JUVE Steuermarkt: Herr Gothmann, beim One-Stop-Shop (OSS) gab es zum Start offenbar technische Schwierigkeiten. Wo genau liegt das Problem?
Roger Gothmann: Die deutsche Finanzverwaltung ist mit der Entwicklung einer komplexen Plattform wie dem OSS offenbar an ihre Grenzen gestoßen. Viele Steuerberater, die im Vorfeld in automatisierte Prozesse investiert hatten, wurden sehr kurzfristig von der Information überrascht, dass für die Umsatzsteuermeldung ihrer Mandanten für das 3. Quartal 2021 keine Schnittstelle oder Möglichkeit zum Upload der Transaktionsaktionsdaten zur Verfügung stehen. Die Daten mussten also per Hand an die Finanzverwaltung übertragen werden, mit all den Risiken manueller Systembrüche. Doch damit leider nicht genug: Hatte man die Transaktionsdaten manuell übertragen, erhielt man zum Abschluss häufig kryptische Fehlermeldungen, etwa dass die Meldung ,nicht plausibel‘ sei und daher ,nicht abschließend verarbeitet werden‘ konnte.
Was bedeutet das? War eine fristgerechte Meldung für das 3. Quartal 2021 zum 31. Oktober überhaupt möglich?
Wir standen von Beginn an im engen Austausch mit dem BZSt und haben frühzeitig auf die Fehler hingewiesen. Inwieweit eine fristgerechte Meldung möglich war, ist für fast alle Betroffenen leider noch weitgehend unklar. Erst zwei Tage vor Ablauf der Meldefrist teilte das BZSt auf ihrer Website mit, dass unter bestimmten Bedingungen die Frist gewahrt wurde, auch wenn die eingereichte Meldung als ,nicht plausibel‘ bewertet wurde. Für die meisten Onlinehändler und Steuerberater ist es derzeit weiterhin schwer einzuschätzen, ob ein unschädlicher Fehler des BZSt oder ein schädlicher Übertragungsfehler vorliegt.
Was sagt das BZSt dazu?
Natürlich ist die Softwareentwicklung in einem komplexen Umfeld wie der EU-weiten Umsatzsteuer eine Herausforderung. Zudem sitzt das BZSt immer zwischen den Stühlen: Es muss aus Sicht des Bundes die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherstellen und zugleich Rücksicht auf die jeweilige (IT-)Infrastruktur sowie weitere Befindlichkeiten der Bundesländer nehmen. Das sind Rahmenbedingungen, wie sie für eine agile Softwareentwicklung nicht abträglicher sein können. Dennoch muss man das BZSt dahingehend kritisieren, dass viele Kardinalfehler moderner Softwareentwicklung begangen wurden.
Welche Fehler sind das?
Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern gibt es noch immer keine öffentlich verfügbare Testumgebung. Viele der auftretenden Fehler hätte man damit im Vorfeld identifizieren können. Auch die Kommunikation ist alles andere als zeitgemäß. In Bonn hat man sich sehr lange nicht öffentlich, sondern nur auf individuelle Nachfrage geäußert. Dass es für die erste Quartalsmeldung keine elektronische Schnittstelle gab und alle Daten manuell gemeldet werden mussten, erfuhr man nur, wenn man direkt beim BZSt anrief. Erst am vorletzten Werktag vor dem Fristende für die Abgabe der ersten OSS-Meldung gab es das erste öffentliche Statement des BZSt – welches leider nur bedingt hilfreich war, da die Fehler im System des OSS nicht klar adressiert wurden.
Wie lief nach Ihren Erkenntnissen der OSS-Start in anderen EU-Ländern?
Das Bild ist recht heterogen. Große EU-Länder wie etwa Spanien stehen vor ähnlichen Problemen wie Deutschland. Andere Länder wie Österreich, die frühzeitig mit der Umsetzung des OSS fertig waren und Händlern sowie Steuerberatern eine Testumgebung zur Verfügung gestellt hatten, fahren aktuell in deutlich ruhigerem Gewässer. Wenn wir etwas in den vergangenen Wochen gelernt haben, dann dass ein harmonisiertes Umsatzsteuerrecht nur schwerlich ohne harmonisierte Standards bei der Entwicklung entsprechender IT-Prozesse aufseiten der nationalen Finanzverwaltungen funktioniert.
Konnten die Fehler mittlerweile behoben werden? Und wie sollte es aus ihrer Sicht mit der technischen Entwicklung des OSS weitergehen?
Eine Behebung der Fehler hat das BZSt bislang nicht vermeldet. Man muss leider deutlich sagen, dass Länder wie Deutschland durch die mangelhafte Umsetzung den Bestrebungen der EU-Kommission, den OSS zur zentralen Plattform für alle Transaktionen im Umsatzsteuerrecht auszubauen, einen Bärendienst erwiesen haben. Wollen Deutschland und das BZSt nicht als Bremser dastehen, braucht es zunächst einmal eine wichtige Selbsterkenntnis: Der alte Weg, dass die Finanzverwaltung im stillen Kämmerlein Software entwickelt, welche die Steuerpflichtigen am Ende wohl oder übel nutzen müssen, funktioniert nicht mehr. Ohne umfassende Testläufe mit Echtdaten wird auch das nächste OSS-Quartal beginnen, wie das letzte endete: mit Frust bei allen Beteiligten.
Das Gespräch führte Stephan Mittelhäuser.