JUVE Steuermarkt: Die Deutsche Bahn stand zuletzt immer wieder massiv in der Kritik – unter anderem wegen Verspätungen, dem maroden Schienennetz und schlechter Kundenkommunikation. Inwiefern sind Sie in der Steuerfunktion davon betroffen?
Hella Schmidt-Naschke: Von der Kritik an sich sind wir nicht unmittelbar betroffen, da wir ja als Steuerabteilung nicht unmittelbar Einfluss auf unsere Unternehmensperformance gegenüber dem Kunden haben. Die Arbeit bei der Deutschen Bahn ist trotzdem speziell. Zwar sind die steuerlichen Gesetze für Unternehmen unserer Größe alle gleich. Trotzdem ist die Vielfalt an Themen, mit denen wir es zu tun haben, beeindruckend. Wir befördern Menschen ja nicht nur mit dem Fernverkehr. Wir sind auch verantwortlich für die Schieneninfrastruktur, betreiben Regionalzüge, S-Bahnen und ganze Busunternehmen. Mit DB Schenker haben wir einen großen Logistikdienstleister und mit DB Arriva auch ein britisches Unternehmen im Portfolio. Da ergeben sich natürlich viele steuerrechtliche Fragen und Herausforderungen. Zudem kommen noch Besonderheiten bei Finanzierungen hinzu, weil sich zum einen die öffentliche Hand an der Finanzierung der Infrastruktur beteiligt und wir zum anderen Gelder am Kapitalmarkt aufnehmen.
Was treibt sie derzeit am meisten?
Wir haben im Moment enorme Vorbereitungsaktivitäten im M&A-Bereich, das ist ein sehr großer Aufwand. Und natürlich das zunehmende Tagesgeschäft. In den vergangenen zwei Jahren hat der Gesetzgeber viel auf den Weg gebracht. Insofern sind es spannende Zeiten.
Inwiefern?
Die deutsche Bahn ist ein Konzern mit mehreren hundert Gesellschaften in vielen Ländern dieser Erde. Da ist steuerliche Compliance natürlich eine besondere Herausforderung. Zuletzt hat uns unter anderem das Plattformen-Steuertransparenzgesetz stark beschäftigt.
Die deutsche Bahn ist aber doch kein Plattformbetreiber.
Tatsächlich betrifft dies viel mehr Unternehmen, als man gemeinhin denkt. Bei großen Unternehmen gibt es zum Beispiel viel Bedarf an Büromaterialien. Viele Unternehmen stellen hierfür heute schon externe oder eigene Plattformen zur Verfügung, über die Unternehmen diese Produkte zum Verkauf anbieten. Es kann auch um die Vermietung beziehungsweise Vermittlung von Wohnraum gehen und vieles weitere. Deshalb haben wir zuletzt eine digitalgestützte Abfrage gemacht, um herauszufinden, wo sich diese Plattformen im Konzern überhaupt befinden. Ein großer Aufwand. Und dabei ist aktuell noch unklar, wie der Meldeweg an die Finanzverwaltung dann aussehen wird.
Woran liegt das?
Durch die Schnelligkeit der Gesetzgebung und die immer kürzeren Umsetzungsfristen ist es für die Verwaltung extrem schwer, der Gesetzgebung rechtzeitig nachzukommen. Das gilt es zu begleiten und zu lösen. Es kommen aktuell immer weitere Berichtspflichten und geänderte Erklärungspflichten hinzu. Als Unternehmen wünschen wir uns, dass darüber der Dialog eröffnet wird, was aus den eingereichten Meldungen wird. Darüber möchten wir sprechen. Wir melden beispielsweise über das Country-by-Country-Reporting. Aber die Berichtspflichten landen gefühlt ‚im Off‘. Anstatt zu kommunizieren, ob die Berichtspflichten etwas ändern und wir sinnstiftend weitermachen können, findet keine öffentliche Diskussion dazu statt.
Und nun sollen noch die Meldepflichten für nationale Steuergestaltungen hinzukommen. Eine gute Idee?
Ehrlich gesagt: Dieses Thema wurde gar nicht mehr so heiß diskutiert, weil wir ja bereits unsere Erfahrung mit DAC 6 haben, also den Meldepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Trotzdem wird dies natürlich erneut einen neuen Compliance-Aufwand nach sich ziehen. Und das ärgert mich. Denn auch bei DAC 6 wurde praktisch nichts ausgewertet. Was sich erhöht, sind die Compliance-Kosten.
