Megatrends sind im Steuerbereich eher selten. Verglichen jedenfalls mit anderen Branchen, in denen ein Hype den nächsten jagt. Es geht – aus berechtigten Gründen – eher um Kontinuität als um Kreativität im Metier. In den letzten 20 Jahren gab es vielleicht zwei solcher Megatrends: der Aufstieg der Verrechnungspreisberatung im Zuge zunehmender Internationalität und natürlich das Tax Compliance Management. Beide Prozesse führten die Steuerberatung weg vom rein steuerjuristischen Hochreck der komplexen Gestaltungsberatung hin zu Betriebsabläufen und Wertschöpfungsketten – also weg vom Galadiner in weißen Samthandschuhen am Kapitänstisch hinab in die Öl verschmierten Maschinenräume knapp oberhalb der Wasserlinie. Letztere waren bislang der Umsatzsteuerberatung vorbehalten.
Nun könnte diesen beiden Megatrends ein dritter folgen und zeigen, dass die Titanic-Allegorie nicht völlig deplatziert ist: Denn der Stahlkoloss stammt aus einem industriellen Zeitalter, das auf die Verbrennung fossiler Energieträger als zentrale Energiequelle setzte. Heute aber gilt es, die Ökonomie auf klimaneutrales Wirtschaften auszurichten. Daraus folgt die Einpreisung und Erhebung völlig neuer, nämlich nicht-fiskalischer Daten und Werte in der Unternehmenskalkulation.
Der steuerliche Megatrend könnte nun sein, an diese Datenerhebung und -verarbeitung in Form eines ESG-CMS anzuknüpfen. Damit würden Steuerleute zum selbstverständlichen Teil der Nachhaltigkeitsorientierung und -berichterstattung – und fänden endgültig ihren Platz im Maschinenraum. Genau hier besteht auch der Unterschied zum ESG-Trend in den Rechtsanwaltskanzleien. Denn der Anknüpfungspunkt ist ein anderer. Das Thema ist für die Steuerberatungsgesellschaften im Wortsinne deutlich physischer und datenlastiger – und stellt daher auch andere Anforderungen.
Tax-Compliance als Teil von ESG
„Wir können bestätigen, dass das Thema ESG auch im Steuerbereich zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dabei ist die Schnittstelle zu den Non-Financial-Reportings ein relevanter Aspekt“, sagt Stefanie Nattkämper-Scholz aus der Geschäftsbereichsleitung Tax der Next-Seven-Beratung Grant Thornton.
Zentrale Themenfelder sind für Nattkämper-Scholz Prozessanalysen wie im Rahmen der Überwachung von Lieferketten im Zuge der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und weitere Initiativen auf EU-Ebene wie die ebenfalls auf die Lieferketten bezogene Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D). Zudem sieht die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vor, dass der Nachhaltigkeitsbericht in den Lagebericht wandert, der als Teil des Geschäftsberichts zusammen mit dem Jahresabschluss vom Wirtschaftsprüfer geprüft werden wird – somit nachprüfbar sein muss und an Bedeutung gewinnt. Dabei rücke die Erfüllung der Steuercompliance zunehmend in den Fokus.
„Dies führt dazu, dass unsere Mandanten – wiederum als Teil einer überwachten Lieferkette – zunehmend die Implementierung von Tax Compliance Management Systemen vorantreiben und sich zur Erfüllung steuerlicher Compliance-Anforderungen in den Non-Financial-Reportings äußern“, so Nattkämper-Scholz. „Wir nehmen verstärkt wahr, dass die Steuerquote nicht mehr nur aus dem Blickwickel möglicher Steuerersparnisse gesehen wird. Vielmehr gerät der Aspekt einer fairen Steuerverteilung in den Fokus. Die Diskussion im Rahmen unserer Projekte zu Pillar II erweisen sich als Treiber zur Betrachtung der Verteilung des Steueraufkommens und damit letztlich der Steuerquote.“ Mandanten entschieden zunehmend im Rahmen einer Schwerpunktsetzung, dass die Erfüllung steuerlicher Compliance-Anforderungen Teil des ESG-Reportings sein sollen. Dies erfolge sodann in gemeinsamen Projekten mit den Kolleginnen und Kollegen aus Audit und Advisory.
