Robert Böhm ist seit 2008 Partner bei Ernst & Young in Düsseldorf und leitet die Zoll- und Verbrauchsteuerberatung für die Region Deutschland, Österreich und die Schweiz. Der Diplom-Finanzwirt (Zoll) studierte von 1995 bis 1998 an der Fachhochschule des Bundes in Münster und war zunächst für zwei Jahre in der Zollverwaltung tätig, bevor er 2000 zu EY wechselte. Der 43-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder.
Richard Albert (35) ist seit 2018 Partner bei Ernst & Young. Von 2004 bis 2007 studierte er ebenfalls an der Fachhochschule des Bundes in Münster und stieg direkt im Anschluss als Berater bei EY in Düsseldorf ein. 2012 wechselte er nach Leipzig und hat hier ein Team aufgebaut. Albert, der vor allem auf die Themen Zollpräferenzrecht, Organisations- und Prozessberatung sowie die Beratung in Sachen Zoll- IT spezialisiert ist, hat mit seiner Lebenspartnerin zwei Kinder.
JUVE Steuermarkt: Herr Böhm, Herr Albert, Zollthemen gibt es derzeit reichlich. Nehmen wir nur den Brexit oder den US-Handelskonflikt mit der EU und China. Haben Sie so eine turbulente Zeit schon einmal erlebt?
Böhm: Wir sehen derzeit einschneidende globale Veränderungen und Entwicklungen. Die Medien werden aktuell durch den Brexit und den US-Handelskonflikt dominiert. Daneben haben aber auch die Entwicklung der Beziehungen zu Russland oder zum Iran erhebliche Auswirkungen auf den Außenhandel. Restriktionen des internationalen Waren- und Dienstleistungsaustauschs werden weltweit wieder als Druckmittel für politische Interessen eingesetzt. Das Beratungsgeschäft lebt natürlich davon, die Mandanten bei der Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen zu unterstützen. Persönlich sehe ich den zunehmenden globalen Protektionismus und auch die verstärkte Konzentration auf nationale Interessen innerhalb der EU mit Sorge.
Zu welchem Thema haben Sie zuletzt intensiver beraten: zum Brexit oder zum US-EU-Handelsstreit?
Böhm: Im Gegensatz zu den Strafzöllen im Handelsstreit zwischen der USA und der EU, die lediglich bestimmte Branchen betreffen, wirkt sich der drohende Brexit bereits jetzt auf viele tausend Unternehmen aus. Auch Unternehmen, die selbst nicht im Vereinigten Königreich tätig sind oder keine direkten Handelsbeziehungen dorthin pflegen, sind betroffen. Der Brexit ist nach unserer Wahrnehmung daher das Thema, welches die Unternehmen intensiver beschäftigt. Bei vielen Unternehmen haben wir lange eine „wait-and-see“- Haltung beobachtet. Das ist angesichts der – auch zum jetzigen Zeitpunkt – bestehenden Unsicherheit über den zukünftigen Status durchaus nachvollziehbar. Es gibt aber auch Unternehmen, die frühzeitig strategische Maßnahmen in die Wege geleitet haben. Mit diesen haben wir verschiedene Ansätze diskutiert, von der Verschiebung von Liefer- und Wertschöpfungsketten, über geänderte Lagerkonzepte bis hin zu neuen Verzollungskonzepten.
Albert: In der Tat war der Umsetzungswille bei vielen Unternehmen angesichts der Unsicherheit zunächst gering ausgeprägt. Nach dem Motto: „So verrückt kann man doch gar nicht sein, ohne Abkommen aus der EU auszutreten.“ Viele haben gehofft, dass das Vereinigte Königreich entweder vom Brexit zurücktritt oder bei einer Einigung auf das Austrittsabkommen zumindest bis Ende 2020 Zeit für Vorbereitungen bleibt. In der nun bis Ende März 2019 verbleibenden Zeit können nur noch Notfallmaßnahmen ergriffen werden. Wobei aktuell wieder in Rede steht, dass aus der EU um bis zu zwei Jahre hinausgeschoben werden könnte. Viele Unternehmen verfolgen den Ansatz, dass sie zuerst Erfahrung mit der Situation sammeln wollen, wenn das Vereinigte Königreich bei einem harten Brexit den Status eines Drittlands annimmt.
Steuern wir beim Brexit auf ein Zollchaos zu?
