Die rückwirkende Korrektur betrifft gleichermaßen Bescheide zur Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer, die für Verzinsungszeiträume ab 2019 erstellt wurden und noch nicht bestandskräftig sind. Bislang sah die Abgabenordnung für die Verzinsung von Steuernachforderungen nach Ablauf einer 15-monatigen Karenzzeit einen Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat vor. Dies entspricht einem Jahreszinssatz von sechs Prozent, der sowohl für noch ausstehende Steuerzahlungen an den Fiskus galt, als auch für Rückzahlungen. Eine solche Verzögerung kann beispielsweise durch eine Außenprüfung verursacht werden.
Die Karenzzeit stellt aus Sicht der Verfassungsrichter den Knackpunkt dar: Steuerschuldner, die Steuerforderungen plus Zinsen nach Ende der Karenz begleichen müssen, würden schlechter behandelt als solche, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit – und damit ohne Zinslast – endgültig festgesetzt wird. Das widerspreche dem allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes.
BFH-Auffassung bestätigt
Die Höhe des Zinssatzes lag seit 1961 unverändert hoch. In der historischen Niedrigzinsphase infolge der Finanzkrise 2008 war dadurch eine viel kritisierte Schieflage entstanden, denn die Zinsen sollten potenzielle Gewinne ausgleichen, die jedoch in dieser Höhe am Kapitalmarkt nicht zu erzielen sind. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) hatte 2018 die Verfassungsmäßigkeit bezweifelt. Die Finanzbehörden setzten die Zinsen wegen der unklaren Rechtslage seit Mai 2019 nur vorläufig fest, wodurch sie nun nachträglich geändert werden können – sowohl zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Steuerzahlers. Außerdem hatten die Behörden in bestimmten Fällen vorläufig auf das Eintreiben der Zinsen verzichtet.
Für den Zeitraum zwischen 2014 und 2018 darf der Gesetzgeber Korrekturen vornehmen, ist hierzu jedoch nicht verpflichtet worden. Dass hierfür eine Neuregelung getroffen wird, gilt daher als unwahrscheinlich. In den Jahren bis 2013 war das allgemeine Zinsniveau zwar auch schon deutlich abgesunken. Damals sei der starre Zinssatz aber „noch in einem rechten Verhältnis“ gewesen. Spätestens seit 2014 sei er aber „evident realitätsfern“, so das Gericht.
In Karlsruhe hatten zwei Unternehmen geklagt, die nach einer Steuerprüfung allein Zinsen in sechsstelliger Höhe nachzahlen sollten. Weil es hier um Zeiträume zwischen 2010 und 2014 ging, hatte nur eine dieser Verfassungsbeschwerden teilweise Erfolg.
„Atypischer Fall als Leitbild“
Eine dieser Verfassungsklagen legte der Rechtsanwalt Prof. Dr. Simon Bulla von der Sozietät pdrei Rechtsanwälte Heim und Partner ein und zeigte sich zufrieden mit der Entscheidung des Gerichts. „Es ist erfreulich, dass dem Steuergesetzgeber mit dieser Entscheidung Schranken gesetzt werden“, so Bulla. „Natürlich muss der Gesetzgeber – gerade in der Steuerverwaltung als Massengeschäft – typisieren dürfen; sein normatives Ermessen zu typisieren und zu pauschalieren muss aber dort seine Grenze finden, wo er einen völlig atypischen Fall als Leitbild wählt. Die Zeiten, in denen Unternehmen, Gewerbetreibende oder Sparer ihr Geld auf der Bank verzinst bekommen haben, sind freilich lange vorbei. Dies muss nun auch Niederschlag in der Steuergesetzgebung finden“. Unterstützt wurde er durch Rechtsanwalt Eugen Schaf und Steuerberater Kay Laimer.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) äußerte sich ebenfalls positiv zu dem Beschluss des höchsten deutschen Gerichts. „Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuregelung gibt Unternehmen endlich mehr Planungssicherheit. Der Gesetzgeber muss jetzt den steuerlichen Zinssatz absenken und dauerhaft verfassungsfest regeln. Sinnvoll ist eine Regelung, die auf Änderungen des Zinsniveaus reagiert“, so BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang in einer Stellungnahme. (Verena Clemens; mit Material von dpa)