Noch einiges an Handlungsbedarf sieht der Zoll- und Verbrauchsteuerexperte der steuerzentrierten Anwaltskanzlei Flick Gocke Schaumburg Rainald Vobbe: „CSRD wird in den Unternehmen immer noch stiefmütterlich behandelt.“ Dabei gebe es diverse Schnittstellen in den Bereich Steuern. „ESG beinhaltet generell eine erhöhte Anforderung an Steuertransparenz. Insbesondere hinsichtlich der Frage, wo, also in welchem Land Steuern entrichtet werden und wieviel“, so Vobbe. Um diese Anforderungen abzubilden, seien auch prozessuale und digitale Umsetzungen nötig. „Wo es noch kein Compliance-Management-Programm gibt, ist dessen Einrichtung ein wichtiges Thema.“
Vobbe geht davon aus, dass so die Nachhaltigkeitsberichterstattung dem Thema CMS und damit dem TCMS nochmal Schub verleihen wird. Damit werde aber das Problem aufgeworfen, wer in Sachen Nachhaltigkeitsberichterstattung und ESG in einem Unternehmen eigentlich den Hut auf habe. „Liegt die Hoheit im Accounting oder in der Steuerfunktion?“, fragt Vobbe. „Es ist häufig noch nicht klar, wer besonders bei der CSRD in den Unternehmen verantwortlich sein wird.“ Dabei müsse eine neue Zuständigkeit schon häufig deshalb her, weil die bisher eher unverbindlichen Nachhaltigkeitsberichte häufig vom Marketing erstellt worden seien. Durch die in Zukunft erforderliche Nachprüfbarkeit müssen nun aber viel mehr KPIs und Hard Facts miteinbezogen und systematisch aufbereitet werden. „Viele Unternehmen sind hier noch auf der Suche nach dem richtigen Setting“, sagt Vobbe.
Der FGS-Partner hält die Integration des ESG-Reportings in bestehende Systeme für notwendig: „Es ist ineffizient, wenn die Systeme nicht verzahnt werden. Wer ein Tax CMS hat, der kann steuerliche Daten auch im ESG-Bericht bereitstellen.“ Es komme auf ein intensives interdisziplinäres Zusammenarbeiten an. Dabei seien in Unternehmen einige Hürden zu überwinden. Wenn beispielsweise die Überwachung der Lieferkette in einem Unternehmen beim Einkauf angesiedelt sei, ergeben sich andere Prozesse, als wenn die Rechtsabteilung darüber wache.
Zustimmung dazu kommt von Vobbes Partnerkollegen Holger Maier, Geschäftsführer FGS Digital, dem Tax-Tech-Ableger der Anwaltskanzlei: „Wir sehen das Thema ESG nicht nur als gesellschaftliche Verantwortung, sondern als ein weiteres strategisches Handlungsfeld an. Wir beobachten, dass viele unserer Mandanten das Thema primär in ihren ERP-Systemen lösen möchten. Wir glauben jedoch, dass dies nur ein Startpunkt sein kann, da neben der Datenerhebung auch die Transparenz, das Mapping auf die EU-Taxonomie, deren Analyse und die Automatisierbarkeit, insbesondere durch KI, künftig wesentliche Elemente für einen effizienten Reportingprozess sein werden.“
Vernetzte Themen, vernetzte Beratung
Den radikalsten Weg in der Umsetzung des ESG-Trends geht derzeit die Bonner Steuer- und IT-Boutique Greenfield. Die Gesellschaft um die Partner Stephanie Henseler, Andreas Homrighausen und Ralph Doll hat mit Kaspar Kühl dazu gerade eine eigene Sparte mit dem Ziel einer integrierten Beratung ins Leben berufen: „Nachhaltiges wirtschaftliches Handeln ist mittlerweile gesellschaftlicher Konsens. Verbunden mit der zunehmenden öffentlichen Debatte fordern neue regulatorische Anforderungen Unternehmen zum Handeln auf. Es gilt, sich ökologisch und sozial nachhaltig aufzustellen, ohne langfristige Produktivitätsziele zu gefährden“, sagt Kühl.
