„Tax ist unter den Studierenden nicht mehr so attraktiv wie vor zehn Jahren“, klagt Janina Habla, Partnerin bei Ernst & Young (EY). Die Nachfrage nach Tax durch Kandidaten habe abgenommen. Die Münchner Umsatzsteuerexpertin verantwortet das Tax-Talent-Programm der Big-Four-Gesellschaft in Deutschland. Habla meint damit nicht, dass sich vor zehn Jahren niemand dem Charme von Schenkungs- oder Schaumweinsteuer hätte entziehen können.
Anderer Wettbewerb, andere Kandidatenstruktur, andere Uni-Landschaft: schwieriges Umfeld für Tax-Recruiting
Die EY-Partnerin spielt darauf an, dass der Fachbereich sich heute einem ganz anderen Wettbewerb stellen muss, wenn es darum geht, junge Menschen für eine steuerliche Berufskarriere zu begeistern: von Fintechs über KI-Start-ups haben gerade Betriebswirte diverse Möglichkeiten der Karriere- und Berufsentwicklung.
Hinzu kommt der flächendeckende Übergang zu Bachelorstudiengängen: „Wir haben es jetzt mit einer ganz anderen Kandidatenstruktur zu tun“, so Habla. Die Nachfrage nach Tax durch Kandidaten habe abgenommen. Das bestätigt auch Sven Westphälinger – Hablas Konterpart bei KPMG: Der Düsseldorfer Transaction-Tax-Partner kümmert sich um das Recruiting der Big-Four-Gesellschaft im Bereich Steuern. Habla und Westphälinger sehen die Ursachen auch mit an den Hochschulen: „Betriebswirtschaftliche Steuerlehrstühle werden zunehmend nicht mit Steuerexperten nachbesetzt, sondern gehen an andere Fachrichtungen und Themenbereiche – etwa in Hamburg, Stuttgart oder Bielefeld“, bemerkt Westphälinger. „Der Markt ist einfach eng.“
Stellenanzeigen ziehen nicht mehr: „Niemand reagiert mehr auf eine Zeitungsanzeige“
Einen Weg aus Enge und Beklemmung in Sachen Recruiting sehen Steuerberatungen aber immer weniger über die klassischen Pfade der Personalbeschaffung. „Niemand reagiert mehr auf eine Zeitungsanzeige“, konstatiert Thomas Herzogenrath, Kölner Partner und TaxTalent-Chef von RSM Ebner Stolz. „Auch der Anteil der Bewerbungen, die über Jobportale kommen, geht zurück“, sagt der Kölner Steuerpartner. „Wir sehen stattdessen einen ansteigenden Anteil von Bewerbungen, die über persönliche Kontakte und Netzwerke kommen“, sagt Ebners Head of HR Moritz Berkenheide. Die Stimme von RSM Ebner Stolz könnte ein Einzelfall sein. Ist sie aber nicht: Bei der MDP-Gesellschaft BRL Boege Rohde Luebbehuesen mit zentralen Standorten in Hamburg und Berlin sieht man die Lage ganz ähnlich: Über klassische Stellenanzeigen können wir zunehmend weniger Eingänge von Bewerbungen verzeichnen“, sagt die Leiterin Human Resources von BRL, Carolin Carstens. „Für Business Services und Assistenzpositionen funktionieren Stellenanzeigen vergleichsweise besser.“
Stellenanzeigen funktionieren nicht, wo das meiste Personal benötigt wird – bei Berufsträgern und angehenden Steuerberatern
Damit weist Carstens auf ein wichtiges Problem hin: Stellenanzeigen funktionieren genau dort nicht mehr, wo die Beratungsgesellschaften am meisten Personal benötigen – bei Berufsträgern und angehenden Steuerberatern. Eine Wirkung entfalten Stellenanzeigen noch in sehr regionalen Märkten, wo eine geringe Mobilität oder Remote-Arbeitsquote herrscht, wie etwa bei Assistenzen oder Sekretariaten. Bei den fachlichen steuerlich Mitarbeitenden, um die auch der überregionale Wettbewerb in Zeiten umfassender Homeoffice-Möglichkeiten konkurriert, verblasst die Wirkung von Stellenanzeigen: „Der Schwerpunkt der Bewerbungen im Bereich Tax geht nicht über Anzeigen ein“, stellt Annette Maaßen – Leiterin Personal bei der steuerzentrierten Anwaltskanzlei Flick Gocke Schaumburg – fest. Sie sucht bundesweit nach Personal. „Viele unserer Berufseinsteiger waren bereits als Praktikanten, Referendare und wissenschaftliche Mitarbeiter bei uns tätig.“
