Juve Steuermarkt: Haben sich die Recruitingwege in den vergangenen Jahren verändert beziehungsweise vereinfacht – gerade wenn man an soziale Netzwerke wie Xing oder LinkedIn denkt?
Georg Nohn: Aufgrund der Fülle an Personalberatungen am Markt werden Steuerexperten über Xing und LinkedIn überschwemmt mit täglichen Anfragen – semiprofessioneller, aber auch professioneller Art. Aber manchmal eben auch völlig unpassender Art, zum Beispiel wenn Umsatzsteuerexperten für M&A Tax Positionen angesprochen werden.
Daher ist es schwierig, allein über die sozialen beruflichen Netzwerke Kandidaten zu finden. Das läuft immer mit und gehört dazu. Aber auch dort muss es passgenaue und individuelle Ansprachen geben und keine Massenansprachen.
Die Königsdisziplin in der Personalberatung ist nach unserer Auffassung das fundierte Telefonat mit potentiellen Kandidaten. Nur hierdurch schafft man Akzeptanz, Vertrauen und Interesse und kann Themen viel besser vermitteln. Hinzu kommen bei uns die langjährigen Kontakte und unser Netzwerk. Viele Kandidaten kennen wir seit Jahren und haben so eine vertrauensvolle und tragfähige Beziehung entwickelt. Wir begleiten Karrieren über viele Jahre. Daher ist und bleibt die persönliche Kontaktaufnahme über das Telefon der erste und beste Weg einer erfolgreichen Personalberatung.
Alexander Gries: Als ich 2016 angefangen habe, da hat es noch ausgereicht, bei LinkedIn oder Xing ein paar Leute anzuschreiben, um Kontakte generieren zu können. Das funktioniert heute so gut wie gar nicht mehr. Das Thema Tax ist gefragt und die Gehälter sind hoch, weshalb der Bereich auch für Headhunter interessant ist (Headhunter werden üblicherweise durch eine prozentuale Pauschale gemessen am Jahresbruttogehalt des vermittelten Kandidaten bezahlt. In der Regel liegt diese Pauschale zwischen 18 und 35 Prozent. Anm. der Red.). Deswegen stürzen sich viele Headhunter auf diesen Markt – auch ohne im Thema zu sein. Steuerexperten bekommen über die sozialen Netzwerke Nachrichten ohne Ende – in der Regel völlig unpassende.
Daher reagieren Steuerexperten nicht mehr auf Anfragen. Man kann zwar in den sozialen Netzen seine Anschreiben individualisieren, aber wenn Steuerexperten 20 Nachrichten am Tag vorfinden, dann wird auch nicht mehr geschaut, ob die Nachricht von einem spezialisierten Headhunter kommt oder von einem Bauchladen-Headhunter, der eh‘ wieder nichts Passendes hat. Die Headhunterbranche hat sich diesen Markt so selbst kaputt gemacht.
Also eigentlich wieder zurück, wie die Executive Search Branche noch in den 2000er Jahren vor Xing oder LinkedIn gearbeitet hat?
Gries: Aktuell ja. In dem Segment, in dem wir rekrutieren, sind die Personen eine Direktansprache aber auch gewohnt. Für Steuerexperten ist es nicht unangenehm oder komisch, dass sie angerufen werden.
Aber das hartnäckige Image der Big Four als üble Knochenmühle – also arbeiten bis zum Anschlag und dafür keine Wertschätzung – war doch immer ein Garant für genügend Interesse der Bewerber an anderen Angeboten und Alternativen, auch an Inhouse-Positionen. Hat sich das geändert und gehört das schlechte Big-Four-Image mittlerweile etwa der Vergangenheit an?