Beratungshäuser stießen bei der Begleitung dieser umfassenden Transformation an die Grenzen ihrer eigenen Spezialisierung. So seien Wirtschaftsprüfer auf Prüfung und Reporting eng angelehnt an neue regulatorische Anforderungen (beispielsweise CSRD) fokussiert. Steuerberater dagegen seien vor allem in Spezialthemen wie die Besteuerung elektronischer Dienstwagen oder die EU-Plastiksteuer involviert. Energieberater erstellten wiederum Modernisierungskonzepte für Produktionsanlagen. „Alle Initiativen sind für sich betrachtet sinnvoll, entfalten jedoch nur im koordinierten Verbund ihre volle Wirkung“, so Kühl. „Eine strategisch fundierte und langfristig orientierte ESG-Transformation gelingt nur im Zusammenspiel aller Beteiligten. Alle notwendigen Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement, Green Reporting und Umsetzung (Minderungsprojekte) sollten an einen Tisch gebracht werden“, fordert der Berater.
Bei WTS sieht man die Situation ähnlich: „Die Unternehmen haben Nachhaltigkeit als Thema längst erkannt, sind aber häufig in einer Orientierungsphase, die noch nicht abgeschlossen ist“, sagt die Partnerin Karen Möhlenkamp, Verbrauchsteuerchefin von WTS. Vor allem drei Bereiche müssten angegangen werden: „Steuern, Regulatorik und Reporting“. Über allem schwebe die Digitalisierung. „Sobald etwas obligatorisch ist, muss es auch in digitalen Prozessen umgesetzt und abgebildet werden“, sagt Möhlenkamp. Dabei falle auch die klassische, strikte Trennung zwischen Tax und Legal zugunsten von Teamlösungen: „Regulatorisch-rechtlich sind der Emissionshandel und CBAM bei Importen. Die Preiserhöhungen auf Energie betreffen dagegen die Steuerseite.“ Insbesondere, wenn der Spitzenausgleich bei der Strom- und Energiesteuer wegfalle.
„Die Zielvorgaben der EU hin zu einer verbesserten Klimaneutralität sind herausfordernd“, so Möhlenkamp. Damit der europäische und nationale Gesetzgeber diese erreiche, setze er auf einen Instrumentenmix aus zahlreichen steuerlichen und regulatorischen Gesetzesinitiativen sowie die sich stetig ausweitenden Reportingpflichten. Die europäischen und nationalen Instrumente dienten der Erhöhung der CO2-Kosten auf fossile Energieträger. Dies erfolge durch die Energie- und Stromsteuer, bei E-Fuels in Abgrenzung zur Alkoholsteuer, aber auch durch den EU-Emissionshandel, den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) mit Schnittstellen zum Zoll und dem EU-Zertifikatehandel. Darüber hinaus werden umweltschädliche Produkte wie zum Beispie Plastik mit Zusatzkosten belegt.
„Das zeigt schon, wie komplex und vielseitig das Thema ist. Deshalb denken wir im Zusammenhang mit der Regulierung von Sustainability nicht in Silos, sondern verfolgen einen integrierten Beratungsansatz, bei dem wir Unternehmen dabei helfen, ihren individuellen Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu finden“, sagt Möhlenkamp. „Spätestens seit dem GRI 207-Standard haben Steuern ihren festen Platz in der Nachhaltigkeitsberichterstattung gefunden und auch die von uns beratenen Unternehmen verzahnen das Thema abteilungsübergreifend immer stärker.“ Ende 2019 hat die Global Reporting Initiative (GRI) erstmals einen dedizierten Indikator für die Berichterstattung über das Steuermanagement von Unternehmensgruppen sowie länderbezogene Informationen über deren ertragsteuerliche Situation veröffentlicht (GRI 207: TAX 2019, kurz GRI 207). Der Indikator ist Teil eines Rahmenwerks, das Unternehmen verwenden können, um ihre Verpflichtungen zur nicht-finanziellen Berichterstattung zu erfüllen.
Daten, Daten, Daten
Einen harten Übergang in Sachen Nachhaltigkeitsberichterstattung sieht der CSRD-Experte von Deloitte, Steuerexperte und Director Christian Wolz: „Bisher sind Nachhaltigkeitsberichte eher Marketingbroschüren nach dem Motto ‚Tue Gutes und sprich darüber‘.“ Das werde sich schlagartig ab 2024 ändern, sobald der Nachhaltigkeitsbericht Teil des Lageberichts und damit des Geschäftsberichts wird, der dem prüferischen Testat unterliegt.
