Tax Ethics Committee bei Dentons

„Moralische Themen stecken in der einfachsten steuerlichen Frage“

Autor/en
  • Catrin Behlau

Cum-Ex, Panama Papers oder Pandora Papers - immer öfter geraden Beratungsgesellschaften bei Steuerskandalen ins Visier der Öffentlichkeit und manchmal auch der Strafbehörden. Die Dentons-Partner Sandra Hazan aus Paris und Michael Graf aus Frankfurt wollen das nicht länger hinnehmen. Im Interview mit JUVE Steuermarkt sprechen die beiden darüber, dass Steuerrecht nicht immer etwas mit Fairness zu tun hat und warum Dentons ein Tax Ethics Committee braucht.

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Orientierung im Steuerrecht zu liefern ist ein Ziel des Tax Ethics Committees (Foto: Adobe Stock)

Frau Hazan, Herr Graf, warum braucht Dentons ein Tax Ethics Committee?
Sandra Hazan: Wir sehen uns hier als Vordenker. Denn die Frage nach der Verbindung von Ethik und Steuern ist in Kanzleien bislang ein Tabuthema. Dabei erleben wir gerade einen wahren Sturm: Die Medien untersuchen Steuerskandale, es gibt ein hohes öffentliches Interesse an diesen Themen. Gleichzeitig gibt es eine zunehmende Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Steuerrecht und dem, was in der Öffentlichkeit als fair empfunden wird. Die Öffentlichkeit erwartet, dass Steuern fair sein müssen – diese gefühlte Fairness hat aber oft nichts mit den gesetzlichen Vorgaben zu tun. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns als Berater.

Sandra Hazan ist Co-Head der globalen und der europäischen Steuerpraxis bei Dentons in Paris. Sie ist auf Steuergestaltung sowie auf steuerstreitige Themen spezialisiert.

Zudem sind Steuern ein wirklich komplexes Thema. Wir haben festgestellt, dass in den Medien Dinge oft falsch dargestellt werden. Da werden zum Beispiel Steuerhinterziehung und Steuervermeidung gleichgesetzt und legale und illegale Dinge in einen Topf geworfen. Die Unterschiede sind eigentlich klar, werden von den Medien aber gern vermischt. Manche Vorwürfe, die da erhoben werden, sind wirklich absurd. Klar ist: Was illegal ist, bleibt illegal. Aber was nicht illegal ist, sollte auch nicht Teil einer Debatte sein. Und da haben wir gesagt: Das müssen wir ändern, wir wollen Teil dieser Diskussion werden und uns nicht mehr verstecken. Denn Kanzleien können immer öfter Teil einer solchen öffentlichen Debatte werden.

Dass Kanzleien bei solchen Themen eine große Rolle spielen und dadurch auch zunehmend ins Visier der Öffentlichkeit gelangen, hat man ja zum Beispiel in Deutschland an der Rolle von Freshfields Bruckhaus Deringer im Cum-Ex-Skandal gesehen. Auch bei den Panama oder Pandora Papers standen Kanzleien im Mittelpunkt der Debatte. Warum tun sie sich dann so schwer, auf diese Themen zu reagieren?
Hazan: Die Anwaltswelt ist eine verschwiegene Branche und wir haben ja auch tatsächlich eine Verschwiegenheitspflicht, die unsere Transparenz beispielsweise gegenüber den Medien einschränkt. Wir können in einem konkreten Fall nicht einfach alle Informationen liefern. Dahinter verstecken sich die Kanzleien aber auch mal ganz gern, indem sie sagen: ‚Wir sprechen nicht über unsere Mandanten‘. Aber das eine schließt das andere aus unserer Sicht nicht aus. Man kann sich an so einer Debatte beteiligen, ohne Mandatsgeheimnisse preiszugeben. Und genau das möchten wir tun. Und gleichzeitig wollen wir auch die interne Diskussion bei Dentons anregen und wichtige Orientierung liefern.

Der Frankfurter Dentons-Partner Michael Graf ist Co-Head der europäischen Steuerpraxis der internationalen Kanzlei und insbesondere auf internationales Steuerrecht spezialisiert.

