JUVE: Herr Schindler, bekommen Sie mittlerweile sofort Pickel, wenn Sie den Begriff Grundsteuerreform hören?
Jörg Schindler: Es war ja schon lange klar war, dass die Reform zur Bemessungsgrundlage der Grundsteuer kommt. Überraschend ist allerdings, dass die Politik bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor einem Jahr gewartet hat, bevor sie aktiv wurde. Jeder konnte nach vorherigen Gerichtsurteilen sehen, dass die Bemessung nach den bisherigen Einheitswerten verfassungswidrig ist.
Halten Sie die Grundsteuer insgesamt für sinnvoll?
Schindler: Auf jeden Fall! Die Grundsteuer als solche steht für uns überhaupt nicht zur Disposition. Sie ist für die Kommunen eine zentrale Einnahmequelle, um Infrastruktur und Daseinsvorsorge vor Ort zu gewährleisten.
In der Bemessungsgrundlage liegt also der springende Punkt?
Schindler: Es sind ja im Wesentlichen zwei Modelle, die zurzeit diskutiert werden, um die Bemessungsgrundlage neu zu regeln: das wertabhängige Modell, das zum Beispiel vom Bundesfinanzministerium befürwortet wird, sowie das wertunabhängige Flächenmodell, für das unter anderem Bayern sich stark macht.
Und welches unterstützen Sie?
Schindler: Fast alle Unternehmen in Deutschland präferieren das Flächenmodell. Es kommt mit deutlich weniger Parametern aus, es ist daher leichter nachzuvollziehen und zu administrieren. Dagegen bietet das wertabhängige Modell viele verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Dies bedeutet Rechtsunsicherheit. Angefangen bei den Bodenrichtwerten, die in der Form nicht justiziabel sind, über verschiedene Mietstufen, bis hin zur Berechnungssystematik. Das macht uns in der Wohnungswirtschaft auch mit Blick auf die Umlage Sorgen, denn diese müssen wir ja auch unseren Mietern erklären. Es ist ein Unterschied, ob ich einen Bescheid habe, der sagt: „Quadratmeter Wohnung, anteilige Quadratmeter Grundfläche mal gesetzlich festgelegte Zahl ergibt eine Bemessungsgrundlage“. Wie wollen Sie dagegen Bodenrichtwertzonen erklären? Beim wertabhängigen Modell müsste der Vorgang der Neubewertung zudem alle sieben Jahre wiederholt werden, unabhängig von tatsächlichen Veränderungen der Eigenschaften der Grundstücke, was beim wertunabhängigen Modell nicht der Fall wäre.
Herr Kolan, für Sie als Vertreter der Großindustrie sollten die Probleme mit vermieteten Wohnflächen an sich keine Rolle spielen. Sie nutzen im Zweifel vor allem eigene Flächen, die eindeutig kein Wohnraum sind. Können Sie abwarten und Tee trinken?
Frank Kolan: Wir sehen die Grundsteuerreform als Chance, den bürokratischen Aufwand deutlich zu reduzieren – und zwar am besten durch ein wertunabhängiges Modell. Wir haben zwischen zwanzig- und dreißigtausend Grundstücke, von kleinen Trafostationen, über Umspannwerke, Kraftwerksgrundstücke bis hin zu Verwaltungsgebäuden. Und alle müssen neu bewertet werden. Die Grundsteuerreform sollte also genutzt werden, um zu digitalisieren und zu vereinfachen. Idealerweise gibt es dann eine Veranlagung auf Basis ganz einfacher Faktoren. Das wäre für die Unternehmen und für die Finanzverwaltung gleichermaßen ein Vorteil.
Anders als im Flächenmodell, bemisst das wertabhängige Modell Geschäftsgrundstücke, die nicht zu Wohnzwecken genutzt werden, nach den Kosten der ursprünglichen Herstellung der Bebauung. Wäre das nicht sogar vorteilhaft für E.on, wenn man bedenkt, dass viele Ihrer Gebäude bereits vor Jahrzehnten zu günstigen Kosten erbaut wurden?
Kolan: Unser Ziel ist ja nicht, Grundsteuer zu reduzieren…
… was aber doch Ihr Job ist!
Kolan: Natürlich bin ich verantwortlich dafür, unsere Interessen wahrzunehmen. Im vorliegenden Fall geht es jedoch für uns in erster Linie darum, ein einfach zu administrierendes neues Verfahren zu implementieren. Dabei gehen wir davon aus, dass die geplante Aufkommensneutralität der Grundsteuerreform durch eine Anpassung der Hebesätze gewährleistet wird. Des Weiteren sollte meiner Ansicht nach gewährleistet werden, dass höhere Mieten und Baukosten nicht automatisch zu einem Anstieg der steuerlichen Bemessungsgrundlage und damit der Grundsteuer führen.
Die Grundsteuer soll nach dem Willen des BMF ja auch ein Stück weit soziale Gerechtigkeit schaffen. Daher stellen einige auch die Umlagefähigkeit in Frage…
Kolan: Das wäre dann eine Substanzbesteuerung!
Schindler: Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber in seinem Urteil aufgefordert, eine eindeutige Entscheidung zu treffen, wer die Grundsteuer trägt. Das Finanzministerium ist hier sehr klar und hat in seinem aktuellen Referentenentwurf dargelegt, dass „die Grundsteuer sachgerecht durch ihre Umlagefähigkeit alle Einwohner“ erfasst. Damit gehört die Beibehaltung der Umlagefähigkeit auch zum Herzstück der Grundsteuerreform. Wenn sie nicht umlagefähig wäre, wäre die Grundsteuer die Besteuerung einer bestimmten Art von Vermögen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vermögenssteuer hat es jedoch in der Vergangenheit bereits gegeben. Zumal eine Vermögenssteuer den Ländern zusteht, nicht den Gemeinden. Zudem würde sich eine fehlende Umlagefähigkeit auf die Kaufwerte und auf die Kaltmiete auswirken.
Selbst wenn die Grundsteuer weiter auf die Mieter umgelegt werden kann, bedeutet das wertabhängige Modell für Sie doch sehr viel Arbeit, weil ja unterschiedlich hohe Mieten zu einer unterschiedlich hohen Umlage der Grundsteuer in jeder Wohnung führen würden.
Schindler: Naja, nicht für jede Wohnung. Wir gehen nach jetzigem Stand davon aus, dass das Verfahren so ähnlich läuft wie bei den Einheitswerten. Das heißt: Wir haben zurzeit 70.000 Zurechnungseinheiten und werden 70.000 Erklärungen abgeben müssen, 70.000 Bescheide bekommen und werden dann auch 70.000 Bescheide in den Nebenkostenabrechnungen weitergeben müssen, die dann bei Mehrfamilienhäusern auf die einzelnen Wohnungen aufgeteilt werden müssen. Das führt uns auch ganz schnell wieder zu einem sehr hohen Aufwand: Wenn ich für eine Zurechnungseinheit manuell eine Stunde brauche, bräuchte ein Full Time Equivalent bei einem Arbeitsjahr von 240 Tagen 38 Jahre, bis er das alles abgearbeitet hat. Wir werden also automatisieren müssen. Und je weniger Parameter es gibt, desto einfacher ist es.
In der Verwaltung dürften sich ja ähnliche Fragen stellen.
Schindler: In der Tat. In der Anhörung vorm Bundesverfassungsgericht hat die Verwaltung gesagt, sie bräuchte sieben bis zehn Jahre für die technische Umsetzung. Dagegen soll laut dem Gesetzentwurf der erste Hauptfeststellungszeitpunkt der 1.1.2022 sein. Bis dahin müsste eigentlich die IT auf Seiten der Finanzverwaltung stehen. Man könnte natürlich sagen, die Finanzverwaltung kann sich mehr Zeit nehmen, denn die Werte werden erst zum 1.1.2025 benötigt. Aber dort müssen 500 Mal so viele Grundstücke bzw. Einheiten bearbeitet werden wie bei Vonovia, nämlich 35 Millionen.
Kolan: Es ist eine Win-Win-Situation für Wirtschaft und Verwaltung, wenn wir die Reform einfach halten…
Allerdings muss die Industrie doch auch nach dem wertunabhängigen Modell, für das sich der Freistaat Bayern einsetzt, Kröten schlucken. Während danach nur 20 Cent pro Quadratmeter für Gebäudeflächen anfallen, die zu Wohnzwecken genutzt werden, sieht das Bayern-Modell 40 Cent pro Quadratmeter für nicht zu Wohnzwecken genutzte Gebäudeflächen vor. Sie, Herr Kolan, müssten also künftig doppelt so viel zahlen wie Herr Schindler – und das sogar für mehr Flächen, weil ich davon ausgehe, dass Ihre Industrieflächen größer sind als die reinen Wohnflächen von Vonovia.
Schindler: Eine interessante Frage, ob es in Deutschland mehr Wohn- oder Gewerbeflächen oder auch land- oder forstwirtschaftlich genutzte Flächen gibt. Müsste man mal durchrechnen…
Kolan: … genauso wie die Frage, wie hoch der Geldbetrag pro Quadratmeter, also die Äquivalenzzahlen, wirklich sein sollten. Ob wir also mit den von Ihnen erwähnten 40 Cent schlechter dastehen würden als momentan, oder ob die Industrie im Vergleich zur Wohnwirtschaft benachteiligt würde, kann niemand sagen. Da ist nach meiner Kenntnis überhaupt noch nichts durchgerechnet.
Schindler: Der Charme der Äquivalenzzahlen ist die hohe Transparenz und Nachvollziehbarkeit: Sie werden festgesetzt, es kann sie jeder nachgucken und es gibt einen entsprechenden Multiplikator. Was dabei an Ergebnis im Vergleich zur heutigen Grundsteuerbelastung rauskäme, – so ehrlich muss jeder sein – weiß aber kein Mensch, weder beim wertabhängigen noch beim wertunabhängigen Modell. Das Ministerium plädiert nur an die Gemeinden, die Hebesätze entsprechend zu reduzieren, um das Gesamtaufkommen gleich zu halten.
Oder zu erhöhen.
Schindler: Das kann ich nicht beurteilen. Ein Problem ist auch, dass sich die Debatte immer nur um vermeintliche Gerechtigkeit dreht. Da mache ich aber ein großes Fragezeichen. So hat sich beispielsweise der Bodenrichtwert in einigen Gegenden von Berlin in ein paar Jahren fast versiebenfacht. Nach dem wertabhängigen Modell stiege dementsprechend die Grundsteuer – ohne dass erkennbar wäre, dass sich die kommunalen Leistungen verbessert hätten. Das Gerechteste, das eine Reform der Grundsteuer schaffen kann, ist aus meiner Sicht, möglichst schonend mit Steuergeldern umzugehen, indem man den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich hält und die Eingriffsverwaltung auf ein notwendiges Minimum zu beschränken.
Das Gespräch führte Jörn Poppelbaum.