Haben Sie schon mal Ihr ERP-System nach umsatzsteuerlichen Gesichtspunkten auf den Prüfstand gestellt? Dabei stellt man nicht selten fest: Das Thema Steuerfindung wird nach wie vor in vielen Unternehmen vernachlässigt, denn die implementierten Automatisierungsansätze sind zu kurz gedacht und/oder werden der Komplexität der Sachverhalte nicht gerecht. Gleichzeitig stellt dies einen erheblichen Hebel dar, um Risiken zu minimieren und Effizienzen zu schaffen.
Wo lauern die Gefahren
Bei Systemreviews stellen wir immer wieder fest, dass die Möglichkeiten zur automatisierten Behandlung von Einkaufs- und Vertriebsprozessen in steuerlicher Hinsicht nur selten ausgeschöpft werden. Stattdessen wird häufig an der Musterkonfiguration des Systems festgehalten beziehungsweise diese nur in geringem Maße an die eigenen steuerlichen Anforderungen angepasst. Anstatt eine geeignete Konfiguration aufzusetzen, die es vermag, für die individuellen Geschäftsprozesse die steuerliche Behandlung vollautomatisiert abzuleiten, behelfen sich Unternehmen häufig mit manuellen Eingriffen im Tagesgeschäft. So müssen Anwender:innen steuerliche Parameter, wie etwa die Art der Leistung oder die umsatzsteuerliche Eigenschaft von Geschäftspartnern von Transaktion zu Transaktion eigenverantwortlich interpretieren und bei der Beleganlage händisch eingeben. Dass es dabei zu Fehleinschätzungen kommen kann, ist nur allzu verständlich – schließlich handelt es sich bei den Anwender:innen im Einkauf und Vertrieb in der Regel nicht um Steuerexpert:innen. Auch Schulungsmaßnahmen können die Risiken angesichts der Komplexität vieler Sachverhalte nur bedingt minimieren und sind zudem aufwendig und teuer.
Infolgedessen gehen Unternehmen das Risiko ein, Transaktionen entgegen den Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes zu behandeln. Das Ergebnis sind fehlerhaft ausgestellte Ausgangsrechnungen und ausbleibende Kontrollen bei den Lieferantenrechnungen, was zu erheblichen Betriebsprüfungs- und Haftungsrisiken, aber auch zu hohen Kosten führt.
Risikominimierung durch Automatisierung
Wie sich die oben genannten Risiken minimieren lassen, liegt auf der Hand: Entscheidungen über die steuerliche Würdigung einer Transaktion sollten stets in der Verantwortung der Steuerabteilung liegen und nicht dem Einkaufs- oder Vertriebsteam überlassen werden. Das kann jedoch eine Steuerfunktion nur durch weitgehende Automatisierung leisten, da sie weder die Ressourcen besitzt noch bei der Erfassung der Transaktionen direkt involviert ist. Damit dies steuer-compliant gelingt und dabei unternehmensspezifische Anforderungen berücksichtigt werden, geht der Implementierung einer automatischen Steuerfindung zunächst eine Analyse der Geschäftsvorfälle voraus. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass betriebswirtschaftliche, steuerliche und technologische Aspekte in einem ERP-System stets miteinander verzahnt sind. Durch den Einsatz von Data Analytics lässt sich eine Geschäftsvorfallmatrix samt aller relevanten Parameter effizient erstellen und sorgt für Transparenz.
Die Automatisierung der steuerlichen Würdigung kann grundsätzlich auch mit den Bordmitteln des jeweiligen ERP-Systems realisiert werden – beispielsweise mit der Konditionstechnik in SAP S/4HANA, was sich insbesondere für Unternehmen mit einfacheren Geschäftsvorfällen gut eignet. Unternehmen, die bei der Abbildung eines Regelwerkes an die Grenzen der systemeigenen Möglichkeiten stoßen, können den Einsatz von Drittanbieterlösungen („Tax Engine“ oder „Add-on“) erwägen, die weitergehende Automatisierungsmöglichkeiten auch für komplexere Geschäftsvorfälle bieten und sogar die Steuersätze für alle relevanten Länder zur Verfügung stellen können.
Erhebliche Effizienzsteigerungen und Entlastung
Ein weiterer Vorteil in der Automatisierung der steuerlichen Bewertung von Geschäftsvorfällen liegt in der Steigerung der Effizienz. Die manuelle Bewertung einzelner Transaktionen im Tagesgeschäft ist zum einen zeitaufwändig für diejenigen, die den Geschäftsvorfall im System erfassen. Zum anderen kommt es aber auch zu einer zusätzlichen Belastung für die Steuerabteilung in Form von regelmäßigen Schulungen des Einkaufs- und Vertriebsteams, monatlichen Validierungen, manuellen Korrekturbuchungen und Konflikten mit dem Finanzamt. Mit der Implementierung einer robusten automatischen Steuerfindung wird die Erfüllung repetitiver Aufgaben in das System verlagert, während die Steuerabteilung lediglich einmalig festlegt, wie ein bestimmter Sachverhalt umsatzsteuerlich zu bewerten ist.
Was es zu beachten gilt
Die Vorteile einer automatisierten Steuerfindung sind nicht zu übersehen. Dennoch ist ihre Implementierung keine triviale Angelegenheit. So gilt es in Abstimmung mit spezialisierten Steuerberater:innen zu klären, welche Möglichkeiten existieren und welche im konkreten Fall am geeignetsten sind. Ein ERP-Transformationsprojekt (z.B. SAP S/4HANA Migration) bietet dafür den optimalen Anlass. Aber auch für Unternehmen, die bei ERP-Upgrades einem Brownfield-Ansatz gefolgt sind, ist es nicht zu spät. Dabei sollte die Steuerfunktion eine führende Rolle übernehmen und eng mit der IT-Abteilung zusammenarbeiten. Auch wenn der initiale Aufwand nicht zu unterschätzen ist: Durch die Minimierung von Risiken und der Steigerung der Effizienz bietet eine automatisierte Steuerermittlung großes Entlastungspotential.