Böhm: Bei einem Brexit ohne Austrittsabkommen wird es zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Zollabfertigung kommen. Die beteiligten Zollverwaltungen diskutieren gerade unterschiedliche Maßnahmen. So will die britische Zollbehörde HMRC zunächst eine vereinfachte Zollabwicklung zulassen. Zollanmeldungen können vorerst mit reduziertem Datensatz abgegeben, Einfuhrabgaben aufgeschoben werden. Angesichts von 200 Millionen zusätzlich erwarteten Zollanmeldungen bei der Einfuhr von Waren ins Vereinigte Königreich halte ich dies jedoch für nicht ausreichend. Auch die erhebliche Personalaufstockung bei der deutschen Zollverwaltung wird nicht sofort wirksam. Egal ob im Rahmen eines Hard Brexit oder nach einer Übergangsfrist: Das Vereinigte Königreich wird durch den Brexit zum Drittland und die dadurch neu entstehende Zollgrenze ist für die Unternehmen mit zusätzlichen Kosten, Verzögerungen und administrativem Aufwand verbunden.
Was raten Sie den Unternehmen in dieser Situation?
Böhm: Aufwändige Lösungen, etwa die Verlagerung von Lieferwegen, können sie bis Ende März nicht mehr umsetzen. Einige Unternehmen sind jedoch frühzeitig aktiv geworden. Sie importieren ihre Importware aus Asien über Häfen in Südeuropa und vermeiden die Zollabwicklung in den Häfen in Nordeuropa, die mit den zollrechtlich abzufertigenden Warenvolumen aus Großbritannien belastet sein werden. Unseren Mandanten empfehlen wir derzeit vorrangig kurzfristig umzusetzende Maßnahmen.
Albert: Diese Kurzfristmaßnahmen zielen darauf ab, die betrieblichen Prozesse vorzubereiten. Die Unternehmen müssen etwa die Anpassung von Stammdaten, Dokumentenvorlagen und Steuerschlüsseln vorbereiten. Aus Supply Chain Sicht sind kritische Materialien zu analysieren, damit deren Bestand frühzeitig erhöht wird. Auch die Sicherung von Frachtraum und die Verfügbarkeit von Lager und Kühllagerraum kann entscheidend sein. Grundsätzlich müssen bis zum Tag X die im Außenhandel relevanten Prozesse im Unternehmen bzw. in Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern greifen. Dafür müssen alle relevanten Verträge mit Lieferanten, Kunden und diversen anderen Parteien überprüft wurden. Fast alle Unternehmen sind derzeit bestrebt, bestimmte Vertragskonstellationen nachzuverhandeln. Natürlich muss auch geprüft werden, ob die Inanspruchnahme besonderer Zollverfahren hilft. Um Zeitverzögerungen bei der Zollabfertigung zu reduzieren, ist etwa die Verlagerung der Handelsabwicklung ins Binnenland in Betracht zu ziehen. Doch auch da gibt es Hürden. Gerade kleinere Binnenzollämter sind auf einen Volumenzuwachs gar nicht vorbereitet.
Wie geht es nach Ihrer Einschätzung im US-Handelsstreit mit der EU weiter?
Böhm: Die Androhung neuer Zölle für die Automobilbranche durch den US-Präsidenten hat den Ton in den Verhandlungen wieder verschärft. Es ist unklar, wie konkret diese Drohung ist. Sie dient in jedem Fall der Erhöhung des Drucks auf die EU in den Handelsgesprächen. Es ist wohl davon auszugehen, dass eine mögliche Einführung von Strafzöllen Vergeltungsmaßnahmen der EU nach sich zieht. Es besteht somit die Gefahr einer Spiralwirkung. Reaktionen in den USA, zum Beispiel durch Vertreter der dortigen Industrie, zeigen aber auch, dass die Handelspolitik nicht uneingeschränkt geteilt wird. Insofern hoffe ich auf eine diplomatische Lösung des Konflikts.
Einen Lichtblick am trüben Handelshorizont gibt es: Seit 1. Februar gilt das EU-Freihandelsabkommen mit Japan.
