JUVE Steuermarkt: Wir haben über Ihre Initiative eines Selbstchecks in Sachen CSRD und ESG berichtet, die Sie mit Unterstützung der Nachhaltigkeitsberatung sustainable angehen. Dabei kam zur Sprache, dass gerade Emissions- und Umweltthemen bei einer Steuerberatung eher weniger von Relevanz sind. Sie betreiben schließlich keine Kohlekraftwerke oder etwas Ähnliches – vielleicht einen Smoker im Rahmen der Kantine, aber das wäre dann auch schon alles…
Iring Christopeit: … (lachend) eine interessante Anregung!
Sehr gerne! Aber es gibt natürlich auch in einer Beratung neuralgische Punkte, und diese liegen in der Art, wie man berät beziehungsweise was man berät. Das führt natürlich zum Thema der ‚aggressiven Steuergestaltung‘ und was sich hinter diesem Begriff überhaupt verbirgt. Was versteht man eigentlich unter ‚aggressiver Steuergestaltung‘ und wie geht man als Berater damit um?
Bei unserem Selbstcheck und der damit einhergehenden Strategieentwicklung in Sachen ESG bin ich zusammen mit Kolleginnen und Kollegen für das ,G‘ zuständig – also für das Thema „Governance“. Wir haben dabei für uns Handlungsfelder definiert, über die wir für uns eine entsprechende Wertecharta, also einen abstrakten Rahmen, um den Themenkomplex ESG ziehen. Natürlich können wir auch beim Buchstaben ,E‘, also „Environmental als Berater etwas beitragen – zum Beispiel weniger fliegen und mehr Bahn fahren. Wesentlich für uns Berater ist meiner Meinung nach jedoch der Buchstabe ,G‘. Das ist für uns intern der Rahmen für die Art und Weise, wie wir uns selbst sehen und verstehen möchten. Daher sprechen Sie einen richtigen Punkt an: In der Beratung gibt es keine klassische Lieferkette, an welche ESG eigentlich anknüpft. Nach dem Motto „Du musst stets dafür Sorge tragen, dass Deine Zulieferer nachhaltig und ethisch agieren“. Das ist nicht so sehr unser Thema. Unser Thema bei ESG ist: Wer sind unsere Mandanten? Woher kommt deren Vermögen? Was ist deren Unternehmensgegenstand? Wie beraten wir diese Mandanten und wie ist unser Beratungsselbstverständnis?
‚Aggressive Steuergestaltung‘ als Prüfungspunkt beim Faktor ‚Governance‘?
Wäre ein Verzicht auf ‚aggressive Steuergestaltung‘ etwas, das da hineinpasst in dieses „G“?
Ja. Allerdings kommt es auf die Definition an. Was bedeutet ‚aggressiv‘, was bedeutet ‚nicht aggressiv‘? Wie definiert man ‚legitim‘ im Unterschied zu ‚legal‘? Das ist jedoch ein Thema, welches man genau und mit der entsprechenden Sorgfalt betrachten muss. Ich denke hier an Carl Schmitt, den umstrittenen und nazi-freundlichen Rechtsphilosophen, der gerade den Gedanken der ‚Legitimität‘ als Mittel verwandt hat, um eine Diktatur zu rechtfertigen. Aber Sie haben gefragt, ob ich ‚aggressive Steuergestaltung‘ ausschließen würde, wenn ich an ESG denke. Da würde ich sagen, ja, immer dann, wenn die Gestaltung an einen Punkt kommt, wo jeder außersteuerliche Grund fehlt. Das ist eine Definition, die wir aus §42 Abgabenordnung kennen im Kontext des sogenannten Gestaltungsmissbrauchs. In jedem Gespräch mit meinen Mandanten sage ich: „Machen Sie bitte nichts nur der Steuer wegen.“ Denn das fällt auch dem Mandanten hinterher rasch auf die Füße, namentlich wenn er merkt, dass er sich in Aspekten gebunden hat, in welchen er gar nicht gebunden sein will.
„Grenze liegt vor, wenn die Gestaltung an einen Punkt kommt, wo jeder außersteuerliche Grund fehlt“
Das sieht man am Beispiel einer Familienstiftung. Natürlich schlage ich diese Strukturierungsmöglichkeit in zahlreichen Beratungsgesprächen im Kontext von Unternehmensnachfolgen vor, aber nur in einer ganz überschaubaren Anzahl von Fällen passt die Familienstiftung überhaupt. Weil der Mandant sich durch die Familienstiftung anderen Bindungen unterwirft. Da kommt ins Spiel, dass der Mandant kein Gesellschafter mehr ist, sondern nach seiner Wahrnehmung nur noch in einem Gremium sitzt. Dann kommt die Frage, wieviel kann ich noch mitentscheiden? Wie komme ich aus so einer Struktur wieder heraus? Kriege ich meine Kinder noch motiviert, im Unternehmen mitzuarbeiten, oder wartet dann die nächste Generation nur noch auf die Dividenden aus der Stiftung?
