JUVE: Momentan läuft in der Regierungsbildung alles auf eine Jamaika-Koalition hinaus. Ein Novum auf Bundesebene. Was erwarten Sie von der künftigen Steuerpolitik?
Berthold Welling: Die politische Gemengelage für Reformen ist nach der Wahl sicher nicht einfacher geworden. Die Verhandlungen dürften anspruchsvoll werden. Gleichwohl denke ich, dass man sich in vielen Punkten einigen kann. Grundsätzlich braucht es eine Kehrtwende in der Steuerpolitik. Das heißt: weg von der Betrachtung des Missbrauchseinzelfalls als Argument für schärfere Regeln hin zu mehr Strukturreformen.
An welchen Stellen ist das Unternehmensteuerrecht denn konkret reformbedürftig?
Was wir vor allem brauchen, ist eine gewinnorientierte steuerliche Bemessungsgrundlage. Ein Kernproblem bei der Unternehmensbesteuerung ist die Gewerbesteuer. Fast alle Städte ab 50.000 Einwohnern haben mittlerweile so hohe Hebesätze, dass die Gewerbesteuer über die Hälfte der Belastung ausmacht. Zudem sorgen die Hinzurechnungen über den Konjunkturverlauf für eine höhere Volatilität. Leider müssen wir feststellen, dass es bei der Gewerbesteuer wenig politische Bewegung gibt. Bislang wurden alle Vorstöße für eine Reform von den Kommunen abgelehnt. Wenn wir jedoch eine stärkere Harmonisierung der Unternehmensteuern in Europa wollen, muss die Gewerbesteuer ertragsorientierter ausgestaltet werden.
Ein weiteres Thema ist die Grundsteuerreform, die in der Reformkommission hängt. Bei dem Thema gibt es in den Bundesländern unterschiedliche Ansätze. Die Vorbehalte Bayerns und Hamburgs gegen das Reformmodell eines rein verkehrswertorientierten Ansatzes sind berechtigt. Mehr pauschale Wertfaktoren, beispielsweise über die Einberechnung der Nutzungsfläche, würden zu deutlichen Vereinfachungen und weniger Belastungsverwerfungen führen. Welche Auswirkungen die Reform für die betroffenen Bürger und Unternehmen hätte, zeigen einzelne Evaluierungen der Reformvorschläge mit teilweise gravierenden Steuererhöhungen.
Eines der besonders spannenden Themen in Koalitionsverhandlungen für ein mögliches Jamaika-Bündnis dürfte die Energiepolitik werden und damit auch die damit verbundenen Steuern. Welche Erwartungen haben Sie?
Auch bei den Energie- und Stromsteuern haben wir einen klaren Handlungsbedarf. Allerdings geht der weit über die nationale Entwicklung hinaus. Energiesteuern muss man international betrachten, wir benötigen europarechtlich feste Lösungen, insbesondere im Hinblick auf die Behandlung energieintensiver Unternehmen. Die Entlastungen von der hohen Strom- und Energiesteuer gehören von Anfang an zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Energiesteuer. Bestrebungen, jetzt insgesamt an der Belastungsschraube zu drehen und zugesagte Ausnahmeregelungen zusammenzustreichen, sind falsch. Wir dürfen Schlüsselindustrien und -technologien nicht verlieren. Entscheidend ist vielmehr die internationale Energiebilanz.
Der BDI fordert seit Längerem eine steuerliche Forschungsförderung. Geld dafür wäre durchaus vorhanden. Wie könnte der Weg aussehen?
Wir sehen seit fünf Jahren neue Rekordüberschüsse im Haushalt. In der kommenden Legislaturperiode werden sich die steuerlichen Mehreinnahmen der öffentlichen Kassen auf voraussichtlich fast 300 Milliarden Euro summieren. Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungs- und Industriestandorts Deutschland wäre die steuerliche Förderung eine sinnvolle Ergänzung zur allgemeinen Projektförderung. Viele steuerliche Regelungen im hiesigen Unternehmensteuerrecht sind kontraproduktiv, weil sie zu erhöhten Steuerbelastungen bis hin zur Doppelbesteuerung führen. Dies ergab der 360-Grad-Check von BDI und dem Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) zu steuerlichen Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung (FuE).
Betroffen hiervon sind auch Wagniskapitalinvestitionen etwa in Start-ups, die für einen Technologiestandort immens wichtig sind. In 26 EU-Mitgliedsstaaten gibt es bereits auf Empfehlung der EU-Kommission entsprechende steuerliche FuE-Förderungen. Nicht zuletzt, weil im Hinblick auf die Herausforderungen der Digitalisierung dieses Instrument sehr hilfreich ist. Die Förderkosten sind ohnehin überschaubar, insbesondere weil die Förderung über einen hohen Selbstfinanzierungseffekt verfügt. Das Beispiel Österreich unterstreicht dies. Dort erhalten die Unternehmen ab dem kommenden Jahr 14 Prozent der FuE-Kosten als Barauszahlung bzw. Steuergutschrift erstattet. Die Ergebnisse der Evaluierung machen deutlich, dass rund die Hälfte der Förderausgaben allein über die Lohnsteuer wieder reinkommt.
Das Gespräch führten René Bender und Stephan Mittelhäuser.
Lesen Sie das ganze Interview: „Wir brauchen eine gewinnorientierte Unternehmensteuer“ im gerade erschienenen JUVE Steuermarkt 11/2017 – unter anderem mehr dazu, an welchen Stellen Deutschland in Augen Wellings vom Ausland lernen kann, was Steuersenkungen der USA sowie Großbritanniens für die deutsche Steuerpolitik bedeuten und welche Position der BDI zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle einnimmt.