JUVE Steuermarkt: Herr Kapff, die Ampelkoalition hat die „Umlage der EU-Plastikabgabe auf Hersteller und Inverkehrbringer“ im Koalitionsvertrag angekündigt. Wie könnte die Ausgestaltung einer Plastiksteuer in Deutschland konkret aussehen?
Bertil Kapff: Für die Refinanzierung der EU-Plastikabgabe auf nationaler Ebene gibt es keine europäischen Vorgaben. Somit ist der deutsche Gesetzgeber bei der Gestaltung einer Plastiksteuer relativ frei. Mit der Steuer sollen Einnahmen zur Finanzierung der EU-Plastikabgabe generiert sowie das Aufkommen an nicht recyceltem Kunststoffabfall reduziert werden. Prinzipiell eignet sich dafür die Einführung einer Verbrauchsteuer, die den Verbrauch oder Gebrauch einer Ware belastet. Ein Beispiel dafür ist die Tabaksteuer, mit der neben der Erzielung von Einnahmen für den Bundeshaushalt auch ein bestimmter Lenkungszweck verfolgt wird. Die Plastiksteuer könnte als konstanter Steuersatz je Kilogramm Kunststoff erhoben werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die steuerpflichtigen Materialien und begünstigten Recycling-Verfahren eindeutig definiert sind. Zudem wird ein entsprechendes Gesetz sehr wahrscheinlich Steuerbefreiungen und -ermäßigungen für sogenannte begünstigungswerte Plastikverwendungen enthalten, etwa für Arzneimittel. So oder so: Die Steuerschuldner werden die Plastiksteuer in ihre Kalkulation einpreisen und auf ihre Kunden abwälzen. Letztlich wird die Steuer also vom Endverbraucher getragen.
Wann rechnen Sie mit einem Gesetzentwurf?
Einen offiziellen Zeitplan für die Einführung einer Plastiksteuer gibt es noch nicht. Ein laufendes Forschungsprojekt des Umweltbundesamtes könnte hier ein Indiz liefern. Mit dem Projekt sollen ökonomische Instrumente zur Reduzierung des Verpackungsverbrauches sowie zur Stärkung des Kunststoffrecyclings und des Rezyklateinsatzes untersucht werden. Im Fokus steht die Bewertung einer nationalen Maßnahme auf Basis der EU-Plastikabgabe sowie möglicher Alternativen – sowohl mit Blick auf die rechtliche Machbarkeit als auch auf die ökonomischen Auswirkungen und potenziellen Lenkungswirkungen. Das Forschungsprojekt soll bis 2024 laufen, so dass in rund zwei Jahren mit konkreten Gesetzesinitiativen zu rechnen ist.
Großbritannien als Nicht-EU-Land hat die Einführung einer ,Plastic Tax‘ zum April beschlossen. Italien wiederum hat die Einführung auf 2023 verschoben. Welche anderen Länder haben eine Plastiksteuer bereits umgesetzt oder planen dies zu tun?
Neben dem Vereinigten Königreich sind die Gesetzgebungsverfahren in Italien und Spanien sehr weit fortgeschritten. In beiden Ländern wurde der Start einer Steuer auf Kunststoffprodukte mehrfach verschoben und soll nun zum 1. Januar 2023 erfolgen. In Polen durchlaufen derzeit zwei Entwürfe zur Besteuerung von Kunststoffen den Gesetzgebungsprozess: Der erste Entwurf befasst sich mit der Einführung einer Produktabgabe, der zweite sieht die Erhebung einer Verpackungsabgabe vor. In Portugal startet zum Juli eine neue Verpackungsabgabe für Einwegverpackungen aus Kunststoff für Fertiggerichte. Die Abgabe soll im kommenden Jahr auf Aluminiumeinwegverpackungen ausgeweitet werden. Dagegen haben Länder wie Österreich und Luxemburg angekündigt, derzeit keine neuen Plastiksteuern einzuführen. Bereits vor Einführung der EU-Plastikabgabe hatten neun Mitgliedstaaten kunststoffbezogene Steuern eingeführt: Dänemark, Frankreich, Irland, Lettland, Litauen, Malta, Portugal, Schweden und Ungarn. In der Regel beziehen sich diese Steuern jedoch auf einzelne Produkte wie zum Beispiel Plastiktüten.
Warum hat man sich bei der Umsetzung der Plastikabgabe nicht für eine EU-weite Harmonisierung entschieden? Für international tätige Unternehmen wäre das eine Vereinfachung.
Ein einheitliches europäisches Plastiksteuerrecht wäre definitiv eine große Erleichterung für internationale Konzerne. Die Einführung EU-weiter Verbrauchsteuern ist jedoch nicht einfach, da auch hier das Einstimmigkeitsprinzip gilt. Alle Mitgliedstaaten müssten sich auf einheitliche Steuergegenstände, Steuerentstehungstatbestände sowie auf (Mindest-)Steuersätze einigen. Das Aufkommen an Kunststoffabfall und die Recyclingquoten unterscheiden sich jedoch stark in den Ländern – eine langwierige Kompromissfindung wäre notwendig. Auch die Anpassung einer Plastiksteuerrichtlinie müsste einstimmig von den Mitgliedstaaten beschlossen werden. Die zähen Verhandlungen zur Revision der EU-Energiesteuerrichtlinie verdeutlichen die Herausforderungen eines solchen Interessenausgleichs.
Eine Verpflichtung zur Einführung einer nationalen Plastiksteuer gibt es nicht. Frankreich etwa finanziert die Plastikabgabe aus dem regulären Haushalt. Wie sehen Sie die Abgabe mit Blick auf die Lenkungswirkung?
Eine Plastiksteuer kann ein wirksames Mittel zur Reduzierung des Plastikverbrauchs sein. Sie ist aber nicht das einzige Instrument. Der flexible Spielraum bei der Refinanzierung der Plastikabgabe ermöglicht es jedem EU-Land, Maßnahmen zu ergreifen, die am besten geeignet sind, um das Aufkommen an nicht recyceltem Kunststoffabfall zu reduzieren. Dazu gehören ordnungspolitische Maßnahmen, Recyclingförderungen oder eine Besteuerung auf nationaler Ebene. Mit der Umsetzung der EU-Einwegkunststoffrichtlinie zum 3. Juli 2021 wurden die Produktion und der Import von Kunststoffprodukten wie Einwegteller und -besteck, Strohhalme oder Wattestäbchen in der EU verboten. In Deutschland sind Hersteller oder Erstinverkehrbringer von Verpackungen verpflichtet, für die haushaltsnahe Sammlung und Entsorgung eine Lizenz bei einem Dualen System zu erwerben sowie die entsprechenden Daten im Verpackungsregister zu melden. Um die Vermüllung durch das achtlose Wegwerfen von Abfall zu reduzieren, soll es künftig eine zweckgebundene Sonderabgabe für Straßenreinigungskosten geben. Entscheidend ist, dass die verschiedenen Maßnahmen aus dem Ordnungs-, Steuer- oder Fördermittelrecht gut ineinandergreifen, um ein kohärentes Preissignal für den Abfall zu senden. Darüber hinaus kann natürlich jeder Konsument mit seinen Kaufentscheidungen zur Reduzierung vermeidbarer Kunststoffabfälle beitragen.
In Deutschland ist die Stadt Tübingen vorgeprescht und hat zu Jahresbeginn eine Verpackungssteuer eingeführt. Rechnen Sie mit weiteren Initiativen auf kommunaler Ebene?
Die Tübinger Verpackungssteuer wird von einigen Kommunen genau beobachtet. Während der Coronapandemie haben die Deutschen deutlich mehr Müll verursacht. Eine kommunale Verpackungssteuer geht das Problem direkt an und generiert zusätzliche Einnahmen. Aktuell wird vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg dazu jedoch eine zentrale Frage verhandelt. Ein lokales Schnellrestaurant bezweifelt, dass die Stadt Tübingen berechtigt ist, die Steuer zu erheben. Die Argumentation lautet: Der Stadt fehle die Kompetenz zur Regelung einer kommunalen Verpackungssteuer. Zudem stehe die Steuer im Widerspruch zum Abfallrecht des Bundes. Bereits 1998 hatte das Bundesverfassungsgericht eine kommunale Verpackungssteuer der Stadt Kassel für verfassungswidrig erklärt, weil es die Gesetzgebungskompetenz beim Bund und nicht auf kommunaler Ebene sah. Nürnberg und Frankfurt dagegen verfolgen einen anderen Ansatz. Beide Städte prüfen derzeit eine kommunale Pfandpflicht auf Pizzakartons. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine Änderung des Bundesverpackungsgesetzes.