Am Ende – und das ist entscheidend – sollte der Mandant vorgeben, in welche Richtung es gehen soll. Hierfür muss der Mandant allerdings erstmal alle Möglichkeiten kennen. Daher bin ich schon der Meinung, dass wir es unseren Mandanten schulden – ja verpflichtet sind, zu zeigen, was gesetzlich erlaubt ist, was „geht“ und was legal ist. Wir müssen das Legale aufzeigen. Wir müssen bei jeder Gestaltungsidee die Vor- und Nachteile aufzeigen. Und wir können auch eine Einschätzung dazu abgeben. Und das sehe ich auch als mein Verständnis, meine Pflicht, klar darauf hinzuweisen: ,Mit dieser Gestaltung segeln Sie hart am Wind. Diese Gestaltung würde ich als sehr steuergetrieben einschätzen‘. Unsere Mandanten wollen in der Regel nicht so hart am Wind segeln. Natürlich gibt es Mandanten, die dies wollen – die sind aber selten bei uns. Ich bin sicher: Hier findet der Mandant zum richtigen Berater.
„Unterscheidung zwischen dem, was rein rechtlich geht und dem, was man als Berater dann auch bereit ist, mitzumachen“
Ohne, dass Sie jetzt Namen nennen müssen, wenn ich als Mandant extrem hart am Wind fahren wollen würde, zu welchem Berater oder welcher Beratung würde ich dann gehen?
(lacht) … es ist immer beraterabhängig. Man kann da kein Kanzleilabel draufkleben. Es ist immer der Berater an sich, der sich auf bestimmte Art und Weise positioniert. Da gewinnt man sehr schnell am Markt einen entsprechenden Ruf. Wenn bei mir in einem Mandantengespräch z. B. der Begriff ‚Cayman-Islands‘ fällt oder der Mandant anspricht, er habe von Strukturierungsmöglichkeiten gehört, die über die Kanalinseln oder die Bahamas funktionieren, dann sage ich: Ja, das gibt es. Ich weiß auch grob, wie es geht, aber diese Strukturierungen machen wir, mache ich nicht.‘ Daher gibt es schon eine Unterscheidung zwischen dem, was rein rechtlich geht und dem, was man als Berater dann auch bereit ist, mitzumachen. Ein Mandant, der wirklich an Double-Sandwich-Strukturen über Irland und die Niederlande interessiert ist, der weiß schon, wie er den Berater dazu am Markt findet. So gibt es für jeden Mandanten den richtigen Berater. Was logischerweise dazu führt, dass jeder Berater ein eigenes Werteverständnis hat, wie er berät. Daher gibt es sicherlich auch Berater, die einen Sport darin sehen, dass möglichst wenig Steuern anfallen und die sich auf die absolute steuerliche Optimierungsseite stellen; das entspricht jedoch nicht unserer Werteordnung.
„Ein Triggerpoint ist für mich, wenn man versucht, den Sachverhalt zu modifizieren“
Was sind so klassische Triggerpoints, an denen man eine ausschließlich steuerlich getriebene Optimierung erkennt?
Ein Triggerpoint ist für mich, wenn man versucht, den Sachverhalt zu modifizieren. Wir leben als Juristen ja in einer Welt, in der es darum geht, einen Sachverhalt unter den Tatbestand eines Gesetzes zu subsumieren. Um mehr geht es verkürzt gesprochen in Jura nicht. Wer anfängt, den Sachverhalt zu modifizieren, ist vom Typos ein Mandant, den ich nicht so gerne berate und bei dem ich mich dann auch einmal traue, zu sagen „das mache ich nicht“. Wann wäre das der Fall? Ein Beispiel: Sie leben eigentlich mit Haut und Haar in Deutschland, sagen aber, ich tue so, als würden ich und meine Familie in Österreich wohnen, weil es dort keine Erbschaft- und Schenkungsteuer gibt. Also fingiert man in Österreich eine Wohnung, um zu dokumentieren, dass man dort eine gewisse Zeit lang auch lebt und versucht, sich eine Art Parallelwelt aufzubauen. In solchen Fällen werden manche Mandanten, aber auch manche Berater extrem kreativ, wie man eine solche Parallelwelt glaubwürdig hinbekommt. Dann werden Flugtickets dokumentiert, Aufenthaltsprotokolle erstellt etc. Das gibt es nicht nur in Deutschland. Schauen Sie nach Spanien, dessen Bewohner unter der spanischen Vermögensteuer leiden. Die tun gelegentlich so, als würden sie in Portugal leben und dann geht es jeden Abend hin und her.
