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„Das Gesetz wird Misstrauen schüren“

Steuerprofessor Roman Seer sieht mit der Anzeigepflicht für Steuergestaltungsmodelle erhebliche Probleme auf die Beraterschaft zukommen – und ist sich sicher, dass das Gesetz jeden Anwalt und Steuerberater betreffen wird.

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Roman Seer ist seit Oktober 1996 Inhaber des Lehrstuhls für Steuerrecht und Direktor des Instituts für Steuerrecht und Steuervollzug an der Ruhr-Universität Bochum. Darüber hinaus bekleidet er seit 2012 den Vorsitz der Berliner Steuergespräche e.V. und ist Vorstandsmitglied des DWS-Instituts. Seer hält die Anzeigepflicht für problematisch – besonders in verfassungsrechtlicher Hinsicht.

JUVE Steuermarkt: In der breiten Öffentlichkeit würde die Anzeigepflicht bei Steuergestaltungsmodellen auf große Zustimmung stoßen. Wieso ist die Mehrheit Ihrer Meinung nach hier im Unrecht?Prof. Dr. Roman Seer: Natürlich kann niemand was dagegen haben, dass Gestaltungen, die grenzwertig und illegal sind, aufgedeckt werden. Und deshalb kassiert die Politik für die geplante Anzeigepflicht zunächst Beifall. Die Frage ist aber: Wie wird ein solches Gesetz ausgestaltet? Und hier wird es erhebliche Kollateralschäden geben. Mit dem Gesetz belastet die Politik einen ganzen Berufsstand auf erhebliche Weise. Ohne die steuerberatenden Berufe würde unser Steuervollzugsystem aber komplett zusammenbrechen. Das muss sich die Politik vor Augen führen und mit Augenmaß agieren.

Prof. Dr. Roman Seer

Die Politik will mit der Anzeigepflicht für mehr Rechtssicherheit sorgen. Sie sehen das anders und sagen, der Gesetzgeber streue sogar bewusst Rechtsunsicherheit. Was meinen Sie damit?
In Deutschland herrscht leider ein Ungeist des gegenseitigen Misstrauens, das durch die geplante Anzeigepflicht weiter genährt wird. Die Anzeigepflicht ist schwer zu händeln, die Politik operiert mit unbestimmten Rechtsbegriffen. Der Gesetzgeber will hier ganz bewusst ein rechtsunsicheres Feld schaffen, um die steuerlichen Berater weitgehend zur Offenbarung zu zwingen oder von steuermotivierten Gestaltungen Abstand nehmen zu lassen.

Aber die EU-Kommission hat mit ihrem Kennzeichenkatalog doch dezidiert aufgezählt, was gemeldet werden muss und was nicht.
Sie hat sich bemüht, ja. Ich will aber einige Beispiele aufgreifen, weswegen ich den Sachverhalt so problematisch finde. Die Vertraulichkeitsbedingung zum Beispiel. Diese werden etliche Berater mit ihren Mandanten vereinbaren. Und dann spricht die Kommission von „standardisierten Modellen“. Was heißt das? Eine Gestaltung, die zwei-, drei oder zehnmal Verwendung findet? Das ist ein Graubereich, den niemand überblicken kann. Oder nehmen Sie den sogenannten „Main Benefit“-Test – also ganz allgemein das Ziel eines Steuervorteils. Wenn die Aufgabe eines Steuerberaters ist, die für seinen Mandanten günstigste legale Lösung auszuloten, dann hat er diesen Test ja in nahezu fast  jeder Gestaltung erfüllt.

Es geht der Politik aber doch vor allem um „aggressive“ Steuersparmodelle –und eben nicht um jede einzelne Gestaltung, die ein Berater seinem Mandanten anbietet.
Die Politik spricht von wiederholt vorgenommenen Gestaltungen, die einen Steuervorteil generieren. Darunter fallen zum Beispiel auch bestimmte Vertragskonstruktionen, die der Berater bei mehreren Mandanten anwendet – aber das macht jeder halbwegs qualifizierte Berater so! Das heißt, dass die Politik die gesamte Steuergestaltungspraxis attackiert. Hier wird das ganze Kanzleileben nach etwaigen Gestaltungshilfen zu durchforsten sein. Angesichts drohender Bußgelder und ggf. berufsrechtlicher Verfahren werden die Berater vor der Frage stehen: Soll ich eine Anzeige stellen oder nicht? Gleichzeitig besitzt der steuerliche Berater aber den Auftrag, die günstigste legale Gestaltung für den Mandanten zu wählen. Tut er das nicht, trifft ihn die zivilrechtliche Haftung gegenüber seinem Mandanten. Er befindet sich damit in einem Dilemma.

