CO2-Gesetzgebung

Wie der europäische Green Deal zur Weltpolitik wird

Autor/en
  • Götz Kümmerle

Ausgerechnet das Freihandelsprinzip der Welthandelsorganisation (WTO) zwingt die EU, Ihr Klimaschutzmodell in die ganze Welt zu exportieren. Durch das CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) wird mittelbar für den ganzen Globus verpflichtend, was rechtlich eigentlich nur für den EU-Raum gilt. Doch CBAM ist erst der Anfang. Und die Entwicklung wird auch für die Beratungshäuser erhebliche Konsequenzen haben.

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Um ihre Klimaziele zu erreichen, haben sich die EU-Staaten 2021 auf den sogenannten ‚Green Deal‘ oder das Fit-for-55-Programm geeinigt: Die CO2-Emissionen der EU müssen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Im Jahr 2050 soll Europa treibhausgasneutral sein. Der größte Teil des Fit-for-55-Programms sind die Beschlüsse zum Emissionshandel.

Spätestens seitdem ist Schluss mit lustig: Denn der EU-Emissionshandel gibt Treibhausgasen einen Preis. Bis 2021 betraf dies nur Energieunternehmen, die energieintensive Industrie sowie Teile des Luftverkehrs. Nun kamen Verkehr und Gebäude als Sektoren hinzu. Trotzdem: Spürbar war der Emissionshandel nicht wirklich. Denn der Luftverkehr und besonders im internationalen Wettbewerb stehende Industriesektoren erhielten dennoch weiter kostenlose Emissionszertifikate. Genau diese sollen nun schrittweise abgeschafft werden. Eine Gefahr für europäische Firmen, die drohen nicht mehr wettbewerbsfähig zu bleiben. Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz: CBAM) soll daher einen Ausgleich für europäische Unternehmen schaffen gegenüber Unternehmen aus anderen Wirtschaftsräumen, für die der EU-Emissionshandel nicht gilt. 2023 startet die dreijährige CBAM-Testphase: für den Stromsektor und ausgewählte, in die EU importierte Güter etwa aus der Zement- oder Stahl-, Aluminium oder Düngemittelindustrie soll ebenfalls ein CO2-Preis erhoben werden.

Enorme Einschnitte durch scharfgestellten Emissionshandel

Dabei sind gerade die Einschnitte enorm, die ein scharf gestellter Emissionshandel verursachen kann: „Es fing ursprünglich bei 10 Euro pro Tonne CO2 an und geht jetzt schon bis 100 Euro pro Tonne CO2“, berichtet der Direktor des Instituts für Zoll- und Außenwirtschaftsrecht an der Universität Münster und Gründungspartner der Zoll- und Umsatzsteuerboutique AWB, Professor Dr. Hans-Michael Wolffgang. Allerdings werden im Augenblick noch Gratiszertifikate vergeben und der Emissionshandel umfasst noch nicht alle Bereiche der Wirtschaft. Wenn ab 2035 die Vergünstigungen durch beispielsweise solche Gratiszertifikate wegfallen, steigen voraussichtlich die Kosten. „Dann könnte es für die europäische Wirtschaft interessant werden, die Produktion in ein Drittland zu verlegen, wo solche Regelungen noch nicht bestehen“, so Wolffgang. Um eine solche Abwanderung von Unternehmen zu verhindern, sei CBAM notwendig.

Professor Dr. Hans-Michael Wolffgang und Helge Wieggrefe (v.l.n.r.)

Das sei handelsrechtlich in der derzeit geplanten Form kein Problem und stelle in diesem Rahmen auch keinen Eingriff in den Freihandel dar: „Es ist weltweit handelsrechtlich zulässig die Belastung von ausländischen Produkten auf das inländische Niveau zu ziehen“, sagt Wolffgang. „Grenzsteuerausgleiche sind altbekannt und es gibt sie bereits seit dem 18. Jahrhundert“, ergänzt Helge Wieggrefe, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Wolffgang an der Universität Münster. CBAM sei daher nicht per se eine schlechte Maßnahme für den Welthandel. Was CBAM aber nicht sein dürfe, so Wolffgang, sei ein zusätzlicher Zoll. Denn die Welthandelsgemeinschaft habe sich mit der Gründung der Welthandelsorganisation Mitte der 90er Jahre verpflichtet, keine neuen Zölle einzuführen, sondern im Gegenteil die bestehenden Zölle zu reduzieren. Deshalb hätten die Zolltarifierung und die Nomenklatur auch so an Gewicht gewonnen, denn daran hänge der Zollsatz.