Das sind Sachen, die ich nicht mitmache. Erstens, weil ich meinem Mandanten nicht dazu raten kann. Weil es eine Qual ist, sich dauerhaft an die Parameter dieser Parallelwelt halten zu müssen, wenn man diesen Weg einmal eingeschlagen hat. Das machen sie vielleicht im ersten Jahr noch ganz ordentlich, aber ab dem zweiten Jahr werden sie nachlässiger und nachlässiger. Und dann irgendwann rutschen sie in die Steuerfalle hinein.
„Meine klare Haltung dazu: Alles was im Sachverhalt nicht der Wahrheit entspricht, mache ich nicht“
Meine klare Haltung dazu: Alles was im Sachverhalt nicht der Wahrheit entspricht, mache ich nicht. Wer mich fragt: ,Sagen Sie mir doch, was ich auf ihre Frage antworten soll?‘, der ist bei mir falsch. Ich will die Wahrheit des Sachverhalts kennen und damit arbeite ich.
Hätten Sie noch weitere Beispiele?
Andere Beispiele sind Strukturierungen, bei denen der Steuerpflichtige so tut, als wäre er nicht mehr Inhaber oder Eigentümer, aber es in Wahrheit noch sein möchte. Das gab es früher einmal im Bereich der Liechtensteiner Stiftungsmodelle. Heute ist dies anders. Heute bietet das Liechtenstein Modell eine im Grundsatz saubere Struktur mit Informationsaustausch und Transparenz. Da ist nichts Anrüchiges mehr. In der Vergangenheit war das anders: Der Steuerpflichtige konnte so tun, als sei er nicht mehr Inhaber bestimmter Vermögenswerte. Durch viele Seitenverträge hat er sich dann doch das volle Zugriffsrecht gesichert. Diese Seitenverträge wurden nicht veröffentlicht und damit waren sie nicht bekannt, niemand konnte sie einsehen und Liechtenstein hat keine Auskunft gegeben. Dadurch hatten Sie früher das Beste aus beiden Welten: Sie haben Vermögenswerte verschenkt und trotzdem behalten. Das Beste formuliert aus der Sicht des Mandanten, der dies so haben möchte. Das sind Ideen, die heute nicht mehr funktionieren. Würden sie funktionieren, würde ich sie aber auch nicht beraten. Weil das für mich wieder ein Beispiel dafür ist, dass der Sachverhalt nicht so gelebt wird, wie er wirklich ist.
,Wer schenkt, muss auch etwas hergeben‘
Natürlich wünschen sich viele, die Unternehmen abgeben, weiterhin die Kontrolle darüber zu haben. In gewissem Rahmen lässt das Gesetz auch zu, diesen Wunsch zu verwirklichen, etwa mit Nießbrauch oder Sonder-Stimmrechten. Aber eine Botschaft ist mir schon wichtig und das sage ich auch meinen Mandanten: ,Wer schenkt, muss auch etwas hergeben.‘ Also nur Substanz zu übertragen, um Freibeträge auszuschöpfen, ohne es aber wirklich hergeben zu wollen, das ist weder für mich noch für die Finanzverwaltung echtes Schenken. Vielleicht lässt sich so die Marschroute, nach der ich arbeite, zusammenfassen.
Allerdings: Mit Blick auf Gesetzeslücken schauen wir in die Gesetzbegründung und die Gesetzeshistorie und versuchen herauszubekommen, was der Grund dafür ist, dass es diese Gesetzeslücke überhaupt gibt. Wenn der Gesetzgeber sehenden Auges keine Notwendigkeit sieht, eine Gesetzeslücke zu schließen, dann ist es sicherlich weniger vorwerfbar, wenn man diese Lücke auch nutzt – falls der Sachverhalt dazu passt. Dabei bleibe ich.
Wäre die Idee, meine Firma meinem gerade 18-jährigen Sohn zu schenken, damit dieser in Verschonungsbedarfsprüfung fällt, auch so ein Triggerpoint?