Albert: Das Freihandelsabkommen mit Japan ist ein wichtiges Bekenntnis, dass Europa sich zu einem freien globalisierten Handel bekennt. Das Abkommen wurde seit 2013 verhandelt. Die Handelsstreitigkeiten mit den USA haben den Vertragsabschluss in jedem Fall begünstigt. Da Japan der zweitgrößte Handelspartner der EU in Asien und der sechstgrößte Handelspartner weltweit ist, hat das Abkommen nicht nur symbolischen Wert, es besitzt volkswirtschaftlich echte Relevanz. Für Exporteure bietet das Abkommen große Chancen auf dem japanischen Markt. Andererseits muss sich die hiesige Industrie damit auseinandersetzen, dass japanische Waren durch den Wegfall der Zollabgaben auf dem EU-Markt nun deutlich kompetitiver werden.
Am Standort Eschborn haben Sie in den letzten Jahren die Beratung zum Außenwirtschaftsrecht etabliert. Wollen Sie Anwaltskanzleien einen Teil des Beratungskuchens wegschnappen?
Böhm: In Zeiten von zunehmendem Protektionismus wird das Außenwirtschaftsrecht immer wichtiger. Die regulatorischen Entwicklungen und die Rechtsprechung der letzten Jahre haben zu einer höheren Sensibilisierung für Compliance im Allgemeinen und für exportkontrollrechtliche Themen im Speziellen geführt. Dabei müssen längst nicht nur exportierende Unternehmen außenwirtschaftsrechtliche Vorschriften beachten. Auch Dienstleistungsunternehmen, wie zum Beispiel Banken oder Logistiker, sind von Teilbereichen der Exportkontrolle betroffen. Wir beraten seit Langem in diesem Bereich und haben vor mehr als vier Jahren entschieden, ein Team aufzubauen, welches sich ausschließlich damit beschäftigt. Neben der juristischen Beratung unterstützen die Kollegen die Mandanten auch bei der Einrichtung der notwendigen Organisations- und IT-Strukturen sowie Prozesse.
Kommen wir zum Thema Verbrauchsteuern. Welche Faktoren bestimmen aktuell die Beratung?
Böhm: Verbrauchsteuern sind nicht nur die wichtigste Einnahmequelle der Zollverwaltung, sie sind auch eines der größten Beratungsfelder unseres Global Trade Teams. Schwerpunkt ist die Beratung zur Energie- und Stromsteuer. Hiervon sind Energieerzeuger und -versorger, aber auch die produzierenden, energieintensiven Industrieunternehmen betroffen. Unsere Beratung umfasst darüber hinaus Verbrauchsteuern auf Genussmittel, etwa die Alkohol-, Kaffee- oder Tabaksteuer. Nur wenige Unternehmen besitzen weitreichendes verbrauchsteuerliches Know-how. Die zugrunde liegenden Rechtsvorschriften wurden im Laufe der Zeit immer komplexer und sind regelmäßigen Änderungen unterworfen.
Gerade bei Mandaten zur Alkohol oder Tabaksteuer sind häufig spezielle Kenntnisse erforderlich. Ein Vorteil für eine große Einheit wie EY?
Böhm: Indirekte Steuern sind aufgrund ihres Transaktionsbezuges sehr nah am wirklichen Leben. Im Energie- und Stromsteuerrecht ist es deshalb notwendig, über technische Kenntnisse zu verfügen. Bei den Verbrauchsteuern auf Genussmittel sind gewisse Grundkenntnisse in Chemie durchaus hilfreich. Entsprechende Erfahrungen bringen die wenigstens unserer Kollegen von Anfang an mit. Sie sammeln diese Kenntnisse im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit. Neben der fachlichen Fokussierung auf bestimmte Bereiche spezialisieren sich viele unserer Berater im Laufe ihrer Karriere zusätzlich nach Branchen. Um den Kollegen diese Möglichkeit zu geben, bedarf es einer gewissen Unternehmensgröße.
Albert: Die Anforderungen der Mandanten an ihre Berater steigen immer weiter. Neben der fachlichen Spezialisierung innerhalb der Zoll- und Verbrauchsteuerberatung wird die Industriespezialisierung einzelner Kollegen immer ausgeprägter. Mit fortschreitender Digitalisierung gewinnen gleichzeitig technologische Kompetenzen an Bedeutung. Das können nur große Einheiten realisieren. Natürlich wird es, auch bei uns, immer Generalisten geben.
Für viele Mandanten spielt nicht die Größe, sondern die Visibilität und Erfahrung ihrer Berater eine wichtige Rolle. Welche Rolle spielt dieser Aspekt bei Ihnen?
