Studium & Wissenschaft

Der Steuerwissenschaft droht eine Welt ohne Modelle

Autor/en
  • Götz Kümmerle

Im Juni sprach JUVE Steuermarkt mit dem Kölner Empiriker Professor Dr. Michael Overesch über die Zukunft der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre. Nun haben sich die beiden normativ arbeitenden Wissenschaftler Professor Dr. Stephan Meyering (FernUniversität in Hagen) und Professor Dr. Guido Förster (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) zu Wort gemeldet. Sie warnen davor, dass die Steuerlehre ihr wichtigstes Instrument verlieren könnte – das Aufstellen von Modellen.

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Wissenschaftler sehen die Methodenvielfalt in der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre in Gefahr.
Stephan Meyering

JUVE Steuermarkt: Herr Professor Meyering, Sie haben sich im Nachgang zum Interview mit Professor Overesch, einem ausgewiesenen Experten im Bereich der empirisch-statistischen Methode in der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, an unsere Redaktion gewandt. Warum?
Stephan Meyering: Ich stimme dem, was Herr Overesch gesagt hat, zu. Es gibt Forschungsfragen in der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, die man modelltheoretisch beziehungsweise anwendungsorientiert nicht bearbeiten kann. Aber für meine Begriffe verdeckte das Interview ein wenig, dass das, was sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren in unserem Fach getan hat, durchaus auch Probleme nach sich zieht. Diese Probleme zeigen sich insbesondere darin, dass die Aufgaben, die an unser Fach gestellt werden, mit einer rein empirischen Ausrichtung nicht gut bearbeitet werden können. Außerdem bringen die Absolventen unseres Faches zunehmend nicht mehr das mit, was sie idealerweise bräuchten, um im Steuerbereich beruflich tätig sein zu können.

Zunächst vielen Dank, dass Sie aktiv geworden sind! Wir freuen uns als Redaktion, dass dieser Diskurs über uns als Medium stattfinden kann. Wir fungieren hier gerne als Plattform. Professor Overesch hat aber doch im Interview gesagt, dass er einen Unterschied zwischen Forschung und Lehre macht. Er sagte, dass in der Lehre auch schon wegen künftiger Berufschancen die klassische normative Steuerlehre enthalten sein müsse. Er sieht also eine Art Dualität zwischen empirisch-statistischer Forschung und normativer Lehre. Jetzt sagen Sie aber, dass auch normative Forschung sinnvoll sein kann?
Meyering: Es geht uns nicht darum zu kritisieren, dass einzelne Kolleginnen und Kollegen empirisch arbeiten – im Gegenteil. Die Steuerlehre hat verschiedene Anforderungen, die an sie gestellt werden: Steuerrechtsnormendarstellung, Steuerwirkungs- und Steuergestaltungslehre und die Steuerrechtsnormengestaltungslehre. Wenn alle nur noch empirisch oder modelltheoretisch oder normativ forschen würden, täte dies unserem Fach in der Tat nicht gut. Wenn nur noch eine Forschungsmethodik den Ton angibt, gerät das Fach in Schieflage, denn die Forschungsmethodik sollte sich an der Forschungsfrage ausrichten.

Guido Förster

Förster: Lassen Sie mich das konkretisieren: In der Steuerwirkungslehre werden die Auswirkungen steuerlicher Normen auf betriebswirtschaftliche Entscheidungen analysiert. Dies kann modelltheoretisch, zum Beispiel mit Barwertmodellen oder Vermögensendwertmodellen, aber auch empirisch geschehen. Die Modelltheorie fragt danach, wie sich Entscheidungsträger unter Steuereinfluss bei – unterstellt – rationalem Handeln verhalten werden. Empirische Methoden untersuchen dagegen das in der Vergangenheit beobachtete tatsächliche Entscheidungsverhalten. Reagieren Steuerpflichtige auf Steuersatzunterschiede (was empirisch gut belegt ist) und wie sieht es mit einer nur eingeschränkten Berücksichtigung von Verlusten aus?

