bayerischen Finanzverwaltung den Sonderweg lautstark.

Auch offizielle Stellen haben Fragen. So bemängelte bereits 2015 der Bayerische Oberste Rechnungshof (ORH), dass die Personalausstattung der bayerischen Finanzgerichte üppiger als erforderlich ausfalle. Im Vergleich mit den anderen Bundesländern bildeten die Finanzgerichte in München und Nürnberg das Schlusslicht – sowohl was die Zahl der Eingänge als auch die Erledigungen der Verfahren pro Richter angeht, kritisierte der ORH.

Die Zahl der Klagen sei an beiden Finanzgerichten seit mehreren Jahren rückläufig, während der Personalbestand nahezu unverändert blieb, monierte der Rechnungshof. So hätten sich. die Neuzugänge der Klagen im Jahr 2015 im Vergleich zu 2004 um ein Drittel, im Vergleich zu 2005 um ein Viertel verringert. Daher sei eine Überprüfung der Personalausstattung und Aufbauorganisation der Finanzgerichte unerlässlich, so der ORH.

In seinem Jahresbericht ging der Rechnungshof sogar noch einen Schritt weiter und empfahl die Errichtung eines einheitlichen Bayerischen Finanzgerichts, um vorhandene Doppelstrukturen aufzulösen sowie Personal- und Sachausgaben einzusparen.

Andere Bundesländer, bei denen die Eingangszahlen an den Finanzgerichten in vergleichbarem Umfang rückläufig waren, hätten Stellen gestrichen und die Aufbauorganisation gestrafft, argumentierte der ORH, etwa Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Bis zu einer nachvollziehbaren Personalbedarfsermittlung empfahl der Rechnungshof, freiwerdende Stellen bei den Finanzgerichten nicht mehr neu zu besetzen.

Doch die Staatsregierung hält nicht viel von den Vorschlägen. Sie kritisiert den Rechnungshof für seine Art der Datenerhebung. Diese beruhe „auf einer methodisch stark umstrittenen Vorgehensweise“. Insbesondere stelle das vom ORH herangezogene Bezugsjahr „unter statistischen Gesichtspunkten keinen repräsentativen Ansatz dar“, so eine Sprecherin des Finanzministeriums auf JUVE-Anfrage. Der Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags habe sich der Kritik des ORH deshalb nicht angeschlossen, sondern um weitere Berichte gebeten.

PEBB§Y soll Klärung bringen

Mit konkreten Zahlen sei erst nach dem Beschluss der Kommission der Landesjustizverwaltungen für Fragen der Personalbedarfsberechnung zu rechnen. Gemeint ist damit das Personalbedarfssystem PEBB§Y, für dessen Datenerhebung die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers beauftragt wurde.

Unabhängig von den PEBB§Y-Ergebnissen vertritt das Finanzministerium allerdings die Auffassung, dass eine Zusammenlegung der beiden Finanzgerichte zu einem Bayerischen Finanzgericht kein wesentliches Einsparpotenzial erschließen würde. Außerdem sei bei der Entwicklung der Klagen zuletzt eine Stabilisierung der Neuzugänge festzustellen gewesen.

Dennoch führt die unbestritten gute personelle Ausstattung der bayerischen Finanzgerichte nicht dazu, zu den Spitzenreitern in Sachen Verfahrensdauer aufzuschließen. Bei den Verfahrenslaufzeiten haben sich die Finanzgerichte in den letzten Jahren zwar stetig verbessert. Allerdings wurde die vom Finanzministerium angestrebte Verkürzung auf einen Zeitraum von unter zwölf Monaten ziemlich weit verfehlt. Zuletzt lag Bayern mit einer Durchschnittsdauer von 14,2 Monaten nur knapp unter dem bundesweiten Durchschnittswert.