Böhm: Die Größe des Teams ist entscheidend dafür, möglichst alle Spezialisierungen des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts abzudecken. Für EY sind in Deutschland etwa 50 Kollegen im Bereich Global Trade tätig. Wir arbeiten in einem internationalen Netzwerk mit mehr als 800 Zoll- und Verbrauchsteuerspezialisten in über 140 Ländern. Daneben zählen im persönlichen Kontakt und in der Beratung unserer Mandanten natürlich auch die individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen. Ich denke, dass letztendlich beide Aspekte entscheidend für den Erfolg am Markt sind.
Albert: Bei Ausschreibungen werden auch bei uns am Markt besonders sichtbare Berater explizit nachgefragt. Die meisten Mandatsbeziehungen sind allerdings so angelegt, dass eine multidisziplinäre Beratungskompetenz gefordert ist. Entscheidend ist die Fähigkeit, alle fachlichen und technischen Kompetenzen mit erfahrenen und in der Zusammenarbeit aufeinander eingespielten Beratern zu besetzen. Vereinfacht formuliert: Das Team ist der Star.
Am Markt gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Player, von den Big Four bis zur kleinen Zollkanzlei. Wer ist Ihre Konkurrenz?
Böhm: Der Markt ist in der Tat sehr vielschichtig. Viele kleinere Teams haben es in den letzten Jahren geschafft, sich am Markt in bestimmten Nischen zu positionieren, etwa im Bereich Litigation oder IT- und Prozessberatung. Unsere Stärke ist sicherlich, dass wir aufgrund unserer Größe die gesamte Bandbreite der Themen und die Schnittstellen zu anderen steuerlichen und rechtlichen Bereichen abdecken. Die größte Herausforderung für uns sehe ich weniger in der Konkurrenz, sondern vielmehr in dem schnellen Wandel des Marktes. Diese Dynamik macht es erforderlich, unser Geschäftsmodell und unsere Beratungsansätze immer wieder kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.
Albert: Wir halten uns regelmäßig einen Spiegel vor und hinterfragen die Art und Weise, wie wir unsere Beratungsleistung erbringen bzw. welche technologiebasierten Lösungen wir anbieten müssen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Auch in der Steuer- bzw. Zollberatung wird es mittel- bis langfristig eine weitere Verschiebung dahingehend geben, dass Dienstleistungen auf Basis von Technologieeinsatz den Anteil der Beratung in Einzelsachverhalten, die es aber natürlich auch weiterhin geben wird, reduzieren.
Technologie ist ein gutes Stichwort: Wo stehen die Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Prozesse?
Albert: Die Mehrzahl der Unternehmen versieht Materialstammdaten mit den für die zoll-, steuer- bzw. exportkontrollrechtliche Abwicklung notwendigen Informationsmerkmalen und nutzt Softwareanwendungen, um die Durchführung von Zoll- und Verbrauchsteuerprozessen zu unterstützen. Diese Anwendungen werden durch Schnittstellen mit dem ERP-System integriert und weitere Schnittstellen zu Geschäftspartnern, Dienstleistern und Zollverwaltung hergestellt. Das, was wir aktuell unter Digitalisierung bzw. dem Einsatz neuer Technologien verstehen, befindet sich im Kontext der Zoll- und Verbrauchsteuerabwicklung nach meiner Wahrnehmung überwiegend in der Konzeptphase, wobei die ersten kommerziellen Lösungen bereits am Markt sind oder in Kürze an den Markt gehen werden.
Herr Böhm, Herr Albert, Zollthemen gibt es derzeit reichlich. Nehmen wir nur den Brexit oder den US-Handelskonflikt mit der EU und China. Haben Sie so eine turbulente Zeit schon einmal erlebt?
Böhm: Wir sehen derzeit einschneidende globale Veränderungen und Entwicklungen. Die Medien werden aktuell durch den Brexit und den US-Handelskonflikt dominiert. Daneben haben aber auch die Entwicklung der Beziehungen zu Russland oder zum Iran erhebliche Auswirkungen auf den Außenhandel. Restriktionen des internationalen Waren- und Dienstleistungsaustauschs werden weltweit wieder als Druckmittel für politische Interessen eingesetzt. Das Beratungsgeschäft lebt natürlich davon, die Mandanten bei der Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen zu unterstützen. Persönlich sehe ich den zunehmenden globalen Protektionismus und auch die verstärkte Konzentration auf nationale Interessen innerhalb der EU mit Sorge.