Hand aufs Herz: Betreffen die anzeigepflichtigen Gestaltungen nicht nur sehr Wohlhabende? Zum einen hat nicht jeder die finanziellen Möglichkeiten, durch Steuermodelle seine Steuerlast zu senken. Zum anderen handelt es sich hier doch vor allem um die Arbeit sogenannter Top-Berater.
Das ist mitnichten der Fall! Die Anzeigepflicht wird sich als Problem für nahezu jeden Anwalt und Steuerberater entpuppen. Dass die Anzeigepflicht nur einen kleinen Kreis Hochvermögender betrifft, ist typisches Wortgeplänkel der Politik, um das Gesetz zu rechtfertigen. Das Bestimmtheitsgebot des Rechts ist ein hohes Gut und die für den Tatbestand angedachten allgemeinen und besonderen Kennzeichen nur schwer einzugrenzen. Die Materie wird sich wie bei der vor einigen Jahren deutlich erschwerten Selbstanzeige entwickeln. Im Vordergrund der Öffentlichkeit standen damals Persönlichkeiten wie Klaus Zumwinkel und Uli Hoeneß. Bei der Anzeigepflicht sind es heute Gestaltungen wie „Cum-Ex“, „Cum-Cum“ und „Goldfinger“. Wenn das Gesetz aber erst einmal in Kraft tritt, wir es automatisch ein Eigenleben entwickeln und deutlich darüber hinausgehen. Und hier wird auch der Mittelstand betroffen sein – insbesondere sogar.

Auch die Verbände und Kammern lehnen das Konzept der Anzeigepflicht ab. Anwälte und Steuerberater machten sich zu Erfüllungsgehilfen der Behörden ist eines der zentralen Argumente. Stimmen Sie zu?
So drastisch würde ich es nicht formulieren. Aber die Abwehrhaltung der Berufsstände ist natürlich nachvollziehbar. Die Anzeigepflicht greift in den Kernbereich der steuerberatenden Berufe ein. Und sie erschwert den täglichen Umgang mit den Mandanten – das ist eindeutig. Die Anzeigepflicht mag gut gemeint sein, sie ist damit aber noch nicht gut gemacht. Man kann die Grenze, ab wann eine Gestaltung ein Modell und somit meldepflichtig ist, nicht trennscharf ziehen. Um die gewünschten Informationen zu erhalten, muss der Anwendungsbereich weit gefasst sein – und betrifft dann aber nahezu alles und jeden. Ist sie sehr eng gefasst, allen Gestaltungen, von denen die Finanzbehörden gern Kenntnis hätten, aber wahrscheinlich wieder heraus. Und das ist die eigentliche Krux dieser Gesetzgebung.

Aber die Politik muss doch reagieren. Immerhin steht sie in der Pflicht, den Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung zu wahren.
Da habe ich bestimmt nichts dagegen. Aber ich bestreite vehement, dass dies nun gerade mit der Anzeigepflicht funktioniert. Legislative und Exekutive müssen sich auf wesentlichere Punkte konzentrieren. Dazu würde zum Beispiel gehören, endlich einmal die Finanzbehörden zu stärken, vor allem personell. Die Politik muss die Attraktivität der Steuerverwaltung für junge Leute verbessern, ein ordentliches Gehalt zahlen, um den Job des Betriebsprüfers auch attraktiver zu machen. Holen sich die Behörden mehr qualifiziertes Prüfungspersonal ins Haus, dann erhalten sie auch Waffengleichheit gegenüber den Stäben der großen Steuerberatungsgesellschaften. Die Anzeigenpflicht hingegen ist eher ein Feigenblatt. Das Gesetz wird zudem leider Misstrauen schüren, statt Kooperation zu schaffen – von den verfassungsrechtlichen Problemen einmal abgesehen.

Sowohl die Regierung als auch die Opposition sind sich aber einig, dass die verfassungsrechtlichen Grenzen eben nicht überschritten werden …
Das müssen die Akteure ja sagen, wenn sie das Gesetz wollen. Die Bundesregierung glaubte ja auch, dass die Erbschaft-, Grund- oder Kernbrennstoffsteuer verfassungskonform sei. Darauf ist nicht viel zu geben. Mit der Anzeigepflicht wird in die Berufsfreiheiten der Steuerberater und Anwälte eingegriffen. Zwar bleibt das Mandantengeheimnis gewahrt, wenn aus der Art der Gestaltung keine Rückschlüsse auf den einzelnen Mandanten gezogen werden kann. Unbeschadet dessen wird aber das Berater- Mandatsverhältnis durch eine rechtsunsichere Anzeigepflicht auf wohl unverhältnismäßige Weise beeinträchtigt. Wenn in dem Entwurf zum neuen Paragraf 138d AO in einer Vielzahl von Absätzen unbestimmte, komplexe Kennzeichen formuliert werden, dann bildet das ein massives Rechtsproblem im Vertrauensverhältnis Berater- Mandant. Beide Seiten müssen eindeutig wissen, in welchen Fällen was den Finanzbehörden gemeldet werden muss. Bleiben dort bewusst gesetzte Grauzonen, sehe ich darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit.

