JUVE Steuermarkt: Herr Reiter, wenn EY weiterhin so eine Performance hinlegt und sich bei 881 Millionen Euro Steuerumsatz nochmal um 14 Prozent verbessert, dann würden Sie doch die Eine-Milliarde-Euro-Grenze beim Steuerumsatz knacken?
Alexander Reiter: Das würden Sie rein rechnerisch richtig sehen. Man muss aber sagen, dass sich das Marktumfeld geändert hat seit dem letzten Jahr. Wir sind positiv gestimmt und optimistisch. Ob wir allerdings auch ein zweites Jahr hintereinander im Steuerbereich ein Wachstum von 14 Prozent erzielen können, das muss man dann sehen. Auch anhand der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das war schon ein außergewöhnliches Jahr.
„Im Moment läuft es noch gut, aber das aktuelle Geschäftsjahr läuft schließlich auch noch sieben Monate.“
Im Moment läuft es noch gut, aber das aktuelle Geschäftsjahr läuft schließlich auch noch sieben Monate. Auch ist immer die Frage, welcher Serviceline man den Umsatz zurechnet, ob Tax, Legal, Transaction & Strategy oder Consulting. Häufig liegt der Anknüpfungspunkt eines Themas in den Steuern, der Inhalt der Beratung findet dann aber vielleicht hauptsächlich außerhalb der Steuern statt. Also die Frage, wie grenze ich gegeneinander ab. Manche Themen könnte man sowohl bei Steuern wie bei anderen Service-Lines einklassifizieren.
Wie ist denn die Aufteilung zwischen Steuern und Recht bei den 881 Millionen Euro? Können Sie das auseinanderrechnen?
Schwierig. Ich kann ein paar Beispiele nennen, bei denen man sich fragt, ob dies nun Steuer- oder Rechtsberatung ist: Steuerstrafrecht zum Beispiel. Wie der Name schon sagt, könnten Sie es sowohl dem Steuer- wie dem Rechtsbereichs zuordnen. Genauso in der Nachfolgeberatung – dort gibt es immer ertragssteuerliche Fragen, aber eben auch stets erbschaftsteuerliche Fragen. Da geht es natürlich nicht nur um die steuerliche Einordnung, sondern auch um die rechtliche Einordnung. Wenn Sie nun ein Team haben, das beides berät, ist die Frage, wie man es abgrenzt.
Was verbirgt sich eigentlich hinter ‚Strategy & Transaction‘? Dieser Bereich ist ebenfalls mit über 20 Prozent sehr stark gewachsen. Ist das eine neue Service-Line?
Nein, diese Service-Line gibt es schon immer. Sie hatte früher nur den Namen ‚Transaction Advisory Services‘. Bei manchen unserer Konkurrenten heißt dieser Bereich ‚Deals‘. Dort sind vor allem zwei Bereiche vereint: einerseits die klassischen Transaktionsberatung wie Financial Due Diligence, Unterstützung bei Carve-outs oder Integrationen, also alles, was Post-Deal bei einer Transaktion passiert. Hinter Strategy sich verbirgt andererseits eine klassische Strategieberatung. Da treten wir am Markt unter der Marke ‚EY-Parthenon‘ auf. Das sind Kolleginnen und Kollegen, die vergleichbare Tätigkeiten wie Boston Consulting oder McKinsey erledigen.
Sie haben in Ihrer Pressemitteilung als Wachstumstreiber für den Steuerumsatz sowohl die zunehmende Regulierung als auch den ‚Green Deal‘, also die Umstellung auf Klimaneutralität und ESG-Gesichtspunkte, genannt. Gab es in diesen Bereich dann eine intensive Zusammenarbeit mit Strategy und Consulting?
Ja – und zwar weil Unternehmen im Hinblick auf Sustainability im ersten Schritt eine Strategie brauchen. Dann geht es aber weiter. Wenn ich eine Strategie habe, dann muss ich sie umsetzen und in Bausteine aufteilen. Da sind Steuern ein Thema, natürlich ein sehr virulentes Thema bei den Unternehmen. Denn wenn der Gesetzgeber Veränderungen bewirken möchte, dann tut er das häufig über Steuern und Abgaben, weil diese eine Lenkungswirkung haben, z.B. wenn man an CBAM oder die Plastiksteuer denkt. Das Ganze muss auch wieder in den Unternehmen abgebildet werden. Daher auch die Verbindung zu Consulting, weil dazu Kennzahlen und Informationen benötigt werden, die Stand heute in einem ERP-System teilweise noch gar nicht erfasst sind. Im Augenblick sind ERP-Systeme stark auf Finanzkennzahlen ausgelegt. Wenn ich aber im Falle von CBAM wissen muss, mit welchem CO2-Ausstoß ein Produkt belastet ist, dann kann ich das nicht händisch machen, sondern muss es über ein System machen. Deswegen ist Sustainability ein Thema, das in den Unternehmen ganzheitlich betrachtet werden muss, und das zu unserem Wachstum in der Steuerberatung beiträgt.
Lenkungswirkung indirekter Steuern – Auswirkungen auf EBITDA
An welchen Steuern dreht der Gesetzgeber dazu?