Zu welchem Thema haben Sie zuletzt intensiver beraten: zum Brexit oder zum US-EU-Handelsstreit?
Böhm: Im Gegensatz zu den Strafzöllen im Handelsstreit zwischen der USA und der EU, die lediglich bestimmte Branchen betreffen, wirkt sich der drohende Brexit bereits jetzt auf viele tausend Unternehmen aus. Auch Unternehmen, die selbst nicht im Vereinigten Königreich tätig sind oder keine direkten Handelsbeziehungen dorthin pflegen, sind betroffen. Der Brexit ist nach unserer Wahrnehmung daher das Thema, welches die Unternehmen intensiver beschäftigt. Bei vielen Unternehmen haben wir lange eine „wait-and-see“- Haltung beobachtet. Das ist angesichts der – auch zum jetzigen Zeitpunkt – bestehenden Unsicherheit über den zukünftigen Status durchaus nachvollziehbar. Es gibt aber auch Unternehmen, die frühzeitig strategische Maßnahmen in die Wege geleitet haben. Mit diesen haben wir verschiedene Ansätze diskutiert, von der Verschiebung von Liefer- und Wertschöpfungsketten, über geänderte Lagerkonzepte bis hin zu neuen Verzollungskonzepten.
Albert: In der Tat war der Umsetzungswille bei vielen Unternehmen angesichts der Unsicherheit zunächst gering ausgeprägt. Nach dem Motto: „So verrückt kann man doch gar nicht sein, ohne Abkommen aus der EU auszutreten.“ Viele haben gehofft, dass das Vereinigte Königreich entweder vom Brexit zurücktritt oder bei einer Einigung auf das Austrittsabkommen zumindest bis Ende 2020 Zeit für Vorbereitungen bleibt. In der nun bis Ende März 2019 verbleibenden Zeit können nur noch Notfallmaßnahmen ergriffen werden. Wobei aktuell wieder in Rede steht, dass aus der EU um bis zu zwei Jahre hinausgeschoben werden könnte. Viele Unternehmen verfolgen den Ansatz, dass sie zuerst Erfahrung mit der Situation sammeln wollen, wenn das Vereinigte Königreich bei einem harten Brexit den Status eines Drittlands annimmt.
Steuern wir beim Brexit auf ein Zollchaos zu?
Böhm: Bei einem Brexit ohne Austrittsabkommen wird es zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Zollabfertigung kommen. Die beteiligten Zollverwaltungen diskutieren gerade unterschiedliche Maßnahmen. So will die britische Zollbehörde HMRC zunächst eine vereinfachte Zollabwicklung zulassen. Zollanmeldungen können vorerst mit reduziertem Datensatz abgegeben, Einfuhrabgaben aufgeschoben werden. Angesichts von 200 Millionen zusätzlich erwarteten Zollanmeldungen bei der Einfuhr von Waren ins Vereinigte Königreich halte ich dies jedoch für nicht ausreichend. Auch die erhebliche Personalaufstockung bei der deutschen Zollverwaltung wird nicht sofort wirksam. Egal ob im Rahmen eines Hard Brexit oder nach einer Übergangsfrist: Das Vereinigte Königreich wird durch den Brexit zum Drittland und die dadurch neu entstehende Zollgrenze ist für die Unternehmen mit zusätzlichen Kosten, Verzögerungen und administrativem Aufwand verbunden.
Was raten Sie den Unternehmen in dieser Situation?
Böhm: Aufwändige Lösungen, etwa die Verlagerung von Lieferwegen, können sie bis Ende März nicht mehr umsetzen. Einige Unternehmen sind jedoch frühzeitig aktiv geworden. Sie importieren ihre Importware aus Asien über Häfen in Südeuropa und vermeiden die Zollabwicklung in den Häfen in Nordeuropa, die mit den zollrechtlich abzufertigenden Warenvolumen aus Großbritannien belastet sein werden. Unseren Mandanten empfehlen wir derzeit vorrangig kurzfristig umzusetzende Maßnahmen.