In der Steuerwirkungslehre können somit verschiedene Forschungsmethoden fruchtbar gemacht werden. Normative und modelltheoretische Methoden bilden zudem die Basis für die Ableitung empirisch testbarer Hypothesen. Anders sieht es in der Steuergestaltungslehre aus. Sie untersucht, wie sich Steuerpflichtige unter Steuereinfluss verhalten sollten, um ihre Zielsetzungen zu erreichen. Diese Frage kann mit normativen oder modelltheoretischen Methoden bewältigt werden, nicht aber mit empirischen Methoden. Wenn beispielsweise empirisch festgestellt wird, dass die meisten Menschen bei Rot über die Straße gehen, so heißt dies noch nicht, dass es richtig gewesen ist, dies so zu machen. Die Steuerrechtsnormengestaltungslehre, in der es um Anregungen an den Gesetzgeber geht, kann wieder von allen Forschungsmethoden profitieren. Dagegen kommen bei der Auslegung von Steuerrechtsnormen normative, juristische Methoden zum Einsatz; mit Empirie kommt man auch hier nicht weiter. Gleichwohl können bei der Anwendung normativ, juristischer Methoden Wirtschaftswissenschaftler Wertvolles beitragen, denn die meisten Steuernormen sollen wirtschaftliche Sachverhalte erfassen und verfolgen einen wirtschaftlichen Zweck. Als Wirtschaftswissenschaftler hat man einen sehr guten Blick darauf, was wirtschaftlich wirklich geschieht und wie der wirtschaftliche Zweck erreicht werden kann.

Wäre es dann nicht eine Idee, die Steuergestaltungs- und Steuerrechtsnormengestaltungslehre ganz zu den Juristen auszulagern – das ist ja auch deren Methode – und die Wirtschaftswissenschaftler würden nur noch beratend für juristische Lehrstühle tätig sein?
Förster: Wenn die Wirtschaftswissenschaftler die Juristen beraten würden, würde man sich die Frage stellen: Warum brauchen wir Juristen überhaupt, wenn sie extra darin beraten werden müssen, was sie zu tun haben. Die Steuerrechtsauslegung ist eine Materie, in der Wirtschaftswissenschaftler und Juristen gemeinsam sehr viel erreichen können. Die Juristen kommen aus dem systematischen juristischen Denken. Das Steuerrecht ist eine Teilrechtsordnung und muss mit den anderen Teilrechtsordnungen zusammenpassen. Eine völlig andere Frage ist, wie sich Unternehmen in einer bestimmen gegebenen Situation verhalten sollten. Welche Finanzierung sollten sie unter steuerlichen Aspekten wählen? Ein Betriebswirt ist da viel näher dran, diese Frage zu klären. Auch in dem Bereich der teleologischen Auslegung von Steuerrechtsnormen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, wäre es aus meiner Sicht widersinnig, wenn Betriebswirte sich dazu gar nicht äußern könnten.

Meyering: Steuerrecht ist ein Bereich, in dem Recht auf Wirtschaft trifft. Da müssen wir Wirtschafts- und Rechtssachverhalte gleichermaßen in den Blick nehmen. Wenn man sich die Anwendung von Recht anschaut, gibt es eine Tatsachenebene und eine Rechtsebene. Die Rechtsebene ist das juristische Steckenpferd und die Tatsachenebene im Bereich der Unternehmenssteuern die betriebswirtschaftliche. Daher ist es notwendig, dass beide Seiten sich damit beschäftigen. Abgesehen davon: Gestaltungsfragen bedürfen häufig der Quantifizierung und der Modellierung. Aber wie heißt es so schön: ,Judex non calculat‘.

Sie sprachen von Modellen. Könnten Sie mir dazu ein Beispiel nennen?
Meyering: In die Vergangenheit blickend, das ist Empirie. In die Zukunft blickend, das ist das, was ich als Kern der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre betrachte. Die Empirie kann nur in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen beschreiben, beispielsweise wie eine Norm gewirkt hat. Gerade stehen Superabschreibungen im Raum. Wenn die kommen, kann die Empirie in drei bis vier Jahren beschreiben, wer und unter welchen Umständen sie in Anspruch genommen hat – oder auch nicht.

