KI & Steuern

Wettstreit der KI-Welten

Autor/en
  • Götz Kümmerle

Knapp ein Jahr nach Beginn des Siegeszugs von ChatGPT hat der Kampf der KI-Welten die Steuerbranche erreicht: Während PSP und WTS generative KI-Systeme entwickeln, setzt EY auf klassische KI. Hinter dem Systemstreit steht die Sorge um Sicherheit und Verlässlichkeit – und die Frage nach der Abhängigkeit von amerikanischen Softwareriesen.

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Wir können gespannt sein, wie sich der Wettstreit der KI- und Beratungswelten weiter entwickelt.

Expertensysteme, Natural Language Processing, Machine Learning oder generative KI – Begriffe, die vor einem Jahr wahrscheinlich höchstens Experten gekannt, geschweige denn genau auseinanderhalten konnten. Heute gehören diese Begriffe zum Grundhandwerkszeug, wenn es um den Einsatz von KI-Systemen in der Steuerberatungsbranche geht.

Greift der Mensch in den Algorithmus ein oder oder operiert dieser selbständig?

,Bottom line‘ gibt es zwei Hauptunterscheidungsmerkmale: Folgt der KI-Algorithmus einem logisch-analytischen Ansatz oder einem Wahrscheinlichkeitsprinzip? Gibt es einen menschlichen Eingriff in den Algorithmus oder operiert dieser selbständig?

Das eine Extrem markiert dabei die generative KI, die nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip ausgerichtet ist und selbständig operiert. Daher auch das Phänomen des ‚Halluzinierens‘: Dann, wenn es für eine valide Wahrscheinlichkeit nicht genügend trainierte Daten gibt, auf welche die generative KI zurückgreifen kann, spinnt sich das selbständig arbeitende System etwas zusammen. Dafür sind die Möglichkeiten generativer KI nahezu unbeschränkt. Je mehr man sie füttert, umso universaler kann man sie einsetzen. Durch die Kombination von Wahrscheinlichkeit und Selbständigkeit kann generative KI auch zu neuen und ungewöhnlichen Erkenntnissen kommen. Man kann diese KI zum Brainstorming und daher auch zum Texten benutzen. Sie bietet die Chance auf Innovationen, weil sie bestehende Texte nicht nur nach vorgegebenen Mustern absucht.

Das andere Extrem ist das Expertensystem: Ein Computerprogramm, das mithilfe von KI das Urteilsvermögen und Verhalten eines Menschen oder einer Organisation simuliert, die über Expertenwissen und Erfahrung auf einem bestimmten Gebiet verfügt. Typischerweise enthält ein Expertensystem eine Wissensbasis, die die gesammelte Erfahrung des Experten umfasst sowie eine Inferenz- oder Regelmaschine. Die Regeln haben meist die Form von ,Wenn-Dann-Aussagen‘ und werden in einer spezifischen Situation auf die Wissensbasis, die im Programm beschrieben wird, angewendet. Diese Regeln werden durch einen menschlichen Eingriff programmiert und festgelegt. Das System leitet mit Hilfe dieser Regeln neues Wissen ab. Die Fähigkeiten des Systems können durch Erweiterungen der Wissensbasis oder des Regelwerks erweitert werden. Das System dehnt sich aber nicht von selbst aus und kann nur innerhalb des vorgegebenen Regelwerks zu Schlüssen kommen. Innovationen sind so ausgeschlossen.

WTS und PSP setzen auf generative KI, EY auf das Expertensystem

WTS und PSP setzen bei ihrem AI Playground auf generative KI, die Big-Four-Gesellschaft Ernst & Young (EY) in ihrer ‚Digital Tax Intelligence‘ auf das Expertensystem. Die Beratungsgesellschaften gehen also unterschiedliche Wege im Einsatz von KI – und liefern sich somit nicht nur einen Wettstreit um Mandanten und Personal, sondern auch einen technologischen Wettstreit in Sachen KI.

Die Gründe dafür liegen auch in den jeweiligen Stärken und Schwächen der beteiligten Beratungsgesellschaften. Die großen Amerikaner unter den Steuerberatungen sind nicht frei in der Wahl ihrer technologischen Partner. Die US-Zentralen von PricewaterhouseCoopers (PwC) und EY preschten vor und verkündeten Milliarden-Kooperationen mit den großen US-Softwareriesen in Sachen KI: OpenAI und Microsoft. Dem müssen sich auch die deutschen Strukturen fügen – trotz aller Bedenken hinsichtlich Datensicherheit und Datensouveränität. Ein Restzweifel, was wirklich mit Daten passiert, die ChatGPT-basierten Anwendungen anvertraut werden, bleibt. Auch, wie die Anwendungen aus dem Hause OpenAI wirklich umgehen mit Daten, die sie zum Training der generativen KI verwenden, ist nicht restlos geklärt – genauso wenig wie sichere Quellenangaben. Das alles ist mit europäischen Vorstellungen von Datenschutz und Urheberrecht schwer vereinbar.

