Das Allerletzte

Steuerberater tragen keine Karos

Autor/en
  • Götz Kümmerle

Als Kölner Redaktion mit Sinn für lokales Brauchtum kann JUVE Steuermarkt natürlich Karneval nicht ausblenden. Daher eine kurze Reihe unserer Glosse "Das Allerletzte" aus 2023. Ein fröhliches Narri an alle, die sich nicht nur in den tollen Tagen wie Narren fühlen.

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Es war gegen 11 Uhr am Morgen, Mitte Oktober, die Sonne schien nicht, und es sah am Fuße des Taunus nach Regen aus. Ich trug einen stahlblauen Anzug, ein dunkelblaues Hemd, Krawatte und Einstecktuch, schwarze Budapester, schwarze Wollsocken. Ich gepflegt, gewaschen, nassrasiert und nüchtern. Ich war alles, was ein gutangezogener Journalist sein sollte. Ich war dabei, bei 25 Millionen an die Tür zu klopfen.

Die Eingangshalle zur Sternwood & Marlowe in Frankfurt war fast zwei Stockwerke hoch, so dass ein Trupp indischer Elefanten Platz gefunden hätte. Der Standortleiter Steuern der Anwaltskanzlei wollte mich sehen. Nicht für ein Interview. „Die Angelegenheit erfordert Diskretion“, hatte zwei Stunden vorher eine dünn-düstere Stimme am Telefon gesagt. Eine jener Stimmen, die kein Nein als Antwort akzeptieren. ‚Wenn schon die Assistenz so dominant ist, wie wird dann der Rest?‘, dachte ich bei mir und sah mich schon das Zugticket von Köln nach Frankfurt buchen. Sternwood & Marlowe hatte in Deutschland nur ein kleines Team. Einen Alterspartner, der seit Jahrzehnten sein Büro nicht verlassen haben soll, und drei Associates in ihren gefährlichen Zwanzigern. So viel wusste ich. Und dass sie 25 Millionen nur an Steuerumsatz einfuhren. ‚Gefährlich am Markt und gefährlich leicht wieder abzuwerben‘, dachte ich während ich meine dritte Roth-Händle ohne Filter in der riesigen Eingangshalle ausdrückte. „Der Standortleiter empfängt Sie jetzt“, sagte die dünn-düstere Stimme vom Telefon, ohne ihren Namen zu nennen. Meine Budapester quietschten und klackerten, während ich die Eingangshalle mit dem Marmorfußboden versuchte hinter mich zu bringen.

„Zwei meiner Steuer-Associates sind verschwunden“, sagte der Standortleiter Steuern ohne Begrüßung oder sich von seinem Laptop abzuwenden. „Finden Sie sie!“ Ich muss ausgesehen haben wie eine Eismaschine, von der man verlangt, Spaghetti zu kochen. „Ich zahlen Ihren Monatslohn plus Spesen – pro Stunde.“ Meine Eismaschine kocht jetzt Bolognese. „Die Associates wurden zuletzt gestern auf der ‚Tax Technologie Conference‘ an der Frankfurter Messe gesehen. Sie sind um 22 Uhr nicht ins Büro zurückgekehrt und auch heute um 6 Uhr nicht erschienen.“ – ‚Eine gefährliche Gegend und eine verdächtig lange Abwesenheit für eine Anwaltskanzlei‘, dachte ich bei mir, als die dünn-düstere Stimme mich mit drängendem Blick schon wieder aus dem Arbeitszimmer des Standortleiters scheuchte. Die Konferenz an der Messe läuft noch. Wenn ich wissen wollte, warum die Associates nicht in die Kanzlei zurückkehrten, musste ich dort anfangen. Und mit Gunnar sprechen. Gunnar war ein ehemaliger Kollege, der reich geworden ist, indem er vegane Kresse-Bagels zwischen Messe und Bahnhofsviertel verkauft.

„Warst Du gestern Abend an der Konferenz verkaufen?“, fragte ich Gunnar, während ich einen Knoblauch-Kürbis-Kresse-Bagel mit Kaktus-Kokos-Creme verputzte. „Nein – eine Frau in einem roten Kleid hat alle Bagels für gestern Abend und heute Abend rund um die Konferenz aufgekauft.“ – ‚Verdächtig‘, dachte ich bei mir. Welche Frau isst schon so viele Kresse-Bagels? Und das zwei Tage hintereinander Also wartete ich, bis es dunkel wurde und rauchte meine dritte Stange Roth-Händle ohne Filter an diesem Tag.

Da war sie, die Frau im roten Kleid, umringt von Steuerexperten – leicht zu erkennen an den braunen Oxfordern zum anthrazitfarbenen Anzug. In dieser Kombination hatte sich gerade Hanno Berger bei seinem Freispruch ablichten lassen. Ich gesellte mich zu der Gruppe. ‚Was verkauft die Frau wohl?‘, dachte ich bei mir. „Wenn ich ‚Ja‘ sage, gibt es dann das volle Programm?“, fragte einer der anthrazitfarbenen Anzüge. ‚Wie ich Frankfurt hasse‘, dachte ich bei mir. Um die verschollenen Associates von Sternwood & Marlowe zu finden, werde ich wohl die einschlägigen Rotlicht-Etablissements im Bahnhofsviertel abklappern müssen. ‚Das wird eine lange Nacht‘, dachte ich und wollte schon gehen, als eine sanfte Stimme sich erhob:

„Doppeltes Gehalt, Work-from-anywhere, Vertrauensarbeit, bezahlte Überstunden, jederzeit Homeoffice und die Teilzeitpartnerschaft“, antwortete die Frau im roten Kleid. ‚Was für seltsame Codes die Branche heute benutzt?‘, dachte ich zuerst, bis ich mir die Lippen beim letzten Zug an meiner Roth-Händle verbrannte. ‚Die ist nicht vom horizontalen Gewerbe, das ist eine Headhunterin‘ – ich fischte nach einer neuen Stange Roth-Händle in meinem Trenchcoat und ging auf die Frau im roten Kleid zu. „Wo soll ich unterschreiben“, sagte ich und versuchte, einen Blick auf den Firmenstempel auf dem Vertrag zu erhaschen, den die Frau den Anthrazitanzügen nun vorzeigte – als mich wie eine Abrissbirne ein steinharter Kresse-Bagel vom Vortag am Kinn traf. Ich ging zu Boden wie ein nasser Sack voll ungebuchter Steuerbelege. Bevor ich das Bewusstsein verlor, hörte ich die sanfte Stimme noch sagen: „Steuerberater tragen keine Karos.“ ‚Mist. Ich hätte doch den einfarbigen Trenchcoat nehmen sollen‘ – dann verlor ich Blick und Bewusstsein im schmutzigen Grau Frankfurts, als mein Kopf auf den Gehweg sank.

Aus: JUVE Karriere Steuern 2024

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