Und dafür brauchen Sie immer mehr Mitarbeiter, oder? Zumindest schalten Sie eine Menge Stellenanzeigen für ihre Steuerfunktion.
Ja. Die zunehmenden Berichtspflichten zwingen uns zu reagieren. Und der Personalmarkt ist hart umkämpft. Die Gehaltsentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sind ebenfalls eine Herausforderung. Und wir sind ein reguliertes Unternehmen, das der Tarifautonomie unterliegt. Wir können nicht jede Marktentwicklung sofort mitgehen. Es ist schwierig.
Kann Künstliche Intelligenz hier Abhilfe schaffen?
Hier verfolgen wir eine ganz klare Strategie. Wir schauen uns immer mehr den Prozess an und fragen uns: Wie kann man diesen digital am besten abwickeln und möglichst personalschonend umsetzen? Digitalisierung und Automatisierung werden helfen, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wie können wir unter anderem KI sinnstiftend einsetzen, damit sie uns unterstützt? Heute gehört eine gewisse Digitalaffinität zum Job einfach dazu.
Und diese kommt einfach on top hinzu?
Ich würde gerne aus vollem Herzen sagen: Das macht alles nur spannender. Und das tut es auch. Aber es fordert die Kolleginnen und Kollegen auch immer mehr. Man merkt es in unserer Branche ganz besonders. Wir arbeiten mit mehr als 13 Tax-IT-Systemen – das ist schon sehr vielfältig. Wir werden aber auch vorsichtiger und schauen uns genau an, was es aus dem Markt gibt. Und man muss sich auch immer wieder Fragen: Wofür braucht es wirklich eine digitale Lösung? In Zukunft wird es auch mehr Schnittstellen von und zu den Verwaltungen geben, die wir gegebenenfalls unmittelbar nutzen können – zum Beispiel zum Bundeszentralamt für Steuern (BZSt).
Werden Lösungen von Beratern und Unternehmen dann obsolet?
Nein, aber auch hier würde eine offenere Kommunikation guttun. Beispiel: TCMS. Viele Unternehmen haben diese – mit oder ohne technische Lösung – entwickelt und aufgesetzt. Derzeit schaut sich die Finanzverwaltung die Systeme ja an und bildet sich eine Meinung, ob und in welchem Umfang sie technisch unterstützte Lösungen für gute Systeme für erforderlich hält, damit die Steuerpflichtigen die im Gesetz angekündigten Prüfungserleichterungen bekommen können.
Und das Feedback dafür fehlt derzeit noch?
Ja, auf übergeordneter Ebene zumindest. Manchmal ist die Zusammenarbeit aber auch sehr gut. Wir haben vor einigen Jahren zum Beispiel eine Tool-Lösung für die Betriebsprüfung entwickelt und stehen hier in sehr regem Austausch mit dem lokalen Finanzamt und dem BZSt. Da gibt es regelmäßige Meetings. Und was ist passiert? Ein erfolgreiches BP-Management auf beiden Seiten hat dazu geführt, dass wir schon jetzt die Steuererklärungen für 2021 und 2022 in der Betriebsprüfung haben. Immer wenn sich Partner zusammensetzen und einen Modus Operandi finden wollen, funktioniert das sehr gut. Aber wir haben zu viele Lücken. Die Initiativen aus dem BEPS-Projekt (kurz für das Base Erosion and Profit Shifting-Projekt der OECD; Anm. d. Red.) müssen stärker analysiert werden. Zudem würde ich mir eine ernsthafte Initiative wünschen, die das Thema Steuern vereinfacht.
Dann müssten Sie sich doch über die aktuelle Initiative der Europäischen Union freuen: BEFIT (kurz für ‚Business in Europe: Framework for Income Taxation‘). Die Kommission verspicht nicht nur EU-weit einheitliche Besteuerungsvorschriften, sondern auch einen Abbau von Bürokratie.
Das finde ich grundsätzlich begrüßenswert. Man hat hier den Faden wieder aufgenommen, und das ist das richtige Anliegen. Ich bin aber kritisch: Es läuft unabhängig und trotzdem parallel zur globalen Mindestbesteuerung, also Pillar II. Aber beides zielt letztlich auf dasselbe hinaus. Generell erhalten OECD und EU eine immer größere Rolle in Bezug auf das Steuerrecht. Die Initiativen im internationalen Bereich müssen gut aufeinander und mit den nationalen Vorhaben abgestimmt werden. Und die Unternehmen müssen natürlich auch die Zeit habe, alles umzusetzen.