Das Urteil – und worum es geht: Eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland hatte in Großbritannien eine Betriebsstätte, die Verluste schrieb und 2007 geschlossen wurde. Aufgrund der Freistellung von Betriebsstätteneinkünften im DBA mit Großbritannien wurde der Abzug der Verluste in Deutschland vom Finanzamt versagt. Der Bundesfinanzhof (BFH) legte den Fall schließlich dem EuGH vor. Mit dem Urteil folgt der EuGH der Einschätzung des Generalanwalts, dass diese Versagung keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit bedeutet – denn durch die Freistellung der Einkünfte durch das DBA mit Großbritannien habe Deutschland faktisch auf sein Besteuerungsrecht verzichtet. Diese Konstellation sei daher nicht vergleichbar mit einer inländischen Betriebsstätte.
JUVE Steuermarkt: Herr Dodos, zu der Frage nach der Verlustverrechnung gab es ja schon einige EuGH-Urteile in der Vergangenheit, angefangen 2005 bei der Marks & Spencer-Entscheidung. Wo sortiert sich das aktuelle Urteil ein?
Dr. Panagiotis Dodos: In der Marks & Spencer-Entscheidung (C-446/03) ging es kurz gesagt darum, ob das britische System der Verlustverrechnung im Konzern auch ausländische Gesellschaften umfassen müsse. Der EuGH sah in der Begrenzung auf inländische Gesellschaften zwar grundsätzlich einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, beurteilte diesen aber als gerechtfertigt. Eine Ausnahme bildeten die finalen Verluste der ausländischen Konzerngesellschaften. In der Entscheidung Lidl Belgium (C-414/06) wurde diese Rechtsprechung dann auch auf die finalen Verluste von ausländischen Betriebsstätten übertragen. In der Folge gab es dann immer wieder Urteile, die sich insbesondere mit Sonderkonstellationen beschäftigt haben, die aber durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Eine klare Rechtsprechungslinie des EuGH war nicht zu erkennen. In der Rechtssache Timac Agro (C-388/14) aus dem Jahr 2015 beispielsweise hatte der EuGH die Abzugsfähigkeit der finalen Verluste aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit verneint. Dies wurde dann als Kehrtwende gesehen. Mit der Bevola-Entscheidung (C-650-16) folgte dann die erneute Kehrtwende – denn der EuGH nahm hier eine Vergleichbarkeit der inländischen und ausländischen Betriebsstätte an. Allerdings muss der EuGH in dieser Frage auch den Spagat zwischen der Fiskalautonomie der Mitgliedsstaaten und den Anforderungen des Binnenmarktes – wie insbesondere der Niederlassungsfreiheit – schaffen.
Wie sah denn der Bundesfinanzhof das Thema?
Der Bundesfinanzhof ist zunächst der Linie aus dem Lidl Belgium-Urteil gefolgt. 2017 hatte der BFH seine Rechtsprechung allerdings nach der EuGH-Entscheidung zu Timac Agro geändert. Aber zwischen den EuGH-Urteilen Timac Agro und Bevola wurde dann ein erheblicher Widerspruch gesehen. Nun hatte der BFH mit der Vorlage einen sehr grundsätzlichen Fall ausgewählt, um diese Unklarheiten aufzulösen und dabei dem EuGH eine ganze Reihe von Fragen rund um das Thema finale Verluste gestellt.
Welche grundsätzlichen Fragen wurden durch das EuGH-Urteil denn beantwortet?
Im vorliegenden Urteil wurde sozusagen die „Rein-Form“ einer solchen Konstellation betrachtet, also eine deutsche Gesellschaft mit einer britischen Betriebsstätte ohne Sonderkonstellationen, wie sie vielfach in anderen Urteilen vorlagen. Der Knackpunkt war hierbei die Frage nach der Vergleichbarkeit. In dem Urteil Timac Agro hatte der EuGH nämlich gesagt, dass eine Auslandsbetriebsstätte bei Anwendung der DBA-Freistellungsmethode nicht mit einer inländischen Betriebsstätte vergleichbar sei. An diesem Vergleichbarkeitskriterium hatte es in der Vergangenheit allerdings viel Kritik gegeben. In der jetzigen Entscheidung urteilt der EuGH erneut, dass bei Vorliegen einer DBA-Freistellung hinsichtlich laufender und zugleich finaler Verluste keine Vergleichbarkeit zu einer inländischen Gesellschaft/Betriebsstätte vorliegt. In dieser Grundkonstellation, die der EuGH zu entscheiden hatte, sind finale Verluste damit nicht im Inland zu berücksichtigen.
Was kommt jetzt auf die Unternehmen zu?
Also, die Entscheidung des EuGHs sollte man meines Erachtens kritisch sehen. Für die Praxis ist es aber in jedem Fall zu früh, das Ende der finalen Verluste in Freistellungsfällen auszurufen. Die Verrechnung von finalen Verlusten in ähnlich gelagerten Fällen ist als Gestaltungsinstrument nicht wirklich geeignet. Dieses Urteil hat daher vor allem Auswirkungen auf eine Vielzahl von Altfällen, die noch im Streit mit der Finanzverwaltung oder bei Gericht sind. Unternehmen sollten daher jetzt prüfen, ob dieser Rein-Fall, der jetzt entschieden wurde, auch bei ihnen vorliegt oder ob es Sonderkonstellationen gibt. Denn leider hat der EuGH in seinem Urteil einige der entscheidenden Fragen nicht beantwortet: Unklar ist zum Beispiel, ob eine Vergleichbarkeit vorliegt, wenn ein Progressionsvorbehalt, DBA Switch-Over-Klauseln oder Subject-to-Tax-Klauseln Anwendung finden. Auch ungeklärt ist, wie finale Verluste, wenn sie vorliegen, denn berechnet werden sollen. Nicht tangiert von dem Urteil sind im Übrigen auch Fallkonstellationen grenzüberschreitender Organschaften. Also noch viel Streitpotential und garantiert nicht die letzte Entscheidung des EuGHs.