Europäische Regelungen werden international gespiegelt

In dem Wunsch zu verhindern, dass Importe durch den europäischen Emissionshandeln nicht bessergestellt werden, muss die EU gleichzeitig sicherstellen, dass Sie Importe nicht schlechter stellt. Dies geht nur, wenn auch die europäischen Regelungen zur Berechnung und zum Reporting international gespiegelt werden. CBAM muss daher für Importe exakt die Regelungen abbilden, die auch gelten würden, wenn die Waren im EU-Raum produziert worden wären. Damit werden die europäischen Klimaschutzvorschriften quasi ihrerseits exportiert.
Genau da beginnt das Problem für Unternehmen und ihre Berater: Denn diese müssen bei Importen nun plötzlich gleich oder vergleichbar machen, was eben in aller Regel nicht vergleichbar ist. Nämlich die weltweiten Produktionsbedingungen sowie die Regelungen und Berechnungsverfahren für Treibhausgasemissionen.

Stephan Freismuth

Im Interview mit JUVE Steuermarkt hat der KPMG-Zollexperte Stephan Freismuth bereits auf mögliche Konsequenzen hingewiesen: „Die jetzige Regelung stellt eine deutliche Benachteiligung für Einführer CO2-freier bzw. -armer Produkte dar“, resümierte Freismuth. Der KPMG-Experte wies auf einen in seinen Augen bestehenden Systemfehler beim unterjährigen Erwerb von CBAM-Zertifikaten hin. Gerade besonders ökologisch produzierende Unternehmen müssten Zertifikate erwerben, die sie später nicht mehr zurückgeben können. Der Fehler entsteht aus der Notwendigkeit, auch ausländische Produktionsverhältnisse möglichst optimal aus europäischer Brille einzuordnen und einzupreisen.

CBAM und CSRD gehen Hand in Hand

Richard Albert

Doch genau diese Brille nimmt die EU nicht nur in Bezug auf das CO2-Grenzausgleichssystem ein: „CBAM ist nur ein kleiner Teil der neuen Kohlenstoffgesetzgebung. Das Thema muss daher ganzheitlich gedacht werden“, fordert der Zoll- und Außenhandelsexperte Richard Albert von Ernst & Young (EY). Der Leipziger Partner betont: „Die Kohlenstoffgesetzgebung wiederum steht nicht allein im Raum. Auch die Decarbonisierungsbemühungen der EU stehen in direktem Zusammenhang mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die im November 2022 vom EU-Parlament verabschiedet wurde.“ Mit der Richtline, die seit Januar in Kraft ist, hat die EU die Regulatorik zur nicht-finanziellen Berichterstattung erheblich erweitert. Sie gilt für alle mittleren und größeren in einem EU-regulierten Markt notierte Unternehmen – nach Schätzungen in der EU handelt es sich hierbei um 11.600 bis 49.000 Unternehmen. Ziel ist es, die Rechenschaftspflicht europäischer Unternehmen über Nachhaltigkeitsaspekte zu erhöhen und erstmals verbindliche Berichtsstandards auf Ebene der EU einzuführen. Die CSRD verankert die sogenannte doppelte Wesentlichkeit. Demnach sind Unternehmen verpflichtet, sowohl über die Auswirkungen des eigenen Geschäftsbetriebs auf Mensch und Umwelt als auch über die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf das Unternehmen zu berichten. Bislang musste nur dann über Sachverhalte berichtet werden, wenn beide Wesentlichkeitsaspekte zutrafen.

