‚800 Meter‘ kann als Entfernungsangabe für vieles stehen im Leben eines Steuerberaters im Hauptquartier der Next-Seven-Gesellschaft Rödl in Nürnberg: zum Beispiel für die Distanz des Fußwegs zur nahen Pegnitz, deren begradigte Flußufer zum Spaziergang in der Mittagspause einladen.
‚800 Meter‘ steht im Leben der ukrainischen Mitarbeitenden im Kyiver Büro von Rödl im westlichen Zentrum der ukrainischen Hauptstadt dagegen für etwas anderes: Denn genauso weit oder besser nah ist ein Fabrikgelände vom Rödl-Büro entfernt, in dem zuletzt eine russische Rakete einschlug. „Zum Glück war das Büro zum Zeitpunkt des Einschlags geschlossen“, berichtet der Leiter der ukrainischen Landesgesellschaft, Klaus Kessler, der von München aus die Geschicke der 60-köpfigen Belegschaft koordiniert.
Vor einem Jahr hatte JUVE Steuermarkt mit Kessler gesprochen; über hastig organisierte Fluchtrouten und Safehouses. Damals ging es vor allem darum, die Mitarbeitenden möglichst heil und sicher aus der Ukraine herauszuholen: Denn vor einem Jahr rückte die russische Armee schier unaufhaltsam auf Kyiv vor und war dabei, die im Osten des Landes gelegene Metropole Charkiw mit ehemals 1,5 Millionen Einwohnern zu überrollen. Heute zeigt sich ein anderes Bild: „Von den damals geflohenen Mitarbeitenden sind fast alle wieder zurück“, beschreibt Kessler die Situation vor Ort. Seit Sommer bzw. Frühherbst herrscht daher wieder so etwas wie Normalbetrieb im Kyiver Büro von Rödl.
Und so arbeiten die rund zehn steuerlichen Mitarbeitenden in Kyiv ganz regulär die laufende Beratung vor allem westeuropäischer Tochterfirmen in der Ukraine ab, die zu den Stammmandanten von Rödl gehören. Dazu gehören Werkzeughersteller, Baustofflieferanten, aber auch Unternehmen im IT-Bereich und in der Landwirtschaft. Der Austausch mit den deutschen Kollegen unter anderem in der Nürnberger Zentrale läuft dabei wie gewohnt online via Teams oder Zoom – solange der Lifefeed nicht durch einen Luftalarm unterbrochen wird.
Und: Die Mitarbeitenden von Rödl kämpfen mit Stromausfällen und Rohstoffknappheit. Aber es ist eine Normalität, die funktioniert – irgendwie: „Wir haben für unsere Mitarbeitenden zahlreiche Powerbanks angeschafft, die sie im Büro aufladen können, wenn es Strom gibt“, sagt Kessler. Außerdem wurden Generatoren gekauft, um bei Stromausfällen unabhängig zu sein. „Am Anfang war es schwierig, aber mittlerweile kommt es nur noch zu wenigen Einschränkungen“, so der Rödl-Partner. Das Büro in Charkiw bleibt aus Sicherheitsgründen derweil weiterhin geschlossen.
Großteil der Mitarbeitenden zurückgekehrt
Ein ganz ähnliches Bild beschreibt BDO-Vorstandsmitglied Andrea Bruckner. Auch mit ihr hatte JUVE Steuermarkt vor einem Jahr gesprochen. Dabei ist die Verzahnung von BDO in Deutschland mit den Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine sogar noch intensiver als bei Rödl, denn neben der ukrainischen Landesgesellschaft unterhält BDO in der Ukraine ein eigenes Servicecenter für die deutsche Landesgesellschaft. Layout und Illustrationen in Broschüren und Anzeigenwerbung oder auch das Designkonzept von Veranstaltungen in Deutschland stammt bei BDO daher häufig direkt aus Kyiv, genauso wie der IT-Support oder manche Hintergrundrecherche. „Der Großteil unserer Mitarbeitenden ist schnell wieder in die Ukraine und nach Kyiv zurückgekehrt“, sagt Bruckner. „Wir haben aber allen, die nicht zurück wollten, einen deutschen Arbeitsvertrag angeboten.“ Angenommen haben von rund 80 geflüchteten Mitarbeitenden dieses Angebot aber nur etwas mehr als ein Viertel, weil viele zurück zu ihren Familien wollten. „Die in Deutschland gebliebenen Mitarbeitenden setzen wir vor allem in der Bankenprüfung ein, die sehr international ausgerichtet ist. Einige Mitarbeitende arbeiten aber auch in der Tax“.
Derweil hat die ukrainische Servicegesellschaft in Kyiv ihre Arbeit für BDO Deutschland wieder ganz normal aufgenommen: „Es ist beeindruckend, welches Tagespensum die zurückgekehrten Mitarbeitenden leisten. Man merkt es gar nicht, unter welch schwierigen Bedingungen diese Leistung erbracht wird“, sagt Bruckner, „außer es gibt Luftalarm und die Kolleginnen und Kollegen müssen tagsüber in die Schutzbunker.“ Eine bedrückende Situation – auch für die deutschen Mitarbeitenden von BDO, die mit den ukrainischen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten, aber aktuell Alltag in Kriegszeiten.