Gries: Das hat sich total gedreht. Ja, es ist wieder deutlich attraktiver, in einer Big-Four-Gesellschaft zu arbeiten. Und es gibt sehr gute Next-Seven-Gesellschaften, die ebenfalls gute Beratungsalternativen darstellen. Die Big Four haben verstanden, dass es wichtig ist, sich um Mitarbeiter zu kümmern, damit sie auch bleiben. Oftmals können Consultants sich jetzt aussuchen, mit welchen Partnern und auf welchen Projekten sie arbeiten. Partner sind mehr in der Verantwortung als früher, dass die Mitarbeiter auch gut gestimmt sind. Die Big-Four-Gesellschaften sind deshalb besonders flexibel, was Homeoffice anbelangt, und sie haben die Gehälter ordentlich angezogen. Es ist nicht mehr so, dass man sich bei einem Wechsel aus der Beratung Richtung Inhouse unbedingt gehaltlich verbessert. Die Big Four machen viel, was die Mitarbeiterförderung anbelangt. Selbst beim Wechsel ganzer Teams, die wir betreuen, ist auch noch der Praktikant wichtig. Da geben sich die Beratungen schon sehr viel Mühe, um alle ins Boot zu holen. Ich würde die Big Four daher nicht mehr als Knochenmühle bezeichnen.
Das klingt fast wie ein Kulturwandel?
Gries: Auf jeden Fall. Das kann man so sagen. Die Rechtsanwalts- und Großkanzleien tun sich da noch etwas schwer. Für uns als Headhunter wird es auch deshalb schwerer, weil den Arbeitgebern, bei denen wir Steuerexperten abwerben, zunehmend bewusst wird, wie rar diese Steuerexperten eigentlich sind. Aktuell werden sehr hohe Gegenangebote ausgesprochen. Teilweise haben wir mit Angeboten mit einem Gehaltsplus von 20 bis 30 Prozent zu kämpfen. Das führt dazu, dass am Ende eines Besetzungsprozesses noch Kandidaten abspringen. Die Konzerne und Beratungen wissen eben auch, dass sie im Zweifel zwölf Monate brauchen, um eine Stelle wiederzubesetzen. Zudem müssen die Anforderungsprofile an Kandidaten mittlerweile etwas flexibler sein. Man kriegt einfach nicht mehr den berühmten 100-Prozent-Fit, weil nicht mehr so viele Kandidaten vorhanden sind. Daher gehen viele Unternehmen auch dazu über, selbst stärker auszubilden.
Das klingt nach einem schwierigen Markt.
Nohn: Wir beobachten in den letzten Jahren eine deutliche Zuspitzung bei der Nachfrage nach Steuerexperten – Inhouse, aber auch für Beratungspositionen. Das ist ein Trend, der sich fortsetzen und sogar noch intensivieren wird in den nächsten Jahren. Es herrscht ein absoluter, reiner Kandidatenmarkt. Das heißt, dass die guten und talentierten Steuerexperten sich im Grunde aussuchen können, wohin die Reise geht – ob Richtung Industrie oder Beratung und zu welchem Player.
Die suchenden Unternehmen müssen sich daher strecken. Sie müssen sich attraktiv machen, um die besten Steuerexperten zu gewinnen. Manche Konzerne sind da noch etwas in der Vor-Corona-Phase verhaftet. Die müssen sich noch ein bisschen damit anfreunden, dass man um Top-Kandidaten kämpfen muss. Dass man alles bieten muss, nicht nur das Monetäre. Man muss Charme entwickeln, um gute Kandidaten zu gewinnen. Bei manchen namhaften Gesellschaften und Unternehmen fehlt mir diese Einstellung ein wenig. Und die Nachfrage wird noch größer werden, dann müssen sich die Unternehmen noch mehr engagieren und strecken.
Wie hat sich der steuerliche Personalmarkt bei Inhouse-Positionen seit Corona entwickelt?
Gries: Wir sind als Headhunter ausschließlich im Tax-Bereich unterwegs und machen dabei auch viel Inhouse. Im Schnitt betreuen wir 30 bis 40 Inhouse-Positionen parallel mit aktuell 13 Mitarbeitern. Wir haben sehr viele Industriekunden und beobachten, dass der Markt immer enger wird. Das hat nicht unbedingt etwas mit Corona zu tun. Es gibt extreme steuerliche Anforderungen an die Konzerne – und es kommen jedes Jahr neue Themen hinzu: DAC 7 zum Beispiel oder Pillar II. Dies führt dazu, dass Unternehmen jedes Jahr mehr Inhouse-Positionen schaffen. Für Syndikussteuerberater können wir dies sehr genau messen. Wir haben einen Zuwachs von ungefähr 5 Prozent pro Jahr. Also 450 neu geschaffene Inhouse-Positionen pro Jahr. Bei rund 30.000 angestellten Steuerberatern in Deutschland.
450 neue Inhouse-Stellen jedes Jahr?