Wenn man betrachtet, wie der Gesetzgeber diese Lenkungswirkung erzielt, dann sind dies nicht die Ertragsteuern, sondern die indirekten Steuern, die verändert werden. Indirekte Steuern sind für Unternehmen aber unter Umständen noch wichtiger als Ertragsteuern. Wenn man die Gewinn- und Verlustermittlung anschaut, dann wirken sich die indirekten Steuern auf die EBITDA aus und werden nicht ‚below the line‘ gezeigt, wie etwa die Ertragsteuern. Viele Unternehmen bewerten sich aber oder werden mit EBTA-Multiplies bewertet. Dadurch kommt es zu einer Faktorbelastung. Wenn ich also eine Million Euro zusätzliche Belastung durch den Green Deal habe, dann führt die, wenn ich mit einem Faktor 10 bei EBITDA bewertet werde, zu einer Auswirkung von 10 Millionen Euro auf den Unternehmenswert.
Welche weiteren Auswirkungen hat das Thema Nachhaltigkeit?
Wir stehen bei dem Thema Sustainability noch am Anfang. Denn auch Finanzierungskosten hängen mittlerweile von ESG-Ratings ab. Wenn Sie dann aus solchen Überlegungen ihre Lieferkette ändern, dann haben Sie Konsequenzen im Zoll, in der Umsatzsteuer, aber im Falle von Umstrukturierungen auch auf Ertragsteuerseite. Insofern ist eine Transformation natürlich insgesamt gut für die Steuerbranche. Früher war vieles in der Steuerplanung vor allem getrieben durch die Effective Tax Rate. Denn in der Effective Tax Rate sind nur Ertragsteuern und keine indirekten Steuern enthalten. In Zukunft wird viel über Sustainability-Aspekte betrachtet werden. Der Fokus wird sich daher in den Unternehmen ein Stück weit verändern. Denn wenn ich meine Lieferkette neu aufsetzen muss, dann spielen Zölle eine sehr gewichtige Rolle.
Absolutes Wachstum in Höhe des Gesamtsteuerumsatzes von Mazars
Heißt das, dass die indirekten Steuern, also auch die Verbrauchsteuern wie die Stromsteuer, besonders gewachsen sind in diesem Jahr?
Prozentual ja, aber Wachstum muss natürlich aus allen Bereichen kommen. Wir reden über ein absolutes Wachstum in einer Größenordnung einer Top 10 in der Steuerbranche, wenn man da Ihre Veröffentlichungen zu Rate ziehen würde, …
… In exakten Zahlen: Es sind 108 Millionen Euro an Steuer- und Rechtsumsatz, die EY im Vergleich zu letztem Jahr zugelegt hat. Das entspricht fast genau dem Steuerumsatz der Nummer 10 aus unserem Umsatzheft dieses Jahres: Mazars verzeichnete einen Steuerumsatz von 108,7 Millionen Euro.
Deswegen ist Sustainability natürlich ein Wachstumstreiber, aber um eine solche Größenordnung an Wachstum zu erzielen, müssen Sie in allen Bereichen wachsen.
„Die Anzahl an Informationen, die benötigt werden, steigt so immens, dass Sie ohne digitale Lösung nicht mehr weiterkommen.“
Welchen Stellenwert hat das Thema Digitalisierung und KI in diesem Zusammenhang für Sie?
Jede Steuerabteilung muss schauen, wie sie sich aufstellt. Die Zeiten, wo man in Excel einfach etwas zusammengerechnet hat, sind vorbei – gerade bei den größeren Steuerfunktionen. Die Anzahl an Informationen, die benötigt werden, steigt so immens, dass Sie ohne digitale Lösung nicht mehr weiterkommen. Die Digitalisierung wird gerade auf dem deutschen Markt noch weiter im Bereich Steuern zunehmen.
Haben Sie da ein Beispiel im Kopf?
Allein, wenn Sie betrachten, wie weit man in Europa außerhalb von Deutschland schon im Bereich E-Invoicing ist. In vielen Ländern wird in Echtzeit digital von der Finanzverwaltung geprüft, ob die Umsatzsteuer auch bezahlt wurde. Nur dann kann der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden. Das heißt: Alles wird digital. Jetzt kommt mit KI nochmal eine Stufe drauf, weil sie unseren Mandanten die Möglichkeit gibt, mit den Daten ganz anders umzugehen. Daran sieht man, dass die Daten das Wichtige sind. Dadurch ergeben sich ganz andere Analysemöglichkeiten und auch Prozessveränderungen. Wir stehen hier erst am Anfang einer digitalen Revolution.
Ihre Kollegen von EY, André Hengst, Katharina Heidbüchel und Paul Thürmann, haben bei der Tax-Technology-Konferenz im November die Lösung Digital Tax Intelligence präsentiert, die sich nicht nur auf Finanzdaten konzentriert, sondern alle Unternehmensdaten in den Blick nimmt. Warum ist es plötzlich wichtig, dass Steuerfunktionen nicht mehr nur Finanzdaten verarbeiten?
Zuerst stellt sich die Frage: Was sind Finanzdaten? Das Problem zeigt sich bei der Sustainability. Denn dafür brauche ich Informationen, die heute als Finanzdaten noch gar nicht zur Verfügung stehen. Ansonsten kann ich die Erklärungspflicht gar nicht erfüllen und nicht prüfen, ob ich es richtig oder falsch mache. Je mehr Zugriff ich auf Daten jenseits der Finanzdaten habe, etwa Belegdaten, desto geringer ist meine Fehlerwahrscheinlichkeit.