Diese Idee zielt ja darauf ab, dass eine Schenkung an jemanden erfolgt, der noch kein eigenes Vermögen hat und deswegen dieses im Rahmen der Verschonungsbedarfsprüfung nicht als sogenanntes verfügbares Vermögen einsetzen muss, um die Steuern zu bezahlen. Die Verschonungsbedarfsprüfung wird häufig auch Erlassmodell genannt, weil sie die Steuern auf das begünstigte Vermögen erlässt. Ein Hinweis am Rande: Auch im Erlassmodell wird nicht die volle Steuer erlassen. Es wird nämlich nicht die Steuer auf das sogenannte schädliche Verwaltungsvermögen erlassen.
„Auch im Erlassmodell wird nicht die volle Steuer erlassen. Es wird nämlich nicht die Steuer auf das sogenannte schädliche Verwaltungsvermögen erlassen“
Nehmen Sie ein Unternehmen in der Unternehmensnachfolge. Steuerlich teilen Sie dieses Unternehmen im Grunde in zwei Teile auf: in das Verwaltungsvermögen, was im Grundsatz immer steuerpflichtig ist und deswegen teilweise schädlich genannt wird, und in das – nach Vorstellung des Gesetzgebers – echte Produktivvermögen, das einer Steuervergünstigung von maximal 100 Prozent unterliegen kann. Das ist die Basis der Erbschaft- und Schenkungsteuer bei Unternehmen. Wenn Sie nun Verwaltungsvermögen finden und dieses im Rahmen gesetzlicher Vorgaben nicht ,umtopfen‘ konnten, etwa über das Vehikel des sogenannten unschädlichen Verwaltungsvermögens, dann löst dies immer eine Steuer aus. Und diese Steuer wird eben auch im Erlassmodell nicht erlassen. Es wird nur die Steuer erlassen, die auf das begünstigte Vermögen entfällt. Das ist ein wichtiger Punkt, der häufig übersehen wird, wenn abfällig über die Verschonungsbedarfsprüfung gesprochen wird. Erlauben Sie noch einen zweiten Hinweis am Rande: Das Erlassmodell wird nicht ohne Bedingungen gewährt. Das eben beschriebene stets steuerpflichtige Verwaltungsvermögen wird mit 30% Steuern belastet. Zudem muss der Steuerpflichtige dieses Verwaltungsvermögen wertmäßig noch zur Hälfte einsetzen, bevor er die Steuer auf das Produktivvermögen erlassen bekommt. Das bedeutet, dass dieses steuerpflichtige Vermögen mit einer Steuerlast von 80 Prozent betroffen ist; andernfalls wird kein Erlass gewährt. Wenn Sie solche Fälle einmal durchrechnen – wir haben extra eine kleine Software dafür geschrieben–, dann sehen Sie, dass in ganz vielen Fällen das Erlassmodell gar nicht sinnvoll ist, weil es so viel Liquiditätsbedarf mit sich bringt, der möglicherweise gar nicht vorhanden ist.
Kommen Übertragungen auf Kinder im sehr jungen Erwachsenenalter häufig vor?
Übertragungen von Unternehmensvermögen im Rahmen des Erlassmodells auf ein Kind, das noch nicht viel hat, kommen in meiner Wahrnehmung in der Realität sehr selten vor. Weil es nicht geht, dieses Kind in der Folge komplett von der Firma fernzuhalten. Sie können natürlich über Nießbrauch die Erträge absaugen, so dass diese beim Schenker verbleiben. Sie können über die Ausgestaltung von Stimmrechten dafür sorgen, dass der Schenker noch viel zu sagen hat. Aber ein Mindestmaß geht zum erwerbenden Kind über. Das sieht das Gesetz auch vor. Wenn Sie an eine Personengesellschaft denken, dann muss das Kind Mitunternehmer werden. Es hat Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko. Dass beide Komponenten vorhanden sind, müssen sie nachweisen. Und wenn wir diese Anforderungen deutlich machen, dann kommen viele Mandanten und sagen: ,Nein, das will ich meinem Kind gar nicht antun. Ich weiß ja nicht, wie sich das Kind entwickelt.‘ Die Last, Unternehmer zu sein, wollen sie in der Regel ihrem Kind erst dann auferlegen, wenn es diese Last in einem entsprechenden Kontext einmal kennengelernt haben. Die größte Herausforderung, die ich als Berater momentan erlebe, ist eine ganz andere: nämlich, dass wir moderne Eltern haben, die sagen: ,Wir wollen unserem Kind nichts überstülpen; wir warten erstmal ab, bis das Kind zu Ende studiert oder die Ausbildung abgeschlossen hat.‘ Damit sich diese Kinder guten Gewissens und aus freien Stücken für oder gegen das Unternehmertum entscheiden können. Und da verlieren sie natürlich in der Zwischenzeit Steueroptimierungspotenzial.
