Zoll und Außenhandel

EU-Zollreform: „Die Zollbehörden sollen künftig mehr Datenkontrolle ausüben“

Vor ziemlich genau einem Jahr hat die EU-Kommission Vorschläge zur Reform der Zollunion vorgelegt. Zentraler Bestandteil der Reform ist eine EU-Zolldatenplattform, die ab 2028 zumindest in Teilen nutzbar sein soll. Die Vorschläge der Kommission stellen Unternehmen und Berater vor erhebliche Probleme, meint Torsten Kühl, Rechtsanwalt und Inhaber der Bremer Zollrechtskanzlei Kühl. Im Gespräch mit JUVE Steuermarkt kritisiert er vor allem die deutlich steigenden Datenanforderungen, die weit über die klassischen Zolldaten hinausgehen.

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JUVE Steuermarkt: Herr Kühl, die Vorschläge der EU-Kommission für eine Reform der EU-Zollunion liegen jetzt seit rund einem Jahr auf dem Tisch. Worauf muss sich die Wirtschaft einstellen?
Torsten Kühl:
Kernstück der Zollreform ist die Einrichtung einer EU-Zolldatenplattform. Dies führt zu mehr Datentransparenz und damit auch zu einem verstärkten Datenabfluss aus den Unternehmen an die Zollbehörden. Ich sehe die Zolldatenplattform daher äußerst kritisch. Denn der Preis für eine mögliche Beschleunigung der Zollabwicklung ist ein sehr umfassender Zugriff der Zollbehörden auf die von den Unternehmen bei der Einfuhr zu übermittelnden Daten. Aufgrund der immer umfangreicheren Datenanforderungen werden dies zunehmend auch unternehmenssensible Daten sein, die weit über die klassischen Zollanmeldedaten hinausgehen. Die EU-Zolldatenplattform wird nicht nur ein ATLAS-System (Automatisiertes Tarif- und Lokales Zollabwicklungssystem; Anm. der Redaktion) auf europäischer Ebene, sondern ein riesiger europäischer Datenpool! Und der Zugriff anderer EU-Behörden auf diese Daten und die Verwendung der Daten dürfte kaum kontrollierbar sein. Hinzu kommt, dass sich der Schwerpunkt der Arbeit der Zollbehörden perspektivisch von der Erhebung von Einfuhrabgaben hin zur Überwachung von Einfuhrverboten und -beschränkungen verlagern wird. Die Folge könnten vorübergehende Einfuhrstopps sein, etwa wenn die Zollbehörden in Abstimmung mit den Marktüberwachungsbehörden zunächst die Rechtskonformität von Waren prüfen. Das Problem: Schon heute ist die Abstimmung zwischen Zoll- und Marktüberwachungsbehörden durch einen erheblichen Zeitverzug gekennzeichnet.

Was bedeutet das für die Zoll-Compliance in den Unternehmen?
Das Thema Zoll-Compliance wird in Zukunft eine noch größere Rolle in den Unternehmen spielen.  Durch die zunehmende Regulierung der Wareneinfuhr in die EU – ich nenne hier nur die Stichworte CBAM, Sorgfaltspflichten in der Lieferkette, Entwaldungs- oder Zwangsarbeitsverordnung – erstreckt sich Zoll-Compliance künftig auf alle Unternehmensbereiche. Zoll-Compliance wird in Zukunft weit mehr Themen abdecken bzw. koordinieren müssen als nur das reine Unionszollrecht. Dies erfordert ein Umdenken vor allem in den Unternehmen, die das Thema Zoll bislang als Steuerthema erfasst und verstanden haben. Auch die bußgeldrechtlichen Haftungsrisiken werden durch die Reform deutlich erhöht. Bußgelder für Zollrechtsverletzungen bestimmen sich gemäß Reformvorschlag anhand einer proportional zum Zollwert bzw. Warenwert berechneten Bemessungsgrundlage. Das bedeutet: je höher der Warenwert, desto höher das Bußgeld.

„Der Mehrwert der EU-Zollagentur ist fraglich“

Was halten Sie vom Vorschlag einer neuen EU-Zollbehörde, die ebenfalls zur Reform gehört?
Die EU-Zollagentur soll in erster Linie zwischen der Kommission und den Zollbehörden der Mitgliedstaaten moderieren und koordinieren. Sie wäre damit eine Art verwaltungsorganisatorische Klammer des Unionszollrechts auf Unionsebene. Kontakte mit den Wirtschaftsbeteiligten soll die Behörde laut Reformvorschlag nicht haben. Die EU-Zollagentur hat m.E. vor allem den Zweck, die verschiedenen Zollbehörden der Mitgliedstaaten zu stärken und zu bündeln und dadurch einen klar erkennbaren europäischen Zollverwaltungsverbund zu schaffen. Aus Sicht der EU macht die Zollagentur vielleicht Sinn. Aus Sicht der Wirtschaft ist der Mehrwert der Agentur fraglich.

