JUVE: Spielen Selbstanzeigen faktisch keine Rolle mehr?
Karsten Randt: Was Privatpersonen betrifft, hat dies erheblich abgenommen. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass alle wesentlichen Fälle aufgedeckt sind. Das Hase-und-Igel-Spiel geht in die nächste Runde. Insbesondere bei größeren Vermögenswerten steht zu befürchten, dass diese lediglich in andere Jurisdiktionen verschoben worden sind, um dem automatischen Informationsaustausch zu entgehen. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass über den automatischen Informationsaustausch relevante Erkenntnisse gewonnen werden beziehungsweise über Sammelauskunftsersuchen im Ausland sogenannte „Abschleicher“ identifiziert werden.
Mit dem Anwendungserlass zu Paragraf 153 der Abgabenordnung (AO) hat das BMF vor gut einem Jahr einen Schritt unternommen, der Unsicherheit entgegenzuwirken, die bei Unternehmen nicht zuletzt durch die verschärften Regelungen zur Selbstanzeige entstanden war. Ist die Abgrenzung der bloßen Berichtigung von Erklärungen zur strafbefreienden Selbstanzeige gelungen?
Der Anwendungserlass ist letztlich ein Hilfsweg, trotz der verschärften Gesetzeslage für Unternehmen eine Verbesserung ihrer Situation zu erreichen. Unter dem Strich bleibt das Konstrukt aber eine Krücke. Der Versuch, eine Abgrenzung zu liefern, wann vorsätzliches Verhalten vorliegt oder nicht, kann nicht gelingen, weil dies stets eine festzustellende Tatfrage ist, die sich gerade nicht abstrakt regeln lässt.
Ein Strafgericht wird sich durch die Regelung des Erlasses nicht präjudizieren lassen. Zudem schreibt Paragraf 153 AO vor, dass der Steuerpflichtige zur Korrektur einer Erklärung verpflichtet ist, wenn ihm auffällt, dass sie falsch ist. Er greift nicht im Falle einer mit dolus directus 1. oder 2. Grades abgegebenen Steuererklärung. Die Pflicht zur Korrektur besteht aber auch dann, wenn der Steuerpflichtige die falschen Angaben billigend in Kauf genommen hat.
Der Steuerpflichtige wird also gezwungen, wenn er später erkennt, dass seine Angaben tatsächlich unrichtig sind, sich selbst durch eine Korrektur nach Paragraf 153 AO zu belasten. Das ist dann besonders problematisch, wenn die Voraussetzungen einer Selbstanzeige nicht gegeben sind, da dann der Grundsatz des nemo tenetur verletzt ist. Dieses Spannungsfeld lässt sich nur lösen, indem strafrechtlich die Angaben nicht gegen den Korrigierenden verwendet werden dürfen.
Wenn das Unternehmen aber über ein Internes Kontrollsystem (IKS), sprich ein Tax Compliance Management, dürfte das nach Paragraf 153 AO als Indiz gelten, dass kein Vorsatz bzw. bedingter Vorsatz zu falschen Angaben vorliegt.
Das ist prinzipiell richtig. Allerdings geht es beim Tax Compliance System um ein präventives System, die Fälle des Paragraf 153 AO sind aber rückwärtsgewandt. Wenn Fälle also rückwärtsgewandt untersucht werden und sich herausstellt, dass Verstöße systematisch waren, bleibt die Gefahr, dass sie als vorsätzlich eingestuft werden. Und das IKS ist nicht dafür geeignet, in Fällen der Selbstanzeige nach Paragraf 371 AO und deren strafrechtlicher Wirkung zu helfen.
Wie stark steigen durch den Anwendungserlass zu Paragraf 153 AO die Haftungsrisiken für Steuerchefs?
Im Anwendungserlass ist das Vorhandensein eines IKS institutionalisiert angelegt, so dass auch der Steuerchef eine Gesamtverantwortung zugeschrieben bekommt, wie sie nach der sogenannten Berliner Entscheidung des BGH etwa der Compliance Officer hat. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Zollrecht: Hier müssen die Verantwortungsträger dem Hauptzollamt etwa in außenwirtschaftsrechtlichen Abläufen bestimmte Prozesse vorweisen. Tun sie dies nicht, setzen sie sich bei Verstößen dem Vorwurf der Täterschaft durch Unterlassen aus. Bis dahin ist es nun auch für die Steuerverantwortlichen nur noch ein kleiner Schritt. Wir bemerken heute etwa schon einen wachsenden Widerstand, eine Umsatzsteuervoranmeldung abzugeben. Manch Verantwortlicher hält das Risiko, selbst belangt werden zu können, für überproportional hoch. Die Position des Leiters Steuern verliert an Beliebtheit.