Anna-Laura Jermanns Karriere ist alles andere als konventionell. Von Leverkusen aus entwickelt die Schweizer Wirtschaftswissenschaftlerin für Bayer Verteidigungsstrategien für globale Steueraudits. Dabei haben ihre Leidenschaft für das Kickboxen und ein Zertifizierungslehrgang im internationalen Steuerrecht sie zu einer Expertin für das Thema Tax Controversy gemacht. Dass sie sich mal intensiv mit Tax Controversy auseinandersetzen würde, hätte sich Anna-Laura Jermann während ihres Studiums wohl nicht erträumt. Und dann auch noch von Deutschland, genauer von Leverkusen aus. Denn Jermann ist Schweizerin – und studierte Wirtschaftswissenschaftlerin. Seit knapp zwei Jahren ist Jermann im Bereich ‚Tax Audit & Controversy‘ innerhalb der Steuerabteilung des Dax-Konzerns Bayer beschäftigt. Derzeit absolviert sie ein dreijähriges Assignment am Hauptsitz in Leverkusen – und kümmert sich vor allem um das globale Steuerrisiko-Reporting sowie die Betreuung internationaler Betriebsprüfungen. Eigentlich Tätigkeiten, um die sich normalerweise Steuerberater oder Juristen kümmern. „Es geht bei meiner Arbeit immer um die Frage: Was ist eine gute Verteidigungsstrategie? Und ich denke immer von der Betriebsprüfung aus“, erklärt Jermann ihre Aufgaben. Doch wie kam Jermann zu dem für ihren Werdegang zunächst eher untypisch anmutendem Tätigkeitsfeld? Von 2010 bis 2013 absolviert sie einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Basel. Von 2014 bis 2016 packt sie dann einen Master obendrauf – Schwerpunkt: Finance, Banking und Controlling. Zu einem kleinen Teil gehört das Steuerrecht hier schon zum Kanon, ist aber neben Marketing, Controlling, Finanzierung und HR einer von vielen Ausbildungsinhalten. Ein recht typisches BWL-Studium also.
Parallel zum Studium beginnt Jermann als Trainee bei J. Safra Sarasin. Anschließend steigt sie noch während des Bachelors im HR-Bereich der Baseler Privatbank ein. Knapp siebeneinhalb Jahre und bis zum Ende ihres BWL-Studiums bleibt sie dort, beschäftigt sich mit Projektthemen im Personalbereich. Danach wechselt sie innerhalb der Bank in den Controlling- & Managementreporting-Bereich. „Das entsprach tatsächlich viel mehr dem, was ich im Studium gelernt hatte“, erklärt Jermann. Knapp anderthalb Jahre ist sie dann im Controlling bei J. Safra Sarasin – und erinnert sich, was sie sonst noch im Studium gelernt hat: auch mal das Unternehmen zu wechseln.
Vom Kickboxen zum Transfer Pricing
Schließlich tut sich eine Option auf. Beim Sport – Jermann ist leidenschaftliche Kickboxerin – bekommt sie einen Tipp und bewirbt sich bei Bayer in Basel. Im Herbst 2017 fängt sie schließlich in der Steuerfunktion des deutschen Pharmariesen an – als Transfer Pricing & Business Model Manager. Insgesamt ist sie viereinhalb Jahre in diesem Bereich tätig. „Die Verrechnungspreise sind noch mal eine ganz eigene Welt“, sagt Jermann rückblickend. Und schnell merkt sie, dass es ohne fundiertere Kenntnisse im internationalen Steuerrecht trotzdem nicht funktioniert. Von 2019 bis 2020 macht sie einen Zertifizierungslehrgang am niederländischen International Bureau of Fiscal Documentation (IBFD).
Im Anschluss sattelt sie noch einen LL.M. drauf. Und zwar in Liechtenstein – ebenfalls im internationalen Steuerrecht. „Da ich als Schweizerin für einen deutschen Konzern arbeite, hatte sich die Universität Liechtenstein angeboten“, sagt sie. Der Clou des Studiengangs: „Man erhält Einblicke in das Steuerrecht von gleich vier Ländern.“ Neben Liechtenstein, Deutschland und der Schweiz gehören auch Ausbildungsinhalte zum österreichischen Steuerrecht dazu. Ein weiteres Highlight war für Jermann dann die Abschlussstudienreise nach Singapur und Hongkong. „Dort hatten wir vor Ort auch die Möglichkeit, mit den lokalen Steuerbehörden zu sprechen – zum Beispiel zur globalen Mindeststeuer.“
Zu diesem Zeitpunkt ist Jermann bereits seit einigen Monaten in
Deutschland – und eben im Bereich Tax Controversy tätig. Für die Aufgaben, die sie nun macht, fühlt sie sich gut gewappnet. Und da Verrechnungspreise ohnehin immer streitanfälliger werden, ist vieles für Jermann gar nicht mehr so neu. „Mir war es vor allem wichtig, das Fachliche noch mal zu vertiefen. Und Verrechnungspreise spielen nach wie vor eine sehr große Rolle in meiner täglichen Arbeit“, sagt sie. Und wie sähe es damit aus, nochmal einen Schritt weiterzugehen? Und den – deutschen oder eben schweizerischen – Steuerberater-Titel draufzusatteln? Ganz abwegig ist dieser Gedanke für Jermann nicht. „Ich lasse mir die Option auf jeden Fall offen“, sagt sie. Indes: „Mein Profil ist noch ein wenig untypisch für eine Steuerabteilung, aber bisher ist es auch ohne den Titel sehr gut für mich gelaufen und ich konnte meine Fähigkeiten, wie Datenverständnis kombiniert mit steuertechnischem Wissen, gut einbringen“, sagt sie und ergänzt: „Wir sehen auch, dass die nichtsteuerrechtlichen Fähigkeiten immer wichtiger werden.“
Sie könne sich sogar vorstellen, das Team bei lokalen Gerichtsverhandlungen zu unterstützen. Selbst Prozesse führen sei nicht das Ziel, dafür gibt es andere Experten im Team. „Mir gefällt, die strategischen Themen zu bedienen, die ja den Rahmen dafür bilden, sehr gut.“
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