Welche weiteren Punkte sehen Sie besonders kritisch?
Neben der Kritik an der EU-Datenplattform und der Änderung des Bußgeldsystems sehe ich vor allem die Änderung des AEO (Authorized Economic Operator; Anm. d. Red.) zum TCT (Trust and Check Trader; Anm. d. Red.) kritisch. Auch diese Änderung kann ich mir nur so erklären, dass die Zollbehörden künftig mehr Datenkontrolle ausüben sollen. Es scheint, dass der TCT in Zukunft – aufgrund der Systematik des reformierten Unionszollrechts aufgezwungene – der anzustrebende Status für Wirtschaftsbeteiligte sein wird. Wer kein TCT ist, muss dann mit einer nachteiligen Behandlung rechnen. Ein weiterer Punkt, der mir wichtig erscheint: Die Umstellung vom Anmelder zum Einführer bzw. Ausführer als Zollpflichtigen ist problematisch – und wird vermutlich gerade in der Anfangszeit zu Verwerfungen führen. Das Problem: Der heutige Anmelder ist klar definiert und entspricht dem steuerrechtlichen Gedanken, dass derjenige, der eine Steuererklärung bzw. Zollanmeldung abgibt, steuer- bzw. zollrechtliche Pflichten übernimmt und dafür haftet. Mir ist unklar, was passiert, wenn die Person des Einführers zukünftig nicht eindeutig bestimmt werden kann, aber dennoch Zollanmeldungen abgegeben werden (müssen). Das führt dann zu zusätzlichem Prüf- und Abstimmungsaufwand und auch zu Rechtsunsicherheit. 

Die Reform sieht auch die Abschaffung der Zollbefreiung für Waren mit einem Wert bis 150 Euro vor. Die Kommission rechnet mit Mehreinnahmen im hohen dreistelligen Millionenbereich, die Wirtschaft mit neuen bürokratischen Hürden. Wer hat Recht?
Die Abschaffung der 150-Euro-Freigrenze wird vor allem mit dem zunehmenden Onlinehandel mit Waren aus Drittstaaten begründet. Unterfakturierungen, also falsche oder zu niedrige Angaben von Zollwerten, und die Umgehung der Freigrenze, zum Beispiel durch die Aufteilung höherwertiger Sendungen auf mehrere Pakete, sollen damit künftig verhindert werden. Allerdings dürfte es auch nach Wegfall der Freigrenze zu Unterfakturierungen kommen. Denn diese hängt nicht von einer Wertgrenze ab, sondern von der Einstellung bzw. Motivation eines Onlinehändlers, eine Steuerhinterziehung zu begehen. Und diese Einstellung wird sich im Zweifel durch den Wegfall der Freigrenze nicht ändern.

Wo liegt dann das eigentliche Problem?
Das eigentliche Problem ist nicht die 150 Euro Freigrenze, sondern die riesige Menge an täglichen Päckchen und Paketen im internationalen Versandhandel. Um den korrekten Zollwert einer Sendung zu kontrollieren, muss der Zoll den angegebenen Wert mit der gelieferten Ware vergleichen. Doch angesichts der schieren Menge an Paketen ist das gar nicht möglich. Daher ist es mehr als fraglich, ob die erhofften Zollmehreinnahmen ohne signifikanten Mehraufwand, sprich ohne mehr Zollpersonal, realisiert werden können. Ein weiterer Punkt ist mir an dieser Stelle wichtig: wenn vor allem asiatische Onlinehändler billigste Waren per Onlinehandel in die EU verkaufen, dann entsprechen diese Waren häufig nicht den in der EU geltenden Gesetzen und Normen, etwa für Produktsicherheit, Lebensmittel- oder Markenrecht. Das Problem liegt also in einem Geschäftsmodell, das unter marktwirtschaftlichen und Nachhaltigkeitsgesichtspunkten nicht funktionieren kann. Die Konsequenz müsste sein, dieses Geschäftsmodell politisch und rechtlich zu regulieren. Und nicht, die Zollvorschriften zu ändern und darin eine vermeintliche Lösung zu sehen, die das eigentliche Problem gar nicht beseitigen kann.