Albert: Diese Kurzfristmaßnahmen zielen darauf ab, die betrieblichen Prozesse vorzubereiten. Die Unternehmen müssen etwa die Anpassung von Stammdaten, Dokumentenvorlagen und Steuerschlüsseln vorbereiten. Aus Supply Chain Sicht sind kritische Materialien zu analysieren, damit deren Bestand frühzeitig erhöht wird. Auch die Sicherung von Frachtraum und die Verfügbarkeit von Lager und Kühllagerraum kann entscheidend sein. Grundsätzlich müssen bis zum Tag X die im Außenhandel relevanten Prozesse im Unternehmen bzw. in Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern greifen. Dafür müssen alle relevanten Verträge mit Lieferanten, Kunden und diversen anderen Parteien überprüft wurden. Fast alle Unternehmen sind derzeit bestrebt, bestimmte Vertragskonstellationen nachzuverhandeln. Natürlich muss auch geprüft werden, ob die Inanspruchnahme besonderer Zollverfahren hilft. Um Zeitverzögerungen bei der Zollabfertigung zu reduzieren, ist etwa die Verlagerung der Handelsabwicklung ins Binnenland in Betracht zu ziehen. Doch auch da gibt es Hürden. Gerade kleinere Binnenzollämter sind auf einen Volumenzuwachs gar nicht vorbereitet.
Wie geht es nach Ihrer Einschätzung im US-Handelsstreit mit der EU weiter?
Böhm: Die Androhung neuer Zölle für die Automobilbranche durch den US-Präsidenten hat den Ton in den Verhandlungen wieder verschärft. Es ist unklar, wie konkret diese Drohung ist. Sie dient in jedem Fall der Erhöhung des Drucks auf die EU in den Handelsgesprächen. Es ist wohl davon auszugehen, dass eine mögliche Einführung von Strafzöllen Vergeltungsmaßnahmen der EU nach sich zieht. Es besteht somit die Gefahr einer Spiralwirkung. Reaktionen in den USA, zum Beispiel durch Vertreter der dortigen Industrie, zeigen aber auch, dass die Handelspolitik nicht uneingeschränkt geteilt wird. Insofern hoffe ich auf eine diplomatische Lösung des Konflikts.
Einen Lichtblick am trüben Handelshorizont gibt es: Seit 1. Februar gilt das EU-Freihandelsabkommen mit Japan.
Albert: Das Freihandelsabkommen mit Japan ist ein wichtiges Bekenntnis, dass Europa sich zu einem freien globalisierten Handel bekennt. Das Abkommen wurde seit 2013 verhandelt. Die Handelsstreitigkeiten mit den USA haben den Vertragsabschluss in jedem Fall begünstigt. Da Japan der zweitgrößte Handelspartner der EU in Asien und der sechstgrößte Handelspartner weltweit ist, hat das Abkommen nicht nur symbolischen Wert, es besitzt volkswirtschaftlich echte Relevanz. Für Exporteure bietet das Abkommen große Chancen auf dem japanischen Markt. Andererseits muss sich die hiesige Industrie damit auseinandersetzen, dass japanische Waren durch den Wegfall der Zollabgaben auf dem EU-Markt nun deutlich kompetitiver werden.
Am Standort Eschborn haben Sie in den letzten Jahren die Beratung zum Außenwirtschaftsrecht etabliert. Wollen Sie Anwaltskanzleien einen Teil des Beratungskuchens wegschnappen?
Böhm: In Zeiten von zunehmendem Protektionismus wird das Außenwirtschaftsrecht immer wichtiger. Die regulatorischen Entwicklungen und die Rechtsprechung der letzten Jahre haben zu einer höheren Sensibilisierung für Compliance im Allgemeinen und für exportkontrollrechtliche Themen im Speziellen geführt. Dabei müssen längst nicht nur exportierende Unternehmen außenwirtschaftsrechtliche Vorschriften beachten. Auch Dienstleistungsunternehmen, wie zum Beispiel Banken oder Logistiker, sind von Teilbereichen der Exportkontrolle betroffen. Wir beraten seit Langem in diesem Bereich und haben vor mehr als vier Jahren entschieden, ein Team aufzubauen, welches sich ausschließlich damit beschäftigt. Neben der juristischen Beratung unterstützen die Kollegen die Mandanten auch bei der Einrichtung der notwendigen Organisations- und IT-Strukturen sowie Prozesse.
Kommen wir zum Thema Verbrauchsteuern. Welche Faktoren bestimmen aktuell die Beratung?