Die Hamburger Konkurrenz bei der MDP Esche Schümann Commichau sieht ebenfalls in Stellenanzeigen kein Zukunftskonzept mehr: „Von normalen Stellenanzeigen haben wir uns schon lange verabschiedet“, stellt Esche-Partner Tom Kemcke fest. „Anzeigen sind unserer Ansicht nach nicht das nachhaltigste Tool, um erfolgreich Talente zu gewinnen“, sagt Tobias Müller, Partner der Hamburger MDP Möhrle Happ Luther. Stellenanzeigen werden daher in der Branche nicht mehr geschaltet, um Bewerbungen für eine spezifische Vakanz zu generieren, sondern nur noch als eine reine Employerbranding-Maßnahme: „Die Bewerbungseingänge auf Anzeigen bei Stepstone sind nach unserer Wahrnehmung deutlich zurückgegangen“, sagt Marko Müller, Managing Partner der Bonner MDP-Kanzlei dhpg. „Die Anzeigen dienen aber auch dazu, als Arbeitgeber präsent zu sein.“
Einbruch bei Stellenanzeigen auf Jobplattformen sichtbar
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Anzeigenschaltung: Mitte der 2010er-Jahre platzierte jede Big-Four-Gesellschaft auf der Jobplattform Stepstone dauerhaft jeweils mehrere Hundert Stellenanzeigen – alleine nur für Consultants und Manager im Bereich Tax. Auf derselben Plattform hat KPMG mit Stand Anfang November über alle Stabsstellen und Servicelines wie Tax, Audit und Advisory hinweg vom Praktikanten bis zum Partner insgesamt noch 323 Stellenanzeigen online. Bei EY sind es 254 Anzeigen, bei PricewaterhouseCoopers nur noch 90 und bei Deloitte verschwindend geringe 42 Stellenanzeigen. Im Vergleich dazu liegen WTS und BDO bei jeweils 40 Stellenanzeigen, Mazars bei 49. Noch stärker auf Stepstone setzen Baker Tilly mit 79 und Grant Thornton mit 105 Anzeigen. Andere Jobplattformen wie Monster, Heyjobs oder yourfirm sind generell weniger stark in der Steuerbranche vertreten. Die Jobplattform Indeed glänzt mit einer höheren Anzahl von aufgelisteten Stellenanzeigen, weist aber für jeden möglichen Standort einer Position eine separate Stellenanzeige aus.
Eine Studie der Personalberatung Hays belegt den Rückgang bei den Stellenanzeigen: Seit 2015 veröffentlicht die Personalberatung einen Index, der auf einer quartalsweisen Auswertung von Stellenanzeigen der meistfrequentierten Onlinejobbörsen, von Tageszeitungen sowie dem Business-Netzwerk Xing basiert. Den stärksten Rückgang bei den ausgeschriebenen FinancePositionen im 3. Quartal 2023 gab es laut Hays bei den Stellenanzeigen für Tax-Manager (minus 41 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorquartal).
Stellenanzeigen sind heute mehr eine Aufforderung, sich kennen zu lernen, als Ausschreibung einer konkreten Vakanz
Im Zuge der Marginalisierung von Stellenanzeigen im Steuermarkt ändern sich Art und Inhalt der Anzeigen: Früher wurde mit einer Stellenanzeige eine bestimmte Vakanz in einer einzigen Abteilung mit einem spezifischen Aufgabenfeld ausgeschrieben – ergänzt um einen genauen Einsatz- oder Arbeitsort. Die Inhalte einer Stellenanzeige hatten direkte arbeitsrechtliche Relevanz: Positions-, Orts-, Aufgaben- und Anforderungsbeschreibungen fanden sich wieder im tatsächlichen späteren Arbeitsvertrag und sollten die reale Wirklichkeit des Arbeitsalltages spiegeln.
Einer klassischen Stellenanzeige ging es um verbindliche Objektivität und überprüfbare Selektion schon vor dem ersten Vorstellungsgespräch: Wer etwa keinen überdurchschnittlichen Studienabschluss in Wirtschaftswissenschaften vorweisen konnte, kam nicht zum Zug. Wer kein Steuerberaterexamen vorweisen konnte, wurde nicht genommen. Wenn eine Stelle auf einer bestimmten Hierarchieebene für einen bestimmten Fachbereich ausgeschrieben war, dann wurde der Bewerber auch nur genau auf dieser Hierarchieebene und genau in diesem Fachbereich eingestellt. Deshalb hieß früher das persönliche Erstgespräch auch noch „Vorstellungsgespräch“ – weil man sich als Bewerber für eine bestimmte Stelle „vorstellte“.
