Konzernfinanzierung

Wachstumschancengesetz: „Wir rechnen mit mehr Verständigungsverfahren“

Im Wachstumschancengesetz hat der Gesetzgeber sich auch mit Verrechnungspreisen, speziell mit konzerninternen Finanzierungen beschäftigt. Die Neuregelungen bringen einige Probleme mit sich, meint der Münchner EY-Partner Christian Scholz. Er kritisiert im Gespräch mit JUVE Steuermarkt vor allem, dass Deutschland die OECD-Leitlinien in Bezug auf Finanzierungen sehr streng ausgelegt hat. Dabei hätte es sogar noch schlimmer kommen können.

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JUVE Steuermarkt: Die Zinshöhenschranke hat für Unmut bei den Beratern gesorgt. Nun hat sich der Gesetzgeber im Wachstumschancengesetz wieder von dieser verabschiedet. Das ist doch erst einmal eine gute Nachricht, Herr Scholz.
Christian Scholz: Das Wachstumschancengesetz ist, so wie es derzeit aussieht, das kleinere Übel, das stimmt. Die Zinshöhenschranke bezog sich erstens auf den gesamten Zinsabzug und nicht nur auf Intercompany-Finanzierungen. Zweitens gab es überhaupt keine Escape-Möglichkeit. Die Zinshöhenschranke hatte wenig mit der Bankenpraxis zu tun, weil die Schranke auf den sehr ungewöhnlichen Referenzzins abstellt. So kam man immer zu einem nicht fremdüblichen Ergebnis. Außerdem gab es keine Möglichkeit, über internationale Verständigungsverfahren eine Entlastung in dem jeweils anderen Staat zu bekommen. Das ist mit dem Wachstumschancengesetz nun günstiger.

EY-Partner und Verrechnungspreisexperte Christian Scholz

Was wäre denn das größere Übel gewesen?
Das größere Übel wäre die Zinshöhenschranke. Die Regeln aus §§ 1 Absatz 3d und 3e AStG (kurz für: Außensteuergesetz; Anm. d. Red.) sind zwar dennoch eine Verschlechterung, aber es hätte noch schlimmer kommen können.

Der Gesetzgeber hatte die Absicht, den Fremdvergleich zu konkretisieren. Ist das nicht auch grundsätzlich positiv für Unternehmen und Berater?
Grundsätzlich ja. Aber eine Einschränkung sehe ich da schon. Einige Teile des § 1 Absatz 3d AStG gab es ja bereits in dieser Form in den Verwaltungsgrundsätzen. Diese sind jetzt in den Gesetzesrang gehoben und stehen klar in Zusammenhang mit den Maßnahmen der OECD. Das ist international unumstritten. Anders sieht das mit § 1 Absatz 3d Nr. 2 AStG in der finalen Version des Wachstumschancengesetzes aus.

Was hat es damit auf sich?
Auch da sagt der Gesetzgeber, er konkretisiere den Fremdvergleich. Der Absatz sieht vor, dass der Zins für konzerninterne Finanzierungen immer auf das Rating der Unternehmensgruppe zurückgehen soll. Damit geht der Gesetzgeber weiter als die OECD und auch als der BFH bislang in seiner Rechtsprechung. Das ist eine Diskussion, die Verrechnungspreis-Experten schon lange unter dem Schlagwort Konzernrückhalt führen. Das Wachstumschancengesetz interpretiert das nun sehr radikal: Der Konzernrückhalt drückt sich so aus, dass ein Einzelrating einer Konzerngesellschaft immer auf das Konzernrating hochgehievt wird.

Bitte erläutern Sie die Diskussion um den Konzernrückhalt etwas genauer.
Das Problem beim Fremdvergleich ist, dass wir uns immer im hypothetischen Bereich bewegen. Niemand weiß, was fremde Dritte genau machen würden. Der internationale Standard des Fremdvergleichsprinzips bei Intercompany-Darlehen folgt seit vielen Jahren der Prämisse: Man schaut sich an, was ein Darlehensnehmer an fremde Dritte zahlen müsste. Eine Methode, die man häufig verwendet hat, war, die Bonität des Darlehensnehmers zu ermitteln. Entweder konnte man das aus Bankzinsen herleiten. Oder aber man hat Rating-