JUVE Steuermarkt: Herr Wohlrabe, wie können Beratungsgesellschaften wie EY ein solches Mammutprojekt wie die nun vorerst gescheiterte Abspaltung kommunizieren?
Martin Wohlrabe: Zur Kommunikationsstrategie gehören aus meiner Sicht vor allem Klarheit und Verlässlichkeit. Wenn Mandanten zu uns kommen und ein Change-Projekt durchführen wollen, sage ich immer, dass es wichtig ist, sich eine flexible, aber auch umfassende Strategie in der Kommunikation zurecht zu legen – verschiedenste Szenarien müssen antizipiert und abgewogen werden. Man sollte sich kommunikativ darauf vorbereiten, dass ein solches Projekt auch immer scheitern kann. Und gerade auch dann bleibt eine gute fortlaufende Kommunikation wichtig, um Kunden, Mitarbeiter sowie die Öffentlichkeit abzuholen.
Worauf gilt es besonders zu achten?
Was unglaublich schwierig ist: den idealen Zeitpunkt zu finden. Eine frühzeitige Kommunikation ist hilfreich, zumindest soweit sie im Einzelfall dann auch sinnvoll ist. Sie bringt Transparenz mit sich, sorgt dafür, dass man alle für sich wesentlichen Stakeholder abholt und fördert Vertrauen – unabhängig vom späteren Ergebnis des Projekts. Und deshalb sollte man sich auch im Bereich der Kommunikation umfassend auf Krisenszenarien vorbereiten, da sie häufig quasi aus dem Nichts kommen. Denn dann ist eine gute Vorbereitung und eine frühzeitigere klare Kommunikation vorteilhaft gegenüber jedem hilflosen „no comment“.
Hat EY die Absicht, sich aufspalten zu wollen, zu früh kommuniziert?
Die besten Kapitäne stehen stets an Land, will heißen: Von außen und hinterher Dinge zu beurteilen, ist immer ein Leichtes. Allgemeingültig kann man aber sagen: Je früher ein Kommunikationsschritt erfolgt, desto besser ist dies für die Vertrauensbildung – solange man damit nicht Erwartungen generiert, die später nicht erfüllt werden. Es gab im Dezember eine Meldung vom globalen Governance-Counsel von EY, die schon sehr konkrete Personalien bekannt gab. Der aktuelle EY-Chef Carmine Di Sibio und die US-Chefin Julie Boland sollten demnach zu den künftigen Leitern des Beratungs- bzw. Prüfungsgeschäfts ernannt werden. Losgelöst vom Grundsatz, grundsätzlich früh zu kommunizieren, wäre es hier wohl sinnvoller gewesen, die Personalien erst kurz vor einer finalen Partnerversammlung bekanntzugeben, um die Partner hinter sich zu versammeln. Mit einer sehr offensiven Kommunikation versucht man dann eher Fakten zu schaffen. Das hat die US-Gesellschaft offenbar nicht überzeugt.
Wie ordnen Sie die Gefahr ein, in einem solchen Prozess kommunikativ mit Leaks umgehen zu müssen?
Es ist gefährlich, dies zu unterschätzen. Gerade bei globalen Strukturen von Anwalts- und Wirtschaftsprüfungs-Netzwerken. Man hat es eben bei internationalen Kanzleien von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern nicht mit einer klassischen klaren Unternehmens-/Konzernstruktur zu tun. Es handelt sich häufig um mehrere Partnerschaften, die dezentraler organisiert sind, in denen es Partikular- und Landesinteressen gibt, und zudem unterschiedlichen nationalen Regulierungen unterworfen sind. Dann ist auch eine dezentrale bzw. lokale Kommunikation besonders wichtig. Bei einem Megaprojekt wie ‚Everest‘ ist dies ein enormer zusätzlicher Aufwand, weil insbesondere – auch um die Gefahr von Leaks zu reduzieren – die Mitarbeiter, aber auch die Öffentlichkeit sowie Mandanten in jedem Land mitgenommen und an einem anderen Punkt abgeholt werden müssen. Wenn dann noch ein angedachter Börsengang on top kommt, wird der Sachverhalt und damit die Kommunikation noch komplexer.
Zu solchen Leaks kam es ja nun auch immer wieder. Wie beurteilen Sie diese?
Leaks treten immer wieder auf, wenn es verschiedene Lager gibt und man sich über Bande gegenseitig vors Schienbein treten will. Das ist bei der geplanten Aufspaltung meiner Ansicht nach eins der größten kommunikativen Probleme der vergangenen acht Monate gewesen. In der Konsequenz läuft dann die vorbereitete interne Kommunikation ständig der externen unerwünschten hinterher – was es kaum möglich macht, im Projekt kommunikativ wieder vor die Lage zu kommen.
Sehen Sie bei EY einen Imageschaden?
Einen Reputationsschaden definitiv. Am Ende ist dies jedoch mittel- bis langfristig kommunikativ reparabel. Das Vertrauen, das jetzt beeinträchtigt ist, kann auch wiederhergestellt werden. Dazu ist wichtig, dass jetzt keine kommunikative Schockstarre bei EY eintritt.
EY verneinte stets einen Zusammenhang zwischen dem Projekt Everest und dem Wirecard-Skandal. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit gab es diesen Nexus aber. Wie wären Sie damit umgegangen?
Tatsächlich hätte auch ich zunächst eine scharfe Trennung der Themen angeraten. Selbst in dem Wissen, dass sich diese scharfe Trennung nicht durchhalten lässt, weil natürlich Dinge in der Öffentlichkeit vermischt und vermengt werden. Das globale Everest-Thema ist ein viel Größeres als das wohl überwiegend national gewichtige Wirecard-Thema. Nichtsdestotrotz kann ich mir in der Kommunikation häufig nicht aussuchen, wie die Themen sich in der öffentlichen Debatte entwickeln und muss sie dann eben mitgehen.
Auch der Projektname ‚Everest‘ stand in der Kritik. Ein Projekt nach dem höchsten Berg der Erde zu benennen, könnte problematisch sein – weil doch viele daran scheitern, diesen zu erklimmen. Wie sehen Sie das?
Es ist meiner Meinung nach in Ordnung, ein Projekt dieser Größenordnung auch angemessen zu benennen. Allerdings hat EY in der Kommunikation ganz unabhängig von der Bezeichnung ‚Everest‘ die Latte durchaus hoch gehängt. Den Aufspaltungsplan hat EY seinerzeit als „The Roadmap for Reshaping the Profession“, also sinngemäß den „Fahrplan für die Neugestaltung des Berufsstandes“ angepriesen. Das ist bei einer solchen Projektdimension sicher nicht völlig unangemessen. Und man kann eine derartig offensive Kommunikation auch immer als strategisches Mittel einsetzen, um interne Widerstände zu überwinden. Ob dies ein Gedanke dabei war, bleibt Spekulation.
Was würden Sie anderen Beratungen raten, die ähnliche Projekte planen?
Eine umfassende Kommunikationsstrategie, die wenn und wo notwendig auf nationale Themen eingeht und zu kommunizieren, sobald man wirklich soliden Grund unter den Füßen verspürt. Nur bitte nie einfach Kommunikation um jeden Preis. Wenn Sie eine Partnerschaft haben, die hinter Ihnen steht, dann können Sie mutiger vorangehen. Haben Sie dagegen den Eindruck, es bedarf mehr interner Kommunikation, dann ist dies dünnes Eis. Dieses kann zwar eine externe Kommunikation zu einem frühen Zeitpunkt tragen, bringt aber gleichwohl das höhere Risiko mit sich, einzubrechen.