Böhm: Verbrauchsteuern sind nicht nur die wichtigste Einnahmequelle der Zollverwaltung, sie sind auch eines der größten Beratungsfelder unseres Global Trade Teams. Schwerpunkt ist die Beratung zur Energie- und Stromsteuer. Hiervon sind Energieerzeuger und -versorger, aber auch die produzierenden, energieintensiven Industrieunternehmen betroffen. Unsere Beratung umfasst darüber hinaus Verbrauchsteuern auf Genussmittel, etwa die Alkohol-, Kaffee- oder Tabaksteuer. Nur wenige Unternehmen besitzen weitreichendes verbrauchsteuerliches Know-how. Die zugrunde liegenden Rechtsvorschriften wurden im Laufe der Zeit immer komplexer und sind regelmäßigen Änderungen unterworfen.
Gerade bei Mandaten zur Alkohol oder Tabaksteuer sind häufig spezielle Kenntnisse erforderlich. Ein Vorteil für eine große Einheit wie EY?
Böhm: Indirekte Steuern sind aufgrund ihres Transaktionsbezuges sehr nah am wirklichen Leben. Im Energie- und Stromsteuerrecht ist es deshalb notwendig, über technische Kenntnisse zu verfügen. Bei den Verbrauchsteuern auf Genussmittel sind gewisse Grundkenntnisse in Chemie durchaus hilfreich. Entsprechende Erfahrungen bringen die wenigstens unserer Kollegen von Anfang an mit. Sie sammeln diese Kenntnisse im Rahmen ihrer Beratungstätigkeit. Neben der fachlichen Fokussierung auf bestimmte Bereiche spezialisieren sich viele unserer Berater im Laufe ihrer Karriere zusätzlich nach Branchen. Um den Kollegen diese Möglichkeit zu geben, bedarf es einer gewissen Unternehmensgröße.
Albert: Die Anforderungen der Mandanten an ihre Berater steigen immer weiter. Neben der fachlichen Spezialisierung innerhalb der Zoll- und Verbrauchsteuerberatung wird die Industriespezialisierung einzelner Kollegen immer ausgeprägter. Mit fortschreitender Digitalisierung gewinnen gleichzeitig technologische Kompetenzen an Bedeutung. Das können nur große Einheiten realisieren. Natürlich wird es, auch bei uns, immer Generalisten geben.
Für viele Mandanten spielt nicht die Größe, sondern die Visibilität und Erfahrung ihrer Berater eine wichtige Rolle. Welche Rolle spielt dieser Aspekt bei Ihnen?
Böhm: Die Größe des Teams ist entscheidend dafür, möglichst alle Spezialisierungen des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts abzudecken. Für EY sind in Deutschland etwa 50 Kollegen im Bereich Global Trade tätig. Wir arbeiten in einem internationalen Netzwerk mit mehr als 800 Zoll- und Verbrauchsteuerspezialisten in über 140 Ländern. Daneben zählen im persönlichen Kontakt und in der Beratung unserer Mandanten natürlich auch die individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen. Ich denke, dass letztendlich beide Aspekte entscheidend für den Erfolg am Markt sind.
Albert: Bei Ausschreibungen werden auch bei uns am Markt besonders sichtbare Berater explizit nachgefragt. Die meisten Mandatsbeziehungen sind allerdings so angelegt, dass eine multidisziplinäre Beratungskompetenz gefordert ist. Entscheidend ist die Fähigkeit, alle fachlichen und technischen Kompetenzen mit erfahrenen und in der Zusammenarbeit aufeinander eingespielten Beratern zu besetzen. Vereinfacht formuliert: Das Team ist der Star.
Am Markt gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Player, von den Big Four bis zur kleinen Zollkanzlei. Wer ist Ihre Konkurrenz?
Böhm: Der Markt ist in der Tat sehr vielschichtig. Viele kleinere Teams haben es in den letzten Jahren geschafft, sich am Markt in bestimmten Nischen zu positionieren, etwa im Bereich Litigation oder IT- und Prozessberatung. Unsere Stärke ist sicherlich, dass wir aufgrund unserer Größe die gesamte Bandbreite der Themen und die Schnittstellen zu anderen steuerlichen und rechtlichen Bereichen abdecken. Die größte Herausforderung für uns sehe ich weniger in der Konkurrenz, sondern vielmehr in dem schnellen Wandel des Marktes. Diese Dynamik macht es erforderlich, unser Geschäftsmodell und unsere Beratungsansätze immer wieder kritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.
