JUVE–Steuermarkt: Die EU-Richtlinie unterscheidet drei Eskalationsstufen: Zunächst sollen Hinweisgeber intern versuchen, Missstände anzusprechen. Dazu müssen die Unternehmen Wege schaffen, auf denen Hinweisgeber intern Rechtsverstöße anprangern können zum Beispiel in Form von Ombudsleuten. Ist das in der Praxis ein effektiver Weg, um Whistleblower abzusichern?
Dr. Rainer Spatscheck: Man muß sich darüber im Klaren sein, dass es kaum möglich sein wird, dass ein Hinweisgeber dauerhaft anonym und unbekannt bleibt. Zeugenvernehmungen, Auftritte in Gerichtsprozessen etc. führen in der Regel dazu, dass die Person bekannt wird. Der Schutz von Whistleblowern ist folglich der Versuch einer „Schadensbegrenzung“. Insofern ist der beschriebene Weg zwar nicht perfekt, aber unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen das Optimum dessen, was denkbar ist.
Versagen solche Systeme nicht oft in der Praxis?
Das hängt im Wesentlichen von der Person und der konkreten Aufgabenbeschreibung des Ombudsmann ab, der versuchen muß, den Whistleblower so lange als möglich zu schützen. In geeigneten Fällen läßt sich der Sachverhalt auch ohne die Nennung des Whistleblowers abschließen, weil andere Beweismittel vorhanden sind. Problematisch sind die Fälle, in denen der Whistleblower selbst tief in den Sachverhalt verstrickt ist und mit der Aufklärung automatisch auch dessen Täterschaft bekannt wird.
Sind solche Systeme in Professional Service Firms und insbesondere in großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erfolgsversprechend, wo die Steuerstrukturen ja entworfen werden?
Es macht natürlich keinen Sinn, die gleiche StB/WP-Gesellschaft, die für die steuerliche Gestaltung eines Unternehmens verantwortlich ist, mit der Ombudsmann/-frau-Aufgabe zu betrauen. Insofern sollte, ähnlich wie bei der zwingenden Unterscheidung zwischen steuerlichen Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, klar sein, dass man hier differenzieren muß. Nach meiner Wahrnehmung klappt die Kontrolle bei den WP-Gesellschaften – allein schon wegen der Konkurrenz.
Reagiert das Unternehmen nicht auf die Beschwerden, sollen sich Whistleblower an staatliche Stellen und Bürgerbeauftragte wenden. Diese müssen ihm innerhalb von drei Monaten – in Ausnahmen sechs –eine Rückmeldung zum Verfahrensstand geben. Erst wenn das nicht geschieht, ist im letzten Schritt ist der Gang an die Öffentlichkeit erlaubt. Erhöht diese Abstufung nicht noch den Druck auf Whistleblower, anstatt ihn zu entschärfen?
Wenn man als Ziel nicht die maximale mediale Aufarbeitung von Compliance-Verstößen, sondern vor allem deren Beseitigung und „Unmöglichmachung für die Zukunft“ hat, so ist die Abstufung konsequent. Sie dient auch dem Schutz des Whistleblowers.
Deutschland hat die EU-Vorstöße zum besseren Schutz von Whistleblowern bislang nicht gerade gefördert. Wie steht es aktuell um den Informantenschutz hierzulande?
Unsere Strafprozessordnung kennt – Gott sei Dank! – nur das Strengbeweisverfahren. Das bedeutet, immer wenn ein Whistleblower-Hinweis dazu führt, dass sich ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anschließt, ist es wahrscheinlich, dass auch ein Whistleblower als Zeuge aussagen muß – oder sogar zum Mitbeschuldigten wird. Ein Whistleblowing unter Namensnennung ist und bleibt deshalb ein Risiko. Ob und in welcher Form unternehmensinterne Konsequenzen gezogen werden, ist in der Regel Gegenstand einer unternehmenseigenen Richtlinie. Diese kann nur wirklich funktionieren, und tut es in der Praxis auch, wenn die Person des Whistleblowers nicht öffentlich wird. Ansonsten bleibt trotz Fortbezahlung und Kündigungsschutz das „Ansehen“ des Mitarbeiters im Unternehmen angeschlagen.
Das Gespräch führte Ulrike Barth.