„Kennenlerngespräch“ ersetzt „Vorstellungsgespräch“: Vergleichbarkeit von Vakanzen wird schwieriger
Heute spricht die Branche nicht mehr von einem „Vorstellungsgespräch“. Man spricht von einem „Kennenlerngespräch“, bei dem sich zwei aneinander interessierte Parteien (Bewerber und Beratung) ganz offen über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit unterhalten. Welche reale Vakanz am Ende durch die Bewerberin oder den Bewerber tatsächlich besetzt wird, wird bilateral im Gespräch vereinbart. Damit geht ein gutes Stück an Objektivität und Transparenz verloren: Karrieremöglichkeiten sind nicht mehr anhand des Vergleichs verschiedener Stellenanzeigen auslot- und gegeneinander abgrenzbar. Führt man verschiedene Kennenlerngespräche parallel mit mehreren Beratungen, braucht man schon ein gutes Gedächtnis und eine solide Gesprächsführung und -protokollierung, um für sich zwischen verschiedenen Anbietern Vergleichbarkeit herzustellen.
Problem der Transparenz können auch Headhunter nicht mehr lösen
Nun müsste die Stunde der Headhunter oder Personalberater schlagen. Diese könnten individuelle Gespräche mit verschiedenen Unternehmen und Beratungen wieder vergleichbar und transparent machen. Jedenfalls ist dies der klassische Job von Headhuntern. Die Branche ist mit den Leistungen von Personalberatern aber nicht mehr zufrieden: „Qualität und Verbindlichkeit haben abgenommen“, beschreibt Carolin Carstens von BRL ihre Erfahrungen mit der Headhunterbranche. „Über Headhunter vorgestellte Kandidaten sagen teilweise sehr kurzfristig Gespräche ab, oder es ist nicht immer transparent, ob und in wie vielen anderen Gesprächen diese Kandidaten noch sind.“ Dr. Julia Schneider, geschäftsführende Gesellschafterin der Koblenzer MDP HLB Dr. Dienst & Partner geht mit der Personalberaterbranche noch härter ins Gericht: „Die Zugänge über Headhunter sind massiv weniger geworden. Der Headhunter-Ansatz erscheint zunehmend dysfunktional.“ Eigene persönliche und direkte Ansprachen eigenen Netzwerk würden dagegen noch funktionieren.
Beratungen haben die Anzahl ihrer externen Headhunter drastisch reduziert – und die verbliebenen enger an sich gebunden
Waren bei den Big-Four- und den Next-Six-Gesellschaften für den Bereich Steuern nach Einschätzung von Marktteilnehmern bis 2020 im Schnitt jeweils um die 60 verschiedene Headhunter und Personalberatungen als Dienstleister registriert, gibt es heute kaum noch eine Gesellschaft, die noch mehr als 10 bis 20 verschiedene Headhunter unter Vertrag hat. Eine Beratung welche die Anzahl ihrer Headhunter radikal gestutzt hat, ist BDO: „Wir arbeiten mit wenigen Personaldienstleistern zusammen und zwar nur mit solchen, die nicht nur unsere hauseigenen AGB und Compliance-Regeln akzeptiert haben, sondern unseren digitalen Workflow respektieren“, so ein Sprecher der NextSix-Gesellschaft. „Profile oder Angebote, die von anderen Dienstleistern ohne Auftrag bei uns eingehen, werden explizit nicht akzeptiert.“
Solche Headhunter werden intensiv an die jeweilige Beratung angebunden und geschult – und gezielt ausgewählt wie Möhrle-Partner Tobias Müller berichtet: „Wir haben eine Roadshow bei unseren Personaldienstleistern gemacht und gefragt, was wir tun müssen, um Barrieren in Bewerbungsabläufen aus dem Weg zu räumen.“ Herausgekommen sei ein präzise abgestimmter Recruiting-Prozess zwischen Personalberatern und Möhrle Happ Luther mit schnellen Erstgesprächen für Kandidaten via Teams. Headhunter funktionieren daher heute eher als verlängerte Werkbank der eigenen Personalabteilung. Damit ergänzen diese Headhunter nun die Active-Sourcing-Aktivitäten in den HR-Abteilungen der Beratungen. Vor einigen Jahren war dies noch genau umgekehrt.