Gries: Wir reden über knapp 9.000 Syndikussteuerberater in Deutschland. Das ergibt einen Zuwachs pro Jahr von ungefähr fünf Prozent. Zudem haben wir bei der Steuerberaterprüfung durchweg hohe Durchfallquoten – in diesem Jahr besonders hoch. Das heißt, wir haben einen klassischen Kandidatenmarkt mit einem Überangebot an Stellen. Es kommen einfach nicht genug Kandidaten nach. Bei besonders exotischen Themen wie Verbrauchsteuern oder Lohnsteuer, die es als gesonderte Inhouse-Positionen nur in den Dax-40-Konzernen gibt, kommen am Markt im Zweifel nur noch etwa 10 Personen in Frage. Dazu kommt, dass durch Corona und die daraus folgenden Homeoffice-Optionen der Markt deutschlandweit viel transparenter geworden ist. Gerade bei familiengeführten Konzernen liegt der Hauptsitz oftmals nicht mitten in München oder Frankfurt, sondern eher etwas ländlicher. Diese Positionen konkurrieren dann aber mit den Gehältern und Positionen in den großen Städten. Durch das Remote-Working verschwimmen die Grenzen zwischen Stadt und Land zunehmend.
Hat sich die Motivation für einen Inhouse-Wechsel verändert beziehungsweise was bewegt Kandidaten, der Beratung den Rücken zu kehren?
Nohn: Die Anspruchshaltung der Kandidaten ist eine andere als früher. Die Kandidaten verlangen heute bei Inhouse-Positionen mehr: spannende fachliche Themen, die sie mitgestalten können und bei denen sie auch wirklich etwas umsetzen können. Man kann als Berater Einfluss nehmen auf Unternehmen bis zu einem gewissen Punkt, aber darüber hinaus ist man dann außen vor. Auf Industrieseite in einer Inhouse-Position kann man dagegen in der Regel ein Thema bis zum Ende durchkonjugieren. Das ist spannend für Steuerexperten. Ferner haben natürlich Inhouse-Positionen in der Regel auch angenehmere, familienfreundlichere Arbeitszeiten und eine bessere Work-Life-Balance. Homeoffice-Möglichkeiten sind ein großes Thema. Bei vielen Inhouse-Positionen, die wir besetzen, wird angeboten, dass man vier Tage die Woche oder sogar die ganze Woche aus dem Homeoffice arbeitet und sich nur alle paar Wochen im Unternehmen trifft.
Gries: Ein Wechsel aus der Beratung in Richtung Inhouse bedeutet auch immer einen Perspektivwechsel. Eines der Hauptziele eines Beraters in der Steuerberatung ist es, Steuerberatungsdienstleistungen zu verkaufen. Ab dem Grad Manager oder Senior Manager spürt man dies in den Big Four und Next Seven: Man wird unternehmerisch in die Verantwortung genommen und ist vor allem vertrieblich engagiert als jemand, der die eigenen Dienstleistungen am Markt platziert. Je höher man steigt, umso mehr geht man daher aus dem eigentlich Fachlichen oder Beratenden heraus und geht eher dahin, eine möglichst hohe Mandantenbindung im Sinne des Absatzes von Beratungsdienstleistungen zu erreichen. In der Inhouse-Position nimmt man dagegen eher eine Verteidigerposition ein, das heißt man schaut, dass das Geschäftsmodell unter steuerlichen Gesichtspunkten sauber läuft. Man bleibt mehr Fachmann und muss kein Verkäufer oder Vertriebler sein. Das treibt viele in eine Inhouse-Position. Was natürlich nicht heißt, dass die fachliche Expertise bei Partnern nicht extrem hoch wäre. Ganz im Gegenteil: Viele Partner publizieren regelmäßig, halten Vorträge oder arbeiten zusätzlich noch als Dozent an Universitäten.
Wie sehen heute Inhouse-Positionen typischerweise aus?