In das Mandatsgeheimnis würde die Anzeigepflicht ohnehin nicht greifen. In Deutschland ginge die Meldepflicht doch auf den Steuerpflichtigen über.
Ja, auch das ist ein merkwürdiger Ansatz. Dort wo das Mandatsgeheiminis gelüftet wird, soll plötzlich der Steuerpflichtige selbst meldepflichtig werden? Dazu muss er die Anzeigepflichten aber überhaupt verstehen können und wissen, was er melden soll. Dazu benötigt er wiederum seinen Berater, der die Meldung für ihn vorbereitet. Verweigert dieser sich dem, hat er ein Haftungsproblem.

Auch die OECD hat in ihren BEPS-Richtlinien für eine Anzeigepflicht plädiert. In Aktionspunkt 12 heißt es: „Ziel solcher Regelungen ist es in erster Linie, dass die Finanzverwaltung frühzeitig über modellhafte Steuergestaltungen informiert wird, ohne den Steuerpflichtigen und ihren Beratern übermäßige Befolgungslasten aufzubürden.“ Ist das realitätsfremd?
Ja, das ist es in der Tat. Man darf aber nicht vergessen: Der Steuerausschuss der OECD wird aus Angehörigen der einzelnen Finanzverwaltungen gebildet, die ein fiskalisches Interesse verfolgen. Die OECD will ein ganzes Arsenal an Verfolgungsmitteln, und es sich zudem besonders leicht machen, alles zu entdecken, was sie für entdeckungswürdig hält. Aber ich habe auch schon einige Stimmen aus der Finanzverwaltung gehört, die mit der geplanten Anzeigepflicht nicht glücklich sind.

Tatsächlich?
Ja. Die Finanzbehörden haben schon jetzt das Problem, die Masse der Informationen aus dem jährlichen automatischen Austausch über Finanzkontendaten aus dem Ausland auszuwerten und den zutreffenden Finanzämtern zuzuweisen. Das dafür zuständige Bundeszentralamt für Steuern zeigt sich schon jetzt als überfordert. Und nun tut die Politik mit der geplanten Anzeigenpflicht kurze Zeit später ein neues Spielfeld auf. Denn irgendwer muss das alles ja auch auswerten. Da habe ich schon von Finanzbeamten gehört: „Lasst uns bloß in Ruhe mit dem Zeug.“ Wird die Anzeigenpflicht weit gezogen, könnten die Steuerberater zudem die Taktik pflegen, auch jede noch so klitzekleine Gestaltung an die Behörden zu melden. Das erscheint sogar recht wahrscheinlich. Denn Berater und Steuerpflichtige wollen ja kein Risiko eingehen, ein Bußgeld zahlen zu müssen.

Haben Sie einen Alternativvorschlag zur Anzeigepflicht?
Ja, und zwar einen simplen: das Angebot an Steuergestalter der kostenpflichtigen verbindlichen Auskunft. Wenn der Staat den Beratern und Steuerpflichtigen – auch den Reichsten der Reichen – anbietet, ihre Steuergestaltungen vorab durch eine verbindliche Auskunft prüfen zu lassen, wäre das ein kluger Ansatz, um das Problem in den Griff zu bekommen. Derzeit lehnt die Finanzverwaltung verbindliche Auskünfte über steueroptimierte Gestaltungen regelmäßig ab; zudem sind für verbindliche Auskünfte derzeit die örtlichen Finanzämter zuständig, denen es regelmäßig an der personellen und qualitativen Ausstattung dafür fehlt. Der Gesetzgeber sollte stattdessen Zentralstellen vorschreiben. Diese wären mit qualifizierten Beamten zu besetzen, die in der Lage sind, solche Gestaltungen zu prüfen. Dadurch erhielte die Finanzverwaltung einen guten Überblick über das, was an Steuergestaltungen in der Praxis geplant ist. Denn die steuerlichen Berater wären aus zivilrechtlichen Haftungsgründen praktisch gezwungen, das Recht auf (kostenpflichtige)  verbindliche Auskunft zu nutzen, um die Tragfähigkeit von geplanten Gestaltungen vorab zu klären und abzusichern. Würde eine missbräuchliche, modellhafte Gestaltung den miteinander vernetzten Zentralstellen auffallen, hätten diese das Modell dem Bundesfinanzministerium zu berichten. Das könnte dann über die Bundesregierung rechtzeitig ein Gesetzgebungsverfahren zur zukünftigen Abwehr derartiger Gestaltungen initiieren. Zudem sollten die verbindlichen Auskünfte anonym veröffentlicht werden. Durch diese Instrumente hätten umgekehrt die Steuerberater die Möglichkeit, sich bereits im Vorfeld darüber zu informieren, was geht und was nicht, erlangten damit auch die rechtsstaatlich gebotene Rechtssicherheit. An die Stelle von Misstrauen träte Vertrauen. Ein Drohpotenzial von Bußgeldern wäre schlicht überflüssig.

Lesen Sie auch den ersten Teil des Interviews „Klare Ansagen“ mit Lisa Paus.

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