Die betriebswirtschaftliche Steuerlehre würde sagen: Es gibt eine neue Norm, die im Raum steht, die Superabschreibung, die wird Investitionsentscheidungen von Unternehmen betreffen. Dann wird man zunächst einmal modellieren, was typische Investitionsobjekte sind. Die sind gekennzeichnet durch eine bestimmte Anschaffungsauszahlung und eine bestimmte Abnutzung über eine bestimmte Abnutzungsdauer. Dem würde man gegebenenfalls noch die Einnahmenseite gegenüberstellen. Dann wird man in dieses Modell Steuerwirkungen einbeziehen, also wie sich die Superabschreibung steuerlich auswirkt. Daraus leitet die betriebswirtschaftliche Steuerlehre die angesprochenen normativen Hinweise ab. Im Idealfall schaffen wir es, über eine gute Modellierung ohne viele Prämissen zu sagen: „Die Superabschreibung ist immer sinnvoll.“ Es kann aber auch sein, dass wir anhand des Modells sagen, dass die Superabschreibung nur bei langen oder kurzen Laufzeiten oder stabilen Gewinnsituationen zielführend ist.
Förster: Nehmen Sie die Thesaurierungsbegünstigung für nicht entnommene Gewinne bei Personengesellschaften (§ 34a EStG). Da diese Regelung optional ist, stellt sich die Frage ihrer Vorteilhaftigkeit, die modelltheoretisch gut untersucht werden kann. Damit kann ermittelt werden, dass die Regelung für Personen, die dem Spitzensteuersatz von 45% unterliegen, bereits dann vorteilhaft ist, wenn die nicht entnommenen Gewinne etwas mehr als ein Jahr im Unternehmen verbleiben. Steuerpflichtige, die einem (Differenz-) Steuersatz von 42% unterliegen, müssen die nicht entnommenen Gewinne je nach Zinssatz fünf bis zehn Jahre im Unternehmen belassen. Das ist eine wichtige Information. Es ist eine Analyse, die dem Steuerpflichtigen hilft, sein Entscheidungsproblem zu klären – im Vorhinein.

Aber ist das Wissenschaft?
(Beide lachen laut auf.)
Förster: Ist das Beschreiben empirischer Sachverhalte Wissenschaft?

Ich wollte Sie jetzt gar nicht schockieren. Die Frage, die ich mir gestellt habe, war nur: Das ist doch eine sehr konkrete Handlungsanleitung. Die Private-Clients-Praxen der Steuerberatungsgesellschaften, für die wir auch schreiben, würden jetzt ganz genau mitschreiben. Das ist so schon eine klare Anwendungsorientierung. Wir reden aber über Steuerlehre an Universitäten und nicht unbedingt an Fachhochschulen. Ist das in dem Sinne noch universitär oder eher ein Metier der Fachhochschulen oder sogar der betrieblichen Ausbildung in den Beratungen?
Meyering: Franz Findeisen wird als Begründer der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre angesehen. Und der hat sinngemäß gesagt, dass der Steuerpflichtige nicht nur wissen muss, was zu tun ist, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden, sondern er muss sich auch darüber informieren, was er tun kann und soll, damit seine Steuern minimiert werden. Das hat Findeisen der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre ins Lastenheft geschrieben. Die im Idealfall allgemeingültige Beantwortung dieser Frage, also auf einen konkreten Einzelfall bezogen, ist Aufgabe der Wissenschaft, gehört also an Universitäten.

Also im Grunde wie in einer Ingenieurswissenschaft?
Meyering: Genau, Technische Universitäten, die TUs, sind Orte anwendungsorientierter Forschung. Sie machen im Kern nichts anderes.