Was meinen Sie damit?
Hazan: Der Fall Freshfields beispielsweise hat gezeigt, dass am Anfang die Kanzlei ins Visier gerät, am Ende aber immer der einzelne Berater. Wir haben uns daher zusammengesetzt und überlegt, wie wir unseren Beratern helfen und ihnen mehr Sicherheit geben können. Und wir möchten klar machen, dass wir als Kanzlei hinter ihnen stehen – und gleichzeitig eine Richtschnur anbieten, wo wir die Grenzen ziehen. Das Steuerrecht hat so viele Grauzonen, da ist Orientierung wichtig.
Michael Graf: Moralische Themen stecken ja schon in der einfachsten steuerlichen Frage. Ein Beispiel: Ein internationales Unternehmen möchte in den europäischen Markt eintreten. In welchem Land das Unternehmen seine Holding-Gesellschaft gründet, spielt für das Unternehmen keine große Rolle. Soll ich dem Unternehmen nun sagen, es soll nach Luxemburg gehen, weil dort die steuerlichen Rahmenbedingungen günstiger sind als in Deutschland? Oder bin ich als deutscher Anwalt moralisch verpflichtet, zu einem Markteintritt in Deutschland zu raten, damit dort die Steuern erhoben werden können? Da gibt es viel Interpretationsspielraum.

Wie lief der Prozess zur Gründung des Tax Ethics Committee ab?
Hazan: Der Ausgangspunkt der Diskussion war die Veröffentlichung der Pandora Papers durch das Internationale Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ) im Oktober 2021. Da geriet Baker & McKenzie erheblich ins Kreuzfeuer – die Art und Weise, wie die Steuerpraxis der Kanzlei dort beschrieben wurde, war aus unserer Sicht erschütternd. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir gerade unser Europäisches Strategiemeeting der Steuerpraxis. Und da wurde uns klar: Wir müssen Teil dieser Debatte werden. Initiiert wurde das Ganze dann von uns beiden als Co-Heads der europäischen Steuerpraxis. Wir haben dann intern in der europäischen Praxisgruppe einen Code of Conduct erarbeitet, um zu definieren, wo wir die Grenzen unserer steuerlichen Beratung ziehen. Zugleich haben wir angefangen, mit ausgewählten Medien Kontakt aufzunehmen.

Was waren dabei die größten Herausforderungen?
Graf: Eine der größten Herausforderungen bei so einem Projekt ist sicher, dass es keine harmonisierten Regelungen gibt – was in einem Land legal ist, kann in einem anderen Land illegal sein…

Haben Sie ein Beispiel?
Graf: Ich hatte zum Beispiel ein Gespräch mit einem Kollegen aus Großbritannien. Da habe ich klar gemacht, ‚Wenn etwas rechtlich fragwürdig ist, dann muss man das Mandat niederlegen.‘ Da sagte er: ‚Für mich ist das leider nicht so einfach. Wenn ich das Mandat niederlege, mache ich mich womöglich strafbar!‘ Da habe ich erst erfahren, dass es in Großbritannien berufsrechtliche Regelungen gibt, die den Berater viel enger an seinen Mandanten binden als hier in Deutschland. Da war ich baff. Und dann können wir natürlich nicht verlangen, dass die Kollegen dort ihre Karriere riskieren oder strafrechtliche Konsequenzen fürchten müssen, nur weil sie einem Code of Conduct folgen, der sich alleine an der deutschen Sichtweise orientiert.
Hazan: Das ist tatsächlich ein wichtiger Punkt: Auf der einen Seite ist das Steuerrecht. Und auf der anderen Seite gibt es das Berufsrecht. Beides zusammenzubringen ist nicht immer einfach.

Den Kollegen mit einem Code of Conduct Sicherheit zu geben ist das Eine – aber es gibt ja auch den umgekehrten Fall, dass ein Berater sagt, ‚Ich berate trotzdem zu einem fragwürdigen Thema‘. Inwiefern gibt es da Sanktionsmöglichkeiten von Seiten der Kanzlei?
Hazan: Der Code of Conduct ist nicht bindend, das stimmt. Denn wir sind immer noch eine Partnerschaft von gleichberechtigten Anwälten und unsere Partner sind Unternehmer. Trotzdem haben wir Möglichkeiten: Schon bevor wir überhaupt ein Mandat annehmen können, muss ein sehr komplexer Prozess durchlaufen werden, in dem bereits geprüft wird, ob ein Projekt unseren Kriterien entspricht. Alleine in Europa haben wir 48 Personen in unserem Risk Team, das prüft, ob wir ein Mandat annehmen dürfen – es ist ein Albtraum! (lacht) Da fangen wir schon viel ab, was fragwürdig sein könnte. Aber auch im weiteren Verlauf einer Mandatsbeziehung haben wir da ein Auge drauf. Wir lassen unsere Berater auf keinen Fall machen, was sie wollen. Es gibt ohnehin – ganz unabhängig von dem Code of Conduct – jedes Jahr eine Feedbackrunde, wo wir uns mit den Partnern zusammensetzen und schauen, was sie das Jahr über gemacht haben. Und da wird auch geschaut, ob die Arbeit mit dem Code of Conduct übereinstimmt. Wir haben allen im Team den Code of Conduct geschickt, und jeder sollte ihn kennen.