Was fehlt aus Ihrer Sicht bei der Zollreform bzw. müsste unbedingt angegangen werden?
Meines Erachtens versäumt es die Kommission mit der Reform, ein modernes Verständnis der Rechtsanwendung im digitalen Zeitalter zu schaffen. Schon jetzt ist das Zollverfahrensrecht zunehmend formalistisch. Mit der Folge, dass selbst Steuer- oder Rechtsberater bei der Vertretung von Unternehmen von den Zollbehörden gezwungen werden, formalistische Vorgaben einzuhalten. Nur: Diese formalistischen Anforderungen haben in der Regel keinen Mehrwert für das eigentliche Verfahren oder den Rechtsstreit. Nichts ist allerdings einfacher für eine deutsche Zollbehörde, als Formalien zu prüfen, die nicht wirklich der Rechtsfindung dienen. Dadurch wird aber die Anwendung und Durchsetzung materiellen Zollrechts erschwert oder sogar verhindert. Auch die Digitalisierung führt dann nur zu einer digitalisierten Formalisierung.

„Die Direktverrechnung der Einfuhrumsatzsteuer wird kurzfristig nicht kommen“

Kommen wir zur Einfuhrumsatzsteuer, neben dem Zoll die zweite wichtige Importabgabe. Die Finanzminister der Bundesländer haben sich jüngst dafür ausgesprochen, die Direktverrechnung der Einfuhrumsatzsteuer mit der Umsatzsteuervoranmeldung voranzutreiben. Kommt das tatsächlich? Und wenn ja, wann?
Ich denke nicht, dass die Umsetzung der Direktverrechnung kurzfristig kommen wird. Die Vorbereitungen für die nächste Bundestagswahl laufen bereits. Ich gehe davon aus, dass die Direktverrechnung auch in der kommenden Legislaturperiode keine Priorität haben wird. Auch für die aktuelle Legislaturperiode war und ist die Einführung der Direktverrechnung kein Thema. Übrigens: Im aktuellen Koalitionsvertrag genießt das Thema Zoll keine hohe Priorität. Lediglich an einer Stelle taucht der Begriff Zoll auf, allerdings ohne, dass auf konkrete Vorhaben Bezug genommen wird.

Was würde die Direktverrechnung mit der Umsatzsteuervoranmeldung konkret bedeuten?
Die Direktverrechnung mit der Umsatzsteuervoranmeldung würde zu einer Trennung der behördlichen Zuständigkeiten bei der Wareneinfuhr führen. Derzeit sind die Hauptzollämter als Teil der Bundesfinanzverwaltung sowohl für die Erhebung der Zölle als auch der Einfuhrumsatzsteuer zuständig. Bei einer Direktverrechnung würde die Zuständigkeit für die Einfuhrumsatzsteuer zumindest teilweise auf die Länderfinanzbehörden übergehen. Das Problem: In Deutschland gibt es steuerhistorisch eine starke Präferenz zugunsten einer einheitlichen Erhebung von Zöllen und Einfuhrumsatzsteuer durch die Zollverwaltung. Ob man diese ,Obsession‘ einer einheitlichen Erhebung aufbrechen kann, erscheint mir fraglich. Dafür ist viel politischer Wille erforderlich.

Vielleicht kann die Rechtsprechung auf EuGH- bzw. BFH-Ebene hier einen wichtigen Impuls geben?
Wie bereits erwähnt, ist das deutsche Verständnis von der Vorstellung geprägt, dass die Zollverwaltung Zoll und Einfuhrumsatzsteuer einheitlich und zusammen erheben soll. Dieses Verständnis stellt der EuGH seit geraumer Zeit infrage. Die aktuelle Rechtsprechung des BFH lässt jedoch Zweifel daran aufkommen, ob die Ansagen des EuGH in Deutschland auch tatsächlich wahrgenommen werden. Bei der Einfuhrumsatzsteuer herrscht in der deutschen Finanzrechtsprechung mittlerweile ein gewisses Durcheinander, dass immer wieder zu rechtlichen Irrungen und Wirrungen führt. Trotz gegenteiliger Bekundungen scheint die Einfuhrumsatzsteuer beim BFH, und übrigens auch in zahlreichen Kommentaren verschiedener Autoren, im Kern immer noch nach den Prinzipien des Zollrechts zu funktionieren und gedacht zu werden. Dies ist jedoch ein dogmatischer Fehler, wie der EuGH bereits mehrfach entschieden hat.

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