Ganz anders in Deutschlands Norden: Die schnellsten Finanzrichter bearbeiten ihre Fälle ein halbes Jahr schneller als in Bayern und sitzen in der Hansestadt Hamburg. Dort lag die durchschnittliche Verfahrensdauer im vergangenen Jahr bei 8,2 Monaten. Dahinter rangierten die Finanzrichter in Hannover mit durchschnittlich 9,4 Monaten Bearbeitungszeit.

Eigenwillige Auswahlkriterien

Vielleicht hat Bayern also doch ein Qualitätsproblem? Nein, sagt das Bayerische Finanzministerium. Richter, die aus dem Ministerium kommen, „kennen –anders als es bei Richterinnen oder Richtern anderer Fachgerichtsbarkeiten gewährleistet ist – bereits das komplexe Steuerrecht, bevor sie in diesem Bereich Rechtsfragen zu entscheiden haben“, erklärt das Ministerium. „In der (Steuer-) Verwaltung sammeln die potenziellen Finanzrichter und -richterinnen Erfahrungen insbesondere in Hinblick die tatsächlichen Erwartungshaltungen der gerade in den häufigen Präzedenzfällen praktikable Lösungen für den Verwaltungsvollzug.“ Letzteres sei bei Rechtsanwälten nicht in diesem Umfang gewährleistet.

Ob es allerdings oberste Aufgabe von Richtern ist, „praktikable Lösungen für den Verwaltungsvollzug“ zu finden, sei dahingestellt. Eher nährt die Erklärung des Ministeriums das Gefühl mancher, hier werde eine verwaltungsnahe Richterschaft herangezogen, was der Gewaltenteilung sicher nicht förderlich ist.

Doch auch der Blick auf eine aktuelle Konkurrentenklage lässt Zweifel an den fachlichen Auswahlkriterien für Finanzrichter im Freistaat aufkommen. In dem Verfahren, das beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängig ist und das JUVE vorliegt, setzte sich eine Beamtin der bayerischen Lotterieverwaltung bei der Neubesetzung einer Finanzrichterstelle in München durch – die Lotterieverwaltung ist seit ihrer Einrichtung im Jahr 1946 dem bayerischen Finanzminister unterstellt.

Kein Einzelfall

Vorgezogen wurde die Beamtin einer Mitbewerberin, die zuletzt als Oberregierungsrätin beim Finanzamt München und zuvor unter anderem im höheren Dienst der Steuerverwaltung in Hamburg und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesfinanzhof tätig gewesen war. Sie verfügte im Gegensatz zur erfolgreichen Bewerberin über einen durchgehend steuerrechtlichen Hintergrund.

Die Klage ist kein Einzelfall: In den vergangenen zwölf Monaten wurden beim Bayerischen Verwaltungsgericht insgesamt drei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung einer Stellenbesetzung an einem Finanzgericht gestellt. Mit Ausnahme Hessens mit einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren waren in den vergangenen zwölf Monaten an keinem der größeren deutschen Finanzgerichte Streitigkeiten um Richterstellen anhängig.

Dass es in anderen Bundesländern derzeit keine Streitigkeiten um die Besetzung von Finanzrichterstellen gibt, mag ein Zufall sein. Klar ist jedoch: Während sich in Bundesländern wie beispielsweise Hamburg oder Baden-Württemberg Richter aus anderen Gerichtsbarkeiten zum Finanzgericht abordnen lassen können, und auch qualifizierte Quereinsteiger aus Beratung und Wissenschaft zum Zuge kommen können, ist all dies in Bayern nicht möglich.

Generell schließt die Auswahl der Richterkandidaten aus dem Pool der Beamten der Finanzverwaltung nicht aus, dass auch in Bayern qualifizierte Bewerber zum Zug kommen. Allerdings verzichtet man bei der Vorgehensweise bewusst auf das Potenzial weiterer, eventuell sogar besser geeigneter Kandidaten.

Für das Finanzministerium in München, das neben dem bayerischen Haushalt ebenso für die Themen Landesentwicklung und Heimat zuständig ist, scheint die Besetzung der Richterstellen eine echte Heimatangelegenheit zu sein. 

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