„Reportinganforderungen erzeugen unglaublichen Druck auf ausländische Zulieferer“

„Diese Reportinganforderungen erzeugen auch einen unglaublichen Druck auf ausländische Zulieferer“, so Albert. Denn das Reporting zwinge zu einer umfassenden Informationsrecherche und -weitergabe gerade bei Einfuhren. Das Sustainability-Thema sitze dabei praktisch zwischen allen Stühlen, weil viele Bereiche in Kanzleien und Beratungshäusern gleichermaßen davon betroffen sind: eben auch Tax & Legal. Dabei ist mit CBAM und CSRD noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. So habe, berichtet Albert, die EU sich Anfang Dezember 2022 auf eine Verordnung zu Sorgfaltspflichten für Unternehmen zu entwaldungsfreien Lieferketten geeinigt. Demnach sollen Palmöl, Rindfleisch, Holz, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Soja nur eingeführt werden dürfen, wenn deren Erzeugung nicht auf nach Dezember 2020 gerodeten Waldflächen erfolgte. Die Vorschriften gelten auch für eine Reihe von Folgeerzeugnissen wie Schokolade, Möbel, Druckpapier und ausgewählte Derivate auf Palmölbasis (z. B. als Bestandteile von Körperpflegeprodukten).
„Anhand der Anti-Entwaldungsrichtlinie kann man sehen, wie die Dinge zusammenwachsen: Zolltarifierung ist hier genauso betroffen wie ESG-Compliance“, so Albert. Die Crux liegt wie bei CBAM aber im Detail der Umsetzung. Denn um festzustellen, ob ein Stück Holz aus dem Amazonas oder ein argentinisches Entrecôte nicht doch von einer Fläche stammt, die nach Dezember 2020 gerodet wurde, müssen in Zukunft genaue Geotrackinginformationen, also exakte GPS-Daten, von den ausländischen Lieferanten und Zulieferern mitgeliefert werden.

Integrierte Datenanalyse- und Simulationsmethoden notwendig

In der Kombination stellten diese Regelungen ganz neue Anforderungen an die Reportingsysteme und damit an die Berater, so Albert: „Es braucht integrierte Datenanalysemethoden, die sowohl eine Simulation von CBAM-Kosten wie die Analyse von Zolldaten erlauben.“ Dazu arbeiten Albert und sein EY-Team zunehmend mit Business Intelligence-Anwendungen. Ziel solcher Tools ist die Gewinnung von Erkenntnissen aus den im Unternehmen vorhandenen Daten zur Unterstützung von Managemententscheidungen. Damit wird Tax & Legal über den Weg von Reportingsimulationen immer mehr ein fester Bestandteil des aktiven Entscheidungscontrollings, statt wie früher traditionell eher im Nachgang bei der Rechnungslegung anzudocken.

Mit dem Auslaufen der freien Zuteilung von Emissionshandelszertifikaten im Rahmen des Europäischen Emissionshandel in den Jahren 2026 bis 2034 und dem spiegelbildlichen Einphasen des CBAM mit der Notwendigkeit CBAM-Zertifikate für betroffene Einfuhrwaren zu erwerben, erwartet Albert einen sprunghaft ansteigenden Beratungsbedarf. Dazu hat die Big-Four- extra ein Online-Tool entwickelt, das Klimarisiken analysiert, um regulatorische und Marktverpflichtungen zu erfüllen (EU Taxonomie, CSRD, Task Force on Climate Related Financial Disclosures (TCFD), Carbon Disclosure Project (CDP) etc.). Solche Tools helfen aber auch nur, wenn entsprechende Daten in einer entsprechenden Form vorhanden sind: „Die fragmentierte Struktur von ERP-Systemen ist ein großes Problem in der Datenhaltung und dann folgend in der Datenauswertung“, sagt Albert. Hinzu kommt, dass Reportings über ESG oder den CO2-Fußabdruck global nicht nach einheitlichen, sondern nach völlig verschiedenen Standards ermittelt und erstellt werden.

Das in den 90ern eingefrorene Welthandelssystem ist daher nicht unbedingt auf Neuerungen ausgerichtet. Jedenfalls dann nicht, wenn diese Neuerung die Erhebung zusätzlicher Kosten bedeuten. Denn das Welthandelssystem ist ein Kind seiner Zeit: Mitte der 90er war noch die Zeit des Glaubens an einen Siegeszug des möglichst zollfreien Freihandels; des Glaubens daran, dass Handelsschranken nur abgebaut, aber nicht aufgebaut werden sollten. Die Idee, dass Umweltschutzgesichtspunkte Zugangshürden eines Tages notwendig machen würden, gab es vor dreißig Jahren noch nicht.

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