Förster: Wissenschaft kann man nicht auf Beschreibung oder Erklärung reduzieren. Der Gestaltungsauftrag gehört auch zur Wissenschaft dazu. Normative Überlegungen und die Modelltheorie liefern die Hypothesen für diejenigen, die empirisch etwas testen möchten. Das Fach braucht die Vielfalt, und alle Methoden sollten sich in dem Fach wiederfinden. Das ist leider im Moment nicht der Fall.

Dann sehen Sie das Gleichgewicht in der Methodenvielfalt in Gefahr
Meyering: Ja, schaut man sich die Entwicklung der letzten 15 bis 20 Jahre beim akademischen Nachwuchs an, muss man konstatieren, dass kaum noch anwendungsorientiert gearbeitet wird.
Förster: Der Grund dafür ist die Forschungsleistungsbewertung, also die Art und Weise, wie heute Forschungsleistungen in der Betriebswirtschaft und der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre bewertet werden. Das hat eine klare Lenkungswirkung.

Können Sie dies konkretisieren?
Förster: Forschungsleistungen werden anhand von Publikationen bewertet. Dies ist im Grundsatz gut und richtig. Allerdings werden nicht alle Publikationen berücksichtigt, zum Beispiel keine Buchpublikationen oder Publikationen in Sammelbänden, sondern es erfolgt eine Konzentration auf Zeitschriftenpublikationen. Und selbst bei diesen schaut man nicht, was konkret geschrieben worden ist, obwohl es der richtige und redliche Weg wäre, sich mit dem Inhalt des Publizierten auseinanderzusetzen. Aber dies ist natürlich schwierig.
Meyering: Und aufwendig.

Förster: Stattdessen wird bei der Bewertung das Rating der Zeitschrift übernommen, in der der Beitrag publiziert wurde. Entscheidend ist nicht mehr der Inhalt der Publikation, sondern nur noch die Verpackung. Es kommt darauf an, wie viele Beiträge ein Forscher in Zeitschriften publiziert hat, die mit A+ bewertet sind, und wie viele in Zeitschriften der A-, B- oder C-Kategorie. Die Forschungsleistung wird also durch „Abzählen“ ermittelt.

In den zugrunde liegenden Zeitschriften-Ratings finden sich in den obersten Kategorien, insbesondere der Kategorie A+, regelmäßig ausschließlich US-amerikanische Zeitschriften. Die meisten aus dem Accounting, einige aus der Finanzwissenschaft. Dies hat zur Folge, dass seriöse Untersuchungen zum deutschen Steuerrecht normativer oder modelltheoretischer Art dort gar nicht vorkommen. Denn warum sollte eine US-amerikanische Zeitschrift einen Beitrag über Zweifelsfragen der Wegzugsbesteuerung oder über Thesaurierungsdauern in deutschen Personengesellschaften veröffentlichen?

Das sind doch privat geführte Zeitschriften?
Meyering: Nicht nur, teilweise hängen diese auch an Universitäten. Aber die Mehrheit dieser Zeitschriften ist privatwirtschaftlich organisiert.

Auf welche Rankings beziehen Sie sich genau?
Förster: In Deutschland wird das Ranking des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft viel genutzt, das kurz vor einer Neuauflage steht und bei dessen erstmaliger Auflage ein Framing zugunsten US-amerikanischer Zeitschriften erfolgte. Aber auch in anderen Ratings finden sich in den obersten Kategorien überwiegend US-Accounting- oder -Public-Finance-Zeitschriften. Dort kommt die Betriebswirtschaftliche Steuerlehre oft gar nicht vor. Die Wirkung ist, dass normative oder modelltheoretische Untersuchungen zum konkreten deutschen Steuerrecht praktisch keine Chancen auf eine hochrangige Bewertung haben. Reale Chancen auf eine erfolgreiche Platzierung bestehen regelmäßig nur für empirische Beiträge, insbesondere für Datenbankstudien zu Fragestellungen multinationaler Unternehmen. Auch Befragungsstudien haben es sehr schwer. Das hat natürlich eine Lenkungswirkung. Denn ein junger Forscher, der anstrebt, einen Lehrstuhl zu bekommen, wird sich natürlich fragen, was für eine möglichst hohe Bewertung zu tun ist. Und dann wird er seine Forschungsmethodik und seine Forschungsthemen entsprechend ausrichten.