Insofern sehe ich Übertragungen an Kinder eher selten. Es wäre auch nur dann für mich ein gangbarer Weg, wenn es auch wirklich so gelebt wird. Ich habe auch Mandanten, die sagen: ,Ich gebe alles weg. Mein Kind ist jetzt 20, mein Kind kann das.‘ Dann passen Sachverhalt und Strukturierung zusammen.
Wenn ich zusammenfassend richtig verstehe, dann bedeutet ‚aggressive Steuergestaltung‘, dass man sich so eine Art virtuelle Welt aufbaut, die alles unter den Gesichtspunkt der absoluten Steueroptimierung zwingt, aber die Folgen und Konsequenzen, die ich mir damit einhandle, sind in aller Regel schwerwiegender als das, was ich als Steuervorteil dadurch gewinnen kann?
In den meisten Fällen ist das so, ja. Das ist am Ende aber stets eine persönliche Abwägung.
„Jemand, der nur drei oder vier Prozent Steuern bezahlt, den haben wir in unserer Mandantschaft nach unserer Wahrnehmung nicht“
Wenn man jetzt nicht aggressiv steuerlich gestaltet, führt dies dann auch zu einem angemessenen, gerechten Steuersatz? Manchmal wird die Zahl eines Steuersatzes von drei oder vier Prozent kolportiert, den man durch aggressive Steuergestaltung erreichen könne. Wie hoch würde man liegen, wenn man die aggressive Steuergestaltung unterlässt?
Ich kann gar nicht sagen, was ein gerechter Steuersatz wäre. Das ist sicherlich auch subjektiv. Es ist in etwa so wie in der Vermögensanlageberatung. Wenn Sie großes Risiko fahren, dann haben sie vordergründig eine höhere Rendite, aber eben auch höhere Verlustrisiken. Glücklicherweise habe ich keine derart risikoorientierten Mandanten. Wenn man von aggressiver Steuergestaltung Abstand nimmt, dann ist der Steuersatz auch etwas höher – das ist irgendwie logisch. Aber er ist immer noch niedriger als jener, der sich nach der reinen Progressionstabelle ergeben würde – dafür lässt man sich ja beraten. Jemand, der nur drei oder vier Prozent Steuern bezahlt, den haben wir in unserer Mandantschaft nach unserer Wahrnehmung nicht. Damit man so weit herunterkommt, bräuchte man andere Sachverhalte als die, die wir haben. Wir haben Mandanten, die gerne in Deutschland leben, die auch wissen und akzeptieren, dass der Staat Steuern braucht, um etwa eine gute Infrastruktur bereitzustellen. Diese Mandanten überlegen natürlich, wie man etwa die Schenkungsteuer, die als Substanzsteuer bereits versteuertes Vermögen betrifft, optimieren kann. Natürlich wollen auch unsere Mandanten ihr Vermögen möglichst steuerschonend auf die nächste Generation übertragen. Aber nicht in den von Ihnen genannten Extremen. Das passt nicht zu den Lebenswirklichkeiten unserer Mandanten.
Wie kommt man dann zu solch extrem niedrigen Steuerquoten?
Ich vermute, diese Steuersätze werden mit Blick auf die Ertragsteuer gebracht. Was man auch nicht vergessen darf: Diese niedrigen Quoten sind häufig getrieben von einer gewissen Eitelkeit der Berater. Auch wir Berater sind eitel, ich nehme mich da nicht aus. Manchmal brüstet man sich auch mit besonders herausragenden Ergebnissen, die aber nur im Einzelfall erreicht werden konnten. Daher muss man sich auch immer genau anschauen, wo die drei oder vier Prozent Steuersatz entstehen. Beispielsweise: Ist das auf die Ebene des Privatvermögens heruntergerechnet oder sind das vorgelagerte Strukturen.
„Diese Ertragsteuerreduzierungen beruhen in meiner Wahrnehmung meist auf hybriden Konstruktionen, die nur bei Gestaltungen über die Grenze möglich sind“
Diese Ertragsteuerreduzierungen beruhen in meiner Wahrnehmung meist auf hybriden Konstruktionen, die nur bei Gestaltungen über die Grenze möglich sind. Dann aber entsprechen sie oft gerade nicht den tatsächlichen Lebenssachverhalten und auch nicht den organischen Unternehmensabläufen. Sie sind eben so konstruiert, dass die Steuer optimiert wird. Und das sind genau solche Gestaltungen, die wir nicht beraten.
Ich glaube daher an solch niedrige Quoten nicht – zumindest nicht mit einer Steuergestaltung, mit der man ruhig schlafen kann, weil sie zur eigenen Lebenswirklichkeit passt.