Recruiter und Active-Sourcing-Teams arbeiten wie Headhunter – nur direkt aus den Beratungen heraus
Active-Sourcing-Teams schreiben wie Headhunter potenzielle Kandidaten direkt über soziale Medien mit einem Stellenangebot an – und treten dabei ganz offiziell als Unternehmensvertreter auf. Das schafft Vertrauen: „In Hamburg haben wir ein großes ActiveSourcing-Team. Man kann mit Active Sourcing eine ganze Menge erreichen“, sagt BDO-Partnerin Annette Pogodda-Grünwald, welche in der Next-Six Gesellschaft das steuerliche Recruiting fachlich betreut. „Unser Team verschickt bewusst nicht massenhaft Inmails via LinkedIn. Es geht uns darum, uns langfristig mit möglichen Kandidatinnen und Kandidaten zu vernetzen.“
Den gleichen Ansatz verfolgt Wettbewerberin Mazars mit ihrem Team, das mögliche Kandidaten ebenfalls direkt über soziale Netzwerke kontaktiert: „15 Prozent unserer Einstellungen erfolgen über die Direktansprache durch unsere eigenen Recruiter“, sagt Lorenz Rogall, Head of Talent Acquisition bei Mazars. Aber: „Direktansprache ist nicht gleich Direktansprache“, betont Rogall. Wenn man nur willkürlich allgemeine Nachrichten über LinkedIn versende, dann müsse man sich über eine mangelnde Antwortrate nicht wundern. „Ein Recruiter muss sich gerade im Steuerbereich ein eigenes Netzwerk aufbauen“, ist er überzeugt. „Unsere Recruiter arbeiten wie interne Headhunter“, so Rogall.
Antwortrate ist nicht gleich Einstellung: erfahrene Steuerberater lassen sich auch durch Active Sourcing nicht besser gewinnen
Die Antwortraten von Active-Sourcing- und Recruiting-Abteilungen sind allerdings generell hoch – denn man wird als Kandidat schließlich direkt von einem Unternehmen oder einer Beratung angeschrieben und nicht von einem mehr oder minder unbekannten Headhunter. Eine Antwort gebietet die Höflichkeit. Man weiß nie, wann man einen solchen Kontakt noch einmal braucht. Wie viele Einstellungen im Tax in den jeweiligen Hierarchiestufen über Direktansprache der Active-Sourcing- oder Recruiting-Teams genau erfolgen, dabei wollen sich die Beratungen nicht in die Karten schauen lassen. Eine Tendenz ist dennoch erkennbar: Active Sourcing ist am erfolgreichsten bei Berufseinsteigern und Studierenden mit einem Social-Media-Profil in LinkedIn oder Xing.
Im Bereich der Experienced Hires, also dem Anwerben von berufserfahrenen Steuerberaterinnen und -beratern, macht das Active Sourcing deutlich seltener einen Stich. Der Unternehmensname allein als Absender lockt diese Zielgruppe nicht hervor. Denn Berufserfahrene kennen sich bereits im Steuermarkt aus und kennen damit schon die relevanten Beratungen – und haben im Zweifel schon entsprechende Kontakte im eigenen Netzwerk zu diesen Beratungen. Berufserfahrene brauchen daher keinen Active Sourcer mehr als Türöffner.
Persönliche Netzwerke der Mitarbeiter als neuer Trumpf
Um den Personalbedarf daher tatsächlich abdecken zu können, reichen die Bemühungen von Recruitern, Active Sourcern und Headhuntern auch zusammengenommen nicht aus. Dafür müssen die Beratungen neue Karten ziehen und auf einen Trumpf hoffen, der sticht: die eigenen Mitarbeitenden sollen mit ihrem persönlichen Netzwerk neue Mitarbeitende gewinnen. Mitarbeitende als Personalgewinner Wer bei der Hamburger MDP-Kanzlei Esche Schümann Commichau etwa einen Steuerexperten aus seinem Bekanntenkreis als Mitarbeiter gewinnt, der darf sich über einen Bonus von 5.000 Euro freuen. Bewirbt sich dieser Steuerexperte aus dem Mitarbeiterbekanntenkreis initiativ und direkt, anstatt über einen Headhunter oder Personalvermittler zu gehen, bekommt auch der Bewerbende einen Bonus von 5.000 Euro, erläutern die Esche-Partner Dr. Philipp Engelhoven und Tom Kemcke. Für Nichtberufsträger im Assistenzbereich gilt die gleiche Regelung mit jeweils 3.000 Euro.
Incentivierung aber bisher keine Corporate Influencer Verträge
Erhebliche Beträge – aber nicht viel im Vergleich zu Headhunter-Honoraren: „Die Fee eines Personalberaters liegt zwischen 25 und 30 Prozent des jeweiligen Jahresbruttogehaltes“, rechnet Carolin Carstens von BRL vor. Über Incentivierung der Werbebemühungen der eigenen Mitarbeitenden ist die Branche nicht hinaus. Inhaltliche Konzepte, wie das Recruiting über Mitarbeiternetzwerke funktionieren soll, gibt es noch nicht. Corporate-Influencer-Verträge mit Mitarbeitenden, die sich über Netzwerke wie LinkedIn an der Gewinnung von neuen Kräften beteiligen, bietet noch keine der Gesellschaften an.
Diesen und weitere Artikel zum Thema Recruiting finden Sie auch in der aktuellen JUVE-Sonderausgabe Karriere Steuern 2024.