Nohn: Inhouse-Positionen haben heute sehr hohe Anforderungen, der Spezialisierungsgrad ist enorm hoch. Das war früher noch nicht so – vor fünf oder sechs Jahren wurden eher Generalisten gesucht, die möglichst viele steuerliche Themen abdecken konnten. Heute werden passgenaue Kandidaten mit einem hochspezifischen Steuerfachwissen gesucht. Das müssen sich Steuerexperten, die sich auf solche spezialisierten Inhouse-Positionen bewerben, dann auch genau überlegen: Passt das wirklich zu mir? Ist das mein Metier? Will ich genau diese fachliche Spezialisierung in den nächsten Jahren beibehalten? Zudem müssen Kandidaten, die sich für solche Positionen interessieren, auch wissen, dass in Unternehmen die Hierarchien flacher sind, sprich, dass die Karriere- und Aufstiegschancen in der Regel geringer sind als auf Beraterseite. Auch das Geld spielt natürlich eine Rolle: früher sagte man, dass Karrieren in Beratungshäusern mit Blick auf die Einkommensentwicklung lukrativer sind. Aber inzwischen bieten Konzernsteuerabteilungen gerade für junge Berater, die von den Big Four oder Next Seven frisch nach dem Beraterexamen wechseln wollen, sehr gute Konditionen. In dieser Phase zahlt sich das Examen auf Beraterseite in der Regel monetär noch nicht so richtig aus. Gerade in dieser Phase sind Kandidaten offen für spannende, gut dotierte Inhouse-Positionen. Wir beraten Industriemandanten, die bieten für junge Steuerberater um die 100.000 Euro Bruttojahreseinkommen und mehr. Das ist der Notlage geschuldet, dass man gute Kandidaten braucht und die Gehälter etwas höher ansetzen muss.
Sie sprachen von hochspezialisierten Positionen – welche Spezialisierungen sind besonders gefragt?
Nohn: Experten in der Umsatzsteuer und im Transfer Pricing sind immer gefragt. In den letzten Jahren kam dazu immer stärker die Nachfrage nach Tax Technology Experten. Tax Tools und Tax CMS sind wichtige Themen, nicht nur auf Beratungsseite, sondern auch auf Unternehmensseite, vom Dax-Konzern bis zum Familienkonzern. Gerade beim Thema Tax CMS verspüren die Unternehmen auch einen gewissen Druck zu handeln. Experten, die beides können – steuerliche Themen und IT – sind extrem gefragt. Es gibt aber auch neue Themen und Trends: KI wird immer spannender im Steuermarkt. Ein großes Thema, das sich ebenfalls entwickeln könnte, sind ESG und Nachhaltigkeitsthemen. ESG wird immer häufiger aufgegriffen von Beratungshäusern, um die eigenen Prozesse danach auszurichten, aber auch, um die Mandanten besser beraten zu können. So betreuen wir gerade einen Dax-Konzern bei der Suche nach Steuerexperten, die ESG-Themen mit beispielsweise Corporate Tax und Tax CMS Themen verbinden können. Hier besteht durchaus eine methodische Nähe. ESG trägt zu mehr Transparenz im Steuergeschäft bei. Das wissen die Konzerne. Das wird dazu führen, dass es immer mehr steuerliche ESG-Experten geben wird und diese auch gesucht werden.
Was ist in kleineren Steuerabteilungen mit Generalist gemeint? Ein Steuerexperte mit einem Add-on, also bestimmten zusätzlichen Vertiefungen oder Interessen? Oder meint Generalist wirklich noch den Steuerexperten, der alles macht?
Nohn: Der Generalist, der alles macht, der den berühmten Bauchladen führt. Den gibt es als Anforderungsprofil bei Inhouse-Positionen aber gar nicht mehr. Es kommt vor, dass im Mittelstand zum Beispiel Experten für Corporate Tax gesucht werden. Wenn die dann noch Erfahrungen im Tax-Tech-Bereich haben, dann wird das sehr gerne gesehen. Aber auch im Mittelstand werden Fachexperten wie reine Umsatzsteuer- oder Zollexperten gesucht.
Unterscheiden sich die Anforderungsprofile zwischen Mittelstand und Konzernen bei der Suche nach Steuerexperten?
Nohn: Das hängt von der Struktur der Steuerabteilung im Konzern ab. Es gibt sehr große Steuerabteilungen mit 40 bis 60 Steuerexperten oder mehr. Da ist die Suche meist sehr fachspezifisch auf ein bis zwei Steuerrechtsgebiete ausgerichtet, für die ein guter Kandidat Fachkenntnisse mitbringen muss. Wenn es kleinere Steuerabteilungen sind, kann ein Kandidat auch generalistischer ausgerichtet sein.