Albert: Wir halten uns regelmäßig einen Spiegel vor und hinterfragen die Art und Weise, wie wir unsere Beratungsleistung erbringen bzw. welche technologiebasierten Lösungen wir anbieten müssen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Auch in der Steuer- bzw. Zollberatung wird es mittel- bis langfristig eine weitere Verschiebung dahingehend geben, dass Dienstleistungen auf Basis von Technologieeinsatz den Anteil der Beratung in Einzelsachverhalten, die es aber natürlich auch weiterhin geben wird, reduzieren.
Technologie ist ein gutes Stichwort: Wo stehen die Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Prozesse?
Albert: Die Mehrzahl der Unternehmen versieht Materialstammdaten mit den für die zoll-, steuer- bzw. exportkontrollrechtliche Abwicklung notwendigen Informationsmerkmalen und nutzt Softwareanwendungen, um die Durchführung von Zoll- und Verbrauchsteuerprozessen zu unterstützen. Diese Anwendungen werden durch Schnittstellen mit dem ERP-System integriert und weitere Schnittstellen zu Geschäftspartnern, Dienstleistern und Zollverwaltung hergestellt. Das, was wir aktuell unter Digitalisierung bzw. dem Einsatz neuer Technologien verstehen, befindet sich im Kontext der Zoll- und Verbrauchsteuerabwicklung nach meiner Wahrnehmung überwiegend in der Konzeptphase, wobei die ersten kommerziellen Lösungen bereits am Markt sind oder in Kürze an den Markt gehen werden.
Welche Aufgaben können hier KI und Blockchain-basierte Lösungen übernehmen?
Albert: Während man hier und da einen Abgesang auf die Blockchain hört, glaube ich mittelfristig an das Potenzial dieser Technologie. Blockchain-Lösungen werden die Transparenz in der Lieferkette erhöhen und die kollaborative Nutzung von Daten fördern. Durch die Vermeidung wiederholter Dateneingaben und steigender Datenqualität wird über die gesamte Lieferkette hinweg ein erhebliches Einsparpotential prognostiziert. In der Zukunft wird es unter Einbindung verschiedener Technologien sogar möglich sein, Zollanmeldungen vollautomatisch zu erstellen und abzugeben. Die Lösungsvielfalt beginnt bei der automatisierten Ermittlung von außenhandelsrelevanten Stammdaten wie Zolltarifnummern oder Steuerschlüsseln. Sie reicht von der Vollautomatisierung des Lieferantenerklärungsmanagements bis zu selbstlernenden Kontrollsystemen mit angeschlossenem Workflow-Management. Eines ist sicher: Der Einsatz von Technologie wird die operative Abwicklung von Zoll, Außenhandel und auch der Umsatzsteuer enorm verändern. Die Unternehmen wollen ihre administrativen Abläufe verbessern, um schneller und kosteneffizienter zu agieren. Auch die Kompensation des Mangels an Fachpersonal spielt hier eine Rolle.
Experten für Zoll und Verbrauchsteuern werden von Beratungsgesellschaften und Unternehmen händeringend gesucht. Wie begegnen Sie dem Personalmangel?
Böhm: Unser Global Trade Team in Deutschland besteht aus Diplom-Finanzwirten, Juristen und Wirtschaftsjuristen sowie aus Betriebs- und Volkswirtschaftlern. Daneben sind Wirtschaftsinformatiker und Logistiker bei uns tätig. Die wenigsten kommen als Zollexperten zu uns. Viele unserer Kollegen starten als Berufseinsteiger. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, sich zu Spezialisten zu entwickeln.
Albert: Uns ist wichtig, dass sich die Beratung nachhaltig entwickelt. Unsere Mitarbeiter sollen ihre Karriereperspektive langjährig bei EY sehen. Die Möglichkeit, sich durch entsprechende Spezialisierung wertvoll zu machen, in einem internationalen Umfeld zu arbeiten bzw. die Chance zu erhalten, selbst ein Assignment im Ausland wahrzunehmen, sind Faktoren, die für unsere Mitarbeiter wichtig sind. Man darf außerdem nicht unterschätzen, dass derzeit ein Wertewandel stattfindet. Arbeit soll nachhaltig und wertstiftend sein. Unser EY-Wahlspruch „Building a better working world“ reflektiert das sehr gut. Unsere Aufgabe als Führungskräfte besteht darin, unser Handeln und unsere Entscheidungen daran auszurichten.