Ist das denn ein rein nationales Ranking?
Meyering: Der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft ist ein deutscher Verband. Dem Ranking liegt eine Umfrage unter den Mitgliedern des Verbandes, konkret unter deren wissenschaftlichen Kommissionen, zugrunde. Professor Förster und ich gehören zum Beispiel der „Wissenschaftlichen Kommission Betriebswirtschaftliche Steuerlehre“ an. Auch dort fand bereits ein gewisses Framing statt. So wurden Zeitschriften zum internationalen Steuerrecht als besonders wichtig eingestuft, auch von Leuten, von denen man weiß, sie haben die betreffende Zeitschrift noch nie in der Hand gehabt. Aber es klingt international – wird schon gut sein. So ist ein völlig schräges Bild entstanden. Wenn man sich innerhalb einer Universität als Forscher positionieren möchte, hat man es mit Kolleginnen und Kollegen zu tun, deren Fächer sind weltweit die gleichen: Mathematik oder theoretische Physik etwa. Da spielt es keine Rolle, ob ein Kollege in Deutschland, Frankreich oder Brasilien forscht und arbeitet. Die werden alle wissen, was anspruchsvoll ist und welche Zeitschrift die höchstwertige ist.

Aber in dem Moment, in dem wir über Fächer reden, in denen es nicht so weltumspannend ist, wie beispielsweise in der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, die naturgemäß sehr national ausgerichtet ist, funktioniert dies so nicht. Schon Steuerprofessoren aus Österreich, die uns steuerkulturell sehr nahe sind, bewerten Zeitschriften anders als wir. Noch unterschiedlicher wird es, wenn wir über den großen Teich schauen. Die Amerikaner können mit unseren deutschen Steuerfragen nicht viel anfangen. Zudem haben sie eine andere Wissenschaftskultur, steuerliche Anwendungsorientierung als Wissenschaft ist dort kaum bekannt.

Durften bei dem Ranking im Bereich Steuern nur Steuerleute abstimmen oder durfte jeder abstimmen, was die Qualität einer Zeitschrift anbelangt?
Meyering: Über reine Steuerfachzeitschriften durften grundsätzlich nur die Mitglieder unserer Kommission abstimmen. Bei Zeitschriften, die auch den Bereich Accounting oder Finance abdecken, durften aber auch die Mitglieder der anderen Kommissionen mit abstimmen.

Wenn man gemein wäre, könnte man behaupten, dass sich die deutschen steuerlichen Hochschullehrer dies selbst eingebrockt haben?
Meyering: Böse gesagt, kann man das so formulieren. Anders ausgedrückt: Die Kollegen im Marketing haben von Anfang an erkannt, welche Wirkung ein solches Ranking haben wird. Bei uns im Fach ist man eher defensiv und bedächtig herangegangen und hat vorsichtig bewertet. Die erste Umfrage ist rund zwanzig Jahre her. Und damals kam es zu besagtem Framing. Wenn aber eine Zeitschrift einmal als C oder D gewertet wurde, holen sie diese aus diesem Keller nicht wieder heraus.

Dann hat faktisch dieses Labeling dazu geführt, dass bei der Neubesetzung eines Lehrstuhls nur der beim Vorsingen eine Chance hatte, der möglichst viel in A+-Magazinen publiziert hat?
Meyering: Ich möchte eines zur Ehrenrettung unserer Altvorderen anbringen: Die Bedeutung von Rankings in der Forschungsleistungsbewertung war damals eine ganz andere als heute. Damals war klar, dass Berufungsverfahren die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Publikationen der Bewerber erfordern. Als das erste Zeitschriftenranking herauskam, hat in der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre kaum jemand darüber nachgedacht, dass sich dadurch an den Berufungsverfahren etwas ändern könnte. Damals hatten diese Rankings kaum eine Bedeutung. Das hat sich über die vergangenen zwanzig Jahre hinweg deutlich geändert.