„Jetzt geht es um die Nachprüfbarkeit der gemachten Aussagen“, so Wolz. Die dafür notwendigen nichtfinanziellen Daten kommen aber in den bisherigen Audittrails noch gar nicht vor. „Für qualitative und quantitative Aussagen zur Nachhaltigkeit stellt daher das Datenthema eine große Herausforderung für die Unternehmen da.“ Dazu müsste der Vertrieb und die gesamte Wertschöpfungskette miteinbezogen werden. „In den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) der CSRD werden über 150 KPIs abgefragt. Die müssen irgendwie ermittelt, erhoben und erfasst werden“, sagt Wolz. Dadurch müssten die bestehenden Prozesse in einem Unternehmen nochmal neu durch die Nachhaltigkeitsbrille betrachtet werden. Der Nachhaltigkeitsbericht nach der CSRD und insbesondere die Anforderung an dessen Nachprüfbarkeit reiche viel weiter als in aktuellen Berichten und schaffe erstmals Vergleichbarkeit.
Die Umsetzung in Unternehmensprozesse von den Quellsystemen in den Fachbereichen hin zu Aussagen nach den ESRS-Nachhaltigkeitsstandards sei als Game-Changer vergleichbar mit der Einführung der IFRS in der Finanzberichterstattung. „Da ESG-Auswirkungen auf alle Unternehmensteile ausstrahlen und sektorspezifische ESRS-Standards noch gar nicht veröffentlicht worden sind, wird das Thema die Unternehmen noch auf Jahre beschäftigen. Der Impact von Steuern sollte als cross-funktionales Schnittstellenthema bei Wertschöpfungsprozessen dynamisch abgebildet werden“, sagt Wolz. Deloitte verzeichne im FS-Tax-Bereich generell einen Anstieg von Anfragen zu Tax ESG aus Steuerabteilungen – unabhängig von laufenden CSRD-Projekten. „Der für die Umsetzung erforderliche hohe IT- und Personalaufwand wurde vom Gesetzgeber nicht ausreichend berücksichtigt“, konstatiert Wolz.
Auch bei der Next-Seven-Gesellschaft BDO sieht man das Thema im Kommen: „Die Themen Steuern, ESG und Non-Financial-Reporting wachsen zusammen, sowohl inhaltlich als auch organisatorisch. Bei BDO ist dies auch der Fall und führt zu einer sehr engen Zusammenarbeit“, sagt die Leiterin des Fachbereichs Sustainability Services der BDO, Partnerin Viola Möller.
Neben der faktischen Berichterstattung stellten sich ethische Fragestellungen zur Steuergerechtigkeit – Impact von Steuerzahlung oder Vermeidung –, die noch sehr schwer in einen prüfbaren Berichtskontext zu bringen seien. Hier taucht wieder das Thema Compliance auf, das auch Dr. Dirk Elbert, Steuerpartner bei BDO, unterstreicht: „Die ethische Frage der Steuergerechtigkeit gewinnt immer mehr an Bedeutung.“ Es sei sogar schon von NPOs zum Boykott einzelner Unternehmen aufgerufen worden, weil diese eine angeblich nicht verantwortungsvolle Steuerpolitik betrieben hätten.
Um solche Szenarien zu vermeiden, aber auch aus Überzeugung, würden sich einzelne Unternehmen im Rahmen ihrer Berichterstattung zunehmend dazu bekennen, eine verantwortungsvolle Steuerpolitik zu betreiben. Das kann bedeuten, keine künstlichen Strukturen zu unterhalten, keine Steuervermeidung zu betreiben, in Niedrigsteuerländern nur insoweit tätig zu sein, wie es die dortigen Geschäftsaktivitäten erfordern und Gewinne in den Ländern zu versteuern, in denen es auch die entsprechende Wertschöpfung (Substanz) gebe.
Nach der ersten Bestandsaufnahme steht daher eines fest: ESG und Steuern bedeuten mega viel Arbeit für Beratungsgesellschaften und Unternehmen. Ob ein Megatrend daraus wird, muss man sehen. Klar ist, dass das Thema Berater und Mandanten dazu zwingt, vernetzt zu agieren und sich neu aufzustellen. Das Ende des Prozesses ist offen.