Seit dem 1. Oktober 2019 haftet gemäß deutschem Recht ein Marktplatz gesamtschuldnerisch für die Mehrwertsteuer auf Waren, die von Drittanbietern über die Plattform verkauft werden, wenn sie von Deutschland aus verbracht oder dorthin geliefert werden.
Liegt den Marktplatzbetreibern also keine Steuerbescheinigung des Händlers vor, müssen sie selbst für die nicht abgeführten Umsatzsteuern einstehen. Die Neuregelung wurde 2019 eingeführt, weil vor allem Händler aus Fernost die Umsatzsteuer häufig nicht abgeführt und den Staat damit um Milliarden geprellt hatten. Will ein Marktplatz die Haftung vermeiden, muss er eine Bescheinigung über die steuerliche Registrierung der Verkäufer vorlegen. Die Registrierung läuft derzeit in Papierform beim zuständigen Finanzamt Berlin-Neukölln, was für die Betreiber einen hohen Aufwand nach sich zieht. Kritiker fordern daher zumindest eine rasche Umstellung auf ein digitales Registrierungsverfahren.
Das hatte die Bundesregierung zwar bereits bei der Einführung der neuen Regelungen geplant, wie das ‚Handelsblatt‘ berichtet, gibt es allerdings bislang nicht mal eine Ausschreibung für den Aufbau einer Datenbank. Im Finanzamt Berlin-Neukölln waren Mai 2017 gerade einmal 430 Unternehmer aus China einschließlich Hongkong, Macau und Taiwan registriert. Mitte Oktober 2019 waren es bereits 26.388 Firmen aus dieser Region. Das Gesetz zwingt allerdings nicht nur Anbieter aus diesen kritischen Regionen, sondern auch solche aus EU-Ländern zur Registrierung – was der EU ein Dorn im Auge ist.
„Ineffizientes“ Gesetz
Sie forderte die Bundesrepublik nun im Oktober in einem Schreiben auf, die Gesetzesänderungen zu widerrufen. Die Plattformhaftung ist nach Auffassung der Kommission „ineffizient und unverhältnismäßig“. Zudem behindere sie den Zugang europäischer Unternehmen zum deutschen Markt, was einen Verstoß gegen das EU-Recht darstellt. Darüber hinaus haben sich die EU-Mitgliedstaaten bereits auf gemeinsame und effizientere Maßnahmen zur Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug geeinigt, die am 1. Januar 2021 in Kraft treten. Die den Betreibern digitaler Marktplätze auferlegte Verpflichtung gehe über das in den EU-Vorschriften vorgesehene Maß hinaus und stehe im Widerspruch zu den Zielen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt.
Die Bundesregierung hält ihre Maßnehmen hingegen für sinnvoll und will die Regelungen im Dialog mit der EU-Kommission verteidigen. Überzeugt Berlin die EU nicht und schafft auch nicht binnen zwei Monaten Abhilfe, kann die Kommission den deutschen Behörden in dieser Sache eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermitteln, die zweite Stufe in einem insgesamt maximal dreistufigen Vertragsverletzungsverfahren. An dessen Ende könnte Deutschland auch ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof drohen.