Förster: Wenn die Steuerlehreprofessur an einer Universität vakant ist und neu besetzt werden soll, sitzen in der Berufungskommission in der Regel keine Steuerexperten. Denn der bisherige Steuerexperte ist ja weg. Also sitzen dort Kollegen, die keine Spezialisten des Faches sind und die sich bemühen, die beste Besetzung für die Professur herauszufiltern. Und da ist es in der BWL – anders als in anderen Fächern – derzeit gängige Praxis, dass die Anzahl der Publikationen der Bewerber in A+-, A-, B- und C-Zeitschriften getrennt nach den Kategorien schlicht abgezählt wird.

Das heißt, steuerliche Laien greifen bei der Besetzungsauswahl zu diesem Ranking, das eigentlich vom Ursprung her gar nicht für diesen Zweck gedacht war?
Förster: Das ist traurig, aber so ist es in vielen Fällen. Der entscheidende Punkt ist, dass man sich früher wirklich mit den Publikationen der Bewerber auseinandergesetzt hat. Das tut man heute nicht mehr. Die Rankingposition der Zeitschrift überträgt man auf die vermutete Qualität des Beitrages. Das ist schlichtes Abzählen.

Für mich klingt das wie eine Bankrotterklärung.
Meyering: Bei den Rankings steht jedes Mal auf einem Beipackzettel, dass die Rankings nur zur Orientierung vorgesehen sind, aber nicht zur Forschungsleistungsbewertung verwendet werden dürfen. Nur es hält sich keiner dran.
Förster: Es wäre wahnsinnig wichtig, dass man wieder zu wissenschaftlichen Standards zurückkehrt und sich inhaltlich anschaut, was konkret publiziert wurde und wie die Originalität, der Erkenntnisgewinn und der Neuigkeitswert dessen einzuschätzen ist. Und nicht nur, in welchem Päckchen es verpackt wurde.
Meyering: Die Simplifizierung der Forschungsleistungsbewertung reicht kaskadenartig bis nach oben – am Ende bis zu der Frage, wieviel finanzielle Mittel Universitäten bekommen.

Was müsste geschehen, damit sich die Situation insgesamt ändert?
Meyering: Der Bereich der Forschungsleistungsbewertung über die Rankings des VHB gehört abgeschafft. Die Rankings setzen nur Fehlanreize. Ich wüsste keinen Bereich, in dem sie nützen. Es sind nur Umfragen, keine objektiven Bewertungen – und schon gar nicht der einzelnen Forschungsleistung. Auch wenn ein Beipackzettel dabei ist, die Rankings werden angewendet und führen zu massiven Fehlanreizen. Stattdessen müssen Publikationen in Berufungsverfahren wieder gelesen und bewertet werden. Es geht um den Inhalt und die Qualität eines Beitrags. Nicht um sein Publikationsmedium.

Förster: Das denke ich auch. Es kann nicht richtig sein, die wissenschaftliche Qualität eines Kollegen oder einer Kollegin danach zu beurteilen, wo er oder sie publiziert hat. Wissenschaftliche Redlichkeit erfordert, sich den wissenschaftlichen Output vorzunehmen, zu lesen und zu beurteilen. Es muss wieder eine unmittelbare Kenntnisnahme des Geschriebenen stattfinden. Denn es geht doch um die Bewertung des Forschers und der Forscherin und nicht darum, wo publiziert wurde. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wenn man sich die Beiträge in A+ Zeitschriften anschaut, gibt es ganz wenige Beiträge, die sehr häufig zitiert werden. Und es gibt viele Beiträge, die praktisch nie zitiert werden. Die derzeitige Praxis führt dazu, dass die kaum zitierten Beiträge als Trittbrettfahrer von der hohen Bewertung der Zeitschrift profitieren – und das ungerechtfertigt.

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