Daher verwundert es nicht, dass EY in seiner Anwendung ‚Digital Tax Intelligence‘ im Kern nicht auf ChatGPT, sondern auf ein Expertensystem setzt. Generative KI wird nur als vergleichsweise harmloser Erklär-Chatbot eingesetzt. An die wirklichen Entscheidungen oder sensiblen Daten kommt die generative KI nicht heran. Damit macht EY seine Anwendung verkehrssicher, aber eben auch konventionell.

WTS und PSP haben dagegen das Problem, dass die Taschen der Münchner nicht so tief geschnitten sind wie die ihrer amerikanischen Beratungskonkurrenz. Sie haben schlicht keine Milliardenbeträge, die sie in generative KI investieren könnten. Beide nutzen daher die Assets, die sie einbringen können: deutsche Unternehmenskontakte und Verbindungen zu deutschen Start-ups.

Der technologische Ansatz, den WTS und PSP auf ihrer KI-Konferenz bei der Vorstellung ihres AI Playgrounds vorgestellt haben, erinnert an das Grundkonzept, das auch das Aachener Tax-Tech-Start-up Taxy io bei seiner Anwendung ‚Otto Schmidt Answers‘ verwendet. Das Start-up hat sein generatives KI-Modell lediglich grundtrainiert – ähnlich einem Gehirn, das über alle sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten verfügt, aber kein Gedächtnis besitzt. Als Gedächtnis ,pluggt‘ Taxy io einfach das steuerliche Verlagswissen an. Jenseits dieses Gedächtnisses kann die Anwendung der Aachener keine Aussagen treffen. Durch diese Beschränkung auf einen sicheren Textkorpus erreichen die Aachener das gleiche Ziel wie EY: Verkehrssicherheit ohne sachliche Unfälle.

Technologischer Trick: Trennung von Gehirn und Gedächtnis

Michel Braun

Das gleiche Konzept wendet auch der AI Playground von WTS und PSP an, der unter anderem auf steuerliche Inhalte des Otto-Schmidt- und des NWB-Verlages* zugreift. Um die Funktionsweise dieses Konzepts zu erläutern, befragte der WTS-Partner Michel Braun während der Präsentation im Frankfurter Palmengarten den AI Playground im Modul mit den NWB-Daten: „Wer ist Chuck Norris?“ Das System antwortete, dass es darauf keine Antwort geben könne. Damit wollte Braun eine Halluzination provozieren: ChatGPT hätte hier normalerweise einfach irgendetwas formuliert. Der technologische Trick, Gehirn und Gedächtnis zu trennen, den Taxy io und WTS/PSP anwenden, verhindert so die Schwachstelle generativer KI.

Das zweite Asset, das WTS und PSP ins Feld führen können, ist ihre exzellente Verbindung zu den Größen der deutschen Wirtschaft. Die Schwarz Gruppe mit ihrer IT-Sparte Schwarz Digits arrangierte eine Kooperation mit Deutschlands Vorzeige-KI-Schmiede: dem Heidelberger Softwarehaus Aleph Alpha. Dadurch kann AI Playground nun auch komplett ohne amerikanische generative KI auskommen und hat gleichzeitig den Vorteil, mit einem immensen Fundus an Unternehmensdaten wachsen zu können.

Allerdings verfolgt die Schwarz Gruppe ein erhebliches Eigeninteresse: Es geht ihr nicht nur um das Promoten ihres eigenen Cloudanbieters Stackit, sondern auch um die Sicherung einer 500-Millionen-Investition: Im November hat die Schwarz Gruppe zusammen mit Bosch eine Finanzierungsrunde für Aleph Alpha angeführt.

Unabhängig ist also auch eine Anwendung von WTS und PSP auf Basis von Aleph Alpha nicht wirklich – wir können gespannt sein, wie sich der Wettstreit der KI- und Beratungswelten weiter entwickelt.

*Disclaimer: Der JUVE-Verlag ist ein Tochterunternehmen der NWB-Gruppe.

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