Ein anderer Fall könnte sein, dass ein junger Anwalt fragwürdiges Verhalten bei seinem Partner beobachtet – aber aufgrund der hierarchischen Beziehung unsicher ist, wie er sich verhalten soll. Was dann?
Graf: Da haben wir bei Dentons ohnehin schon ein System. Dazu gehört zum Beispiel eine anonyme Hotline, an die sich jeder Mitarbeiter wenden kann. Wenn also ein junger Anwalt in so einer Situation ist, kann ich nur empfehlen, die Angebote zu nutzen, die wir da machen. Unser Code of Conduct ersetzt also nicht die Maßnahmen, die wir zur internen Compliance getroffen haben, sondern ergänzt diese um das Thema Steuern.

Wie kommt der Code of Conduct in der Kanzlei und bei ihren Mandanten an?
Hazan: Wir haben keine Umfrage gemacht, aber ich habe mit ein paar jüngeren Anwälten diskutiert und sie hatten das Gefühl, dass wir da gründlicher sind als andere, und dass die Initiative ihren Werten entspricht. Kaum einer studiert jahrelang Steuerrecht, um dann kriminell zu werden. Viele sind der Meinung, dass es in die richtige Richtung geht, denn gerade den jungen Menschen ist heutzutage wichtig, mit ihrem Beruf Werte zu verbinden. Und sie finden es beruhigend, dass wir sowas haben. Andere hielten es aber auch einfach für mehr Bürokratie, aber das ist es nicht. Und auch für unsere Mandanten hat es, denke ich, positive Auswirkungen: Sie müssen sich viel stärker als früher mit ESG-Themen auseinandersetzen. Und da kann es ihnen helfen, wenn sie sagen können: ‚Auch unsere Berater beschäftigen sich damit und haben ein Regelwerk.‘

Die Initiative kommt aus Europa, soll aber global ausgerollt werden – wie wird sie von den Beratern in anderen Ländern angenommen? Und wie kann man bei all den unterschiedlichen Regelungen überhaupt einen Konsens finden?
Graf: Derzeit sind im Tax Ethics Committee vier Mitglieder aus Europa. Global brauchen wir natürlich noch mehr Personen. Fakt ist: Wir sind derzeit in 81 Ländern aktiv, da können wir nicht aus jedem Land einen Berater im Tax Ethics Committee haben. Es gibt einen Minimumstandard, der dann über die Länder ausgerollt und für die jeweiligen Jurisdiktionen adaptiert wird. 
Hazan: Ein bisschen spielt uns dabei in die Hände, dass es für viele dieser Themen beispielsweise durch die OECD-Initiativen bereits einen gewissen internationalen Mindeststandard gibt, den wir dann übernehmen.

Wie geht es in Zukunft weiter?
Graf: Natürlich werden wir das Thema weiterentwickeln. Wir haben ein globales Tax Steering Committee, das sich die neuesten Entwicklungen im Steuerrecht regelmäßig anschaut, und dann darüber diskutiert, ob der Code of Conduct entsprechend angepasst werden sollte. Das kann man nicht nur einmal aufsetzen und dann bleibt es so. 
Hazan: Auch die Arbeit mit der Presse entwickelt sich. Wir haben schon mit Journalisten, beispielsweise aus dem ICIJ, Kontakt aufgenommen, die an dem Thema sehr interessiert sind. Wir würden hierzu gern ein Forum oder eine Konferenz starten, um das Thema weiter zu diskutieren. Wir Steuerrechtler müssen schließlich auch dafür sorgen, dass unser Ruf nicht beschädigt wird.

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