Der Mehrwertsteuersatz war Mitte 2020 aufgrund der Coronakrise auf 7 Prozent gesenkt worden, um der schwächelnden Konjunktur im Gastgewerbe entgegenzuwirken. Aufgrund einer weiteren allgemeinen Mehrwertsteuersenkung galt zeitweise sogar ein verminderter Satz von 5 Prozent, seit Januar 2021 galt durchgängig der Satz von 7 Prozent. Ursprünglich sollte die Sonderregelung Ende 2022 auslaufen, wurde jedoch wegen der durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise und Inflation mehrfach verlängert.
Die Bundesregierung verband mit der Steuersenkung die Hoffnung, dass die Gastronomen die finanziellen Mehrbelastungen nicht an die Kunden weitergeben würden. Dennoch sind die Preise in der Branche in den vergangenen zwei Jahren bundesweit deutlich gestiegen. Das Statistische Bundesamt gab am Donnerstag die aktuellen Umsatzzahlen der Branche bekannt. Demnach kosteten „Gaststättendienstleistungen“ im Oktober 2023 rund 20 Prozent mehr als im Januar 2021. Im Vergleich zum Februar 2022, als der Ukraine-Krieg begann, betrug der Anstieg gut 14 Prozent. Laut Statistischem Bundesamt lag der preisbereinigte Umsatz im September um 12,6 Prozent unter dem Vergleichswert aus 2019 vor der Coronakrise und 0,2 Prozent unter dem Vorjahresmonat. Besonders hart trifft dies die Schankwirtschaften, deren Erlöse seit 2019 im Schnitt um gut ein Drittel zurückgegangen sind.
Marktbeobachter sehen viele Gastbetriebe in akuter Insolvenzgefahr
Nach einer Auswertung des Informationsdienstleisters CRIF sind derzeit mehr als 15.000 Gastronomiebetriebe in Deutschland von Insolvenz bedroht; bis Ende 2023 werden schätzungsweise rund 1.600 Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés ihre Pforten schließen müssen. Das sind 36,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders hart trifft diese Entwicklung Berlin: Hier sind 16,5 Prozent der Betriebe akut gefährdet. Mit 10,5 Prozent ist das Insolvenzrisiko in Rheinland-Pfalz und Bayern am geringsten. Allerdings zeigt sich eine deutliche Zweiteilung der Branche. Laut CRIF-Geschäftsführer Frank Schlein konnten Unternehmen mit stabiler finanzieller Lage ihre Situation weiter festigen. Gastronomen, die bereits vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Schwierigkeiten waren, geht es tendenziell noch schlechter. Für das kommende Jahr rechnet der Marktbeobachter mit weiter steigenden Insolvenzzahlen.
Verbände warnen vor harten Konsequenzen für die Branche
Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) befürchtet ein Massensterben in der Branche und hält die Weitergabe der Steuererhöhung an die Verbraucherinnen und Verbraucher für alternativlos. Präsident Guido Zöllig sieht mit der Rückkehr zum Normalsatz ab Januar tausende Existenzen sowie die Lebensqualität und gastronomische Vielfalt in Deutschland gefährdet. Umsatzeinbußen, Geschäftsaufgaben und Entlassungen seien als direkte Folgen der Umstellung vorprogrammiert und würden die zu erwartenden Steuermehreinnahmen deutlich schmälern. Der baden-württembergische Dehoga-Landesvorsitzende Fritz Engelhardt sprach von einem „Tiefschlag“ für den Mittelstand und harten Konsequenzen für die Tourismusbranche: „Wir sind tief enttäuscht“.
Der Hotel- und Gaststättenverband steht mit seiner Kritik an den Plänen der Bundesregierung nicht allein: Insgesamt 17 Verbände sprachen sich für eine Beibehaltung des 7-Prozent-Modells aus, darunter der Deutsche Bauernverband (DBV), der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW) und der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks.
Branchenstimmen sehen systemrelevante Branche bedroht
TV-Koch und Gastronom Alexander Herrmann sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa): „Mit diesem Schritt wird seitens der Politik förmlich dabei zugeschaut, wie eine durchaus systemrelevante Branche in Teilen zerbricht“. Er kritisierte, der im europäischen Vergleich zu hohe Steuersatz widerspreche dem europäischen Gemeinschafts- und Gerechtigkeitsgedanken.
