Das 10-Punkte-Programm hatten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Lindner im Rahmen der zweitägigen Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg vorgelegt. Unter dem Motto „Zukunftsinvestitionen fördern, Finanzierung erleichtern, Verfahren beschleunigen“ fasst das Programm das Wachstumschancengesetz, das Zukunftsfinanzierungsgesetz und den Klima- und Transformationsfonds. Die weiteren Punkte betreffen die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, den Abbau von Bürokratie und die Gewährleistung sicherer und bezahlbarer Energie, Förderung der Digitalisierung – unter anderem in der Verwaltung durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) – und die Bekämpfung des Fachkräftemangels. Bildung und Forschung sollen ebenso gefördert werden wie der globale Handel.
Die Maßnahmen des Wachstumschancengesetzes sollen kleine und mittlere Unternehmen bis 2028 mit rund 7 Milliarden Euro entlasten und somit Anreize schaffen, in den Wirtschaftsstandort Deutschland zu investieren. Neue Abschreibungsmöglichkeiten sollen insbesondere der schwächelnden Baukonjunktur zugutekommen und den Wohnungsbau mit 500 Millionen Euro stärken. Das Entlastungsvolumen des gesamten 10-Punkte Programms summiert sich auf über 32 Milliarden Euro.
Zudem können Unternehmen Verluste steuerlich umfangreicher verrechnen. Das Steuersystem soll auch durch höhere Schwellenwerte und Pauschalen so vereinfacht werden, dass der bürokratische Aufwand minimiert wird.
Trotz all dieser Maßnahmen hält sich die Begeisterung der Verbände in Grenzen. Es bestehe noch „erheblicher Nachholbedarf“, erklärte beispielsweise Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Sie vermisst eine Aussetzung der Mindestgewinnbesteuerung. Diese würde die Liquidität der Unternehmen deutlich steigern. Sie begrüßt jedoch die befristete Einführung neuer Abschreibungsregeln, die ihrer Meinung nach wichtige Investitionsanreize gebe.
Das Gesetz wird nun im Bundestag beraten. Die Bundesländer, die ihm zustimmen müssen, befürchten jedoch, auf den Kosten sitzen zu bleiben. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) hat bereits ein Nein im Bundestag angekündigt. Er hält die Lastenverteilung von einem Drittel auf Bundesseite und zwei Dritteln auf Länderseite für „nicht tragbar“, wie er der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sagte. Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) äußerte sich mit dem Wachstumschancengesetz an sich zufrieden, kritisiert jedoch ebenfalls die Finanzierung: „So sollten Bund und Länder nicht miteinander umgehen“. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) äußerte sich enttäuscht über die Meseberger Beschlüsse. Die Mehrbelastungen für die Kommunen seien „ein schwerer Nackenschlag“.
Streitthema Industriestrompreis
Nicht zum Maßnahmenpaket gehört der viel diskutierte subventionierte Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen. Diesen hatte insbesondere Bundeswirtschaftsminister Habeck gefordert. Sein Vorschlag sah vor, den Strompreis bis Ende 2030 auf 6 Cent pro Kilowattstunde zu deckeln. Die Kosten sollten aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) bestritten werden. Nutznießer der Regelungen sollten die circa 2.300 bis 2.600 energieintensiven Unternehmen sein, die im internationalen Wettbewerb stehen. Habeck befürchtet, dass Industrieunternehmen nicht weiter in ihre Standorte investieren und ihre Produktionsstätten perspektivisch ins Ausland verlagern könnten.
Der Bundesvorstand der Grünen bekräftigte heute die Forderung nach einem Industriestrompreis und weiteren Investitionen in die Wirtschaft mit einem knapp 6-seitigen Papier mit dem Titel „Wohlstand sichern: Eine dynamische Wirtschaft für eine gerechte Gesellschaft“. Auch mehrere Verbände hatten sich für eine solche Regelung stark gemacht, unter anderem der Verband der Chemischen Industrie.
Die Ampel-Koalition kann sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Haltung zum Thema einigen: Die Grünen sind dafür, auch die SPD-Fraktion beschloss Anfang der Woche ein Konzept, das den Preis sogar auf 5 Cent pro Kilowattstunde deckeln möchte. Der Kanzler zeigt sich indes skeptisch. Die FDP, allen voran Finanzminister Christian Lindner, lehnt die Subvention ab. Er erwartet von den nun beschlossenen Regelungen einen deutlichen Wachstumsschub für die Wirtschaft – auch ohne eine solche Subvention: „Wachstum können wir nicht mit immer neuen steuer- und kreditfinanzierten Ausgabenprogrammen herbeisubventionieren, denn ein solches Wachstum wäre nicht nachhaltig“, so Lindner.
Stattdessen favorisiert der Finanzminister eine Senkung der Stromsteuer, was nach Ansicht des SPD-Wirtschaftspolitikers Bernd Westphal jedoch zum einen Unternehmen zugutekäme, die diese Subvention gar nicht brauchen. Zum anderen würde diese Steuerminderung nicht zu einer Entlastung der energieintensiven Industrien führen, da diese keine Stromsteuer zahlen. Aus seiner Sicht wäre eine Kopplung des Industriestrompreises an den Ausbau erneuerbarer Energien wesentlich sinnvoller. (mit Material von dpa)