Der Fernsehkoch und Unternehmer Frank Rosin bezeichnete die Pläne der Bundesregierung als „Milchmädchenrechnung“, da bei einem zu erwartenden Gastronomiesterben auf der anderen Seite Steuereinnahmen fehlen würden. „Es ist wirklich zum Weinen“, so Rosin.
Roland Mack, Gründer und Betreiber des Europa-Parks in Rust, wies auf die sozialen Folgen einer Rückkehr zum Normalsteuersatz hin: „Wenn viele Menschen aufgrund der erhöhten Preise nicht mehr in die Kneipe um die Ecke gehen können, ist das traurig für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“. Mit rund 90 gastronomischen Einrichtungen ist der Europa-Park die größte Gastronomie an einem Standort in Deutschland.
Politische Kritik an den Ampel-Plänen
Bundesfinanzminister Christian Lindner zeigte gegenüber der Dehoga „Sympathie“ für eine generelle Entfristung der 7-Prozent-Regelung – und wies die Verantwortung für die beschlossene Rücknahme von sich. Er habe die Wiedereinführung des höheren Steuersatzes bereits zu diesem Jahr verhindern können. Eine weitere Verlängerung wäre auch jetzt möglich gewesen, „SPD und Grüne hatten aber andere Prioritäten“, so der Minister gegenüber Bild am Sonntag.
Brandenburgs Ministerpräsident Jörg Steinbach (SPD) bedauerte das geplante Auslaufen der Steuermaßnahme. Er habe sich für eine Verlängerung um zwei Jahre ausgesprochen, damit sich die Branche konsolidieren könne. Auch Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) hält eine Rückkehr zu 19 Prozent für verfrüht. Wie Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und Rostocks Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (Die Linke) weist sie zudem auf die Auswirkungen auch auf andere Einrichtungen wie Mensen und Kantinen in (Hoch-)Schulen, Kitas, Pflegeheimen und Krankenhäusern hin. Es sei zu befürchten, so Kröger, dass für viele ein Schul- oder Kantinenessen zum „Luxusgut“ werde.
Besonders harsche Worte fand Markus Söder, CSU-Chef und bayrischer Ministerpräsident. Er bezeichnete die Wiedererhöhung des Mehrwertsteuersatzes als „völlig falsches und fatales Signal“. Sie führe zu höheren Lebensmittelpreisen, sei mittelstandsfeindlich und heize die Inflation nur zusätzlich an. Stattdessen stellte er die Besteuerung von Lebensmitteln grundsätzlich infrage: „Anstatt die Preise beim Essen zu erhöhen, braucht es eine Senkung der Steuer auf Grundnahrungsmittel auf null Prozent“. Die Zustimmung der FDP zu den Ampel-Plänen nannte er einen „beispiellosen Wortbruch, der zum Verlust von Arbeitsplätzen führt und berufliche Existenzen vernichtet. Mittelstand und Gastronomie brauchen unsere Unterstützung und keine Benachteiligung“, sagte Söder der dpa.
Wirtschaftsweise: Weitere Steuersenkung „nicht einzusehen“
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) verteidigt indes die Abschaffung des Steuerprivilegs: „Es gibt keine Rechtfertigung für die Mehrwertsteuersenkung mehr“, sagte der DIW-Präsident Marcus Fratscher dem „Spiegel“. Man habe der von der Coronakrise besonders betroffenen Branche geholfen. Die Senkung sei teuer, und das Geld fehle für die Kindergrundsicherung oder Armutsbekämpfung. Eine Pleitewelle befürchtet er jedoch nicht. Die Mehrwertsteuersenkung sei als Konsumanreiz gedacht gewesen und nicht in erster Linie als Subvention für Unternehmen.
Auch das ZEW Mannheim spricht sich in einer Studie für die Rückkehr zur alten Regelung aus. Die aktuellen Herausforderungen wie Strukturwandel, Inflation und Fachkräftemangel würden andere Branchen ebenso betreffen. Trotz Steuerermäßigungen habe die Gastronomie erhebliche Preissteigerungen durchgesetzt, heißt es in der Studie. Eine dauerhafte Subventionierung sei nicht zu rechtfertigen. Dieser Meinung ist auch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. Die Corona-Pandemie sei vorbei, eine weitere Unterstützung der Gastronomie daher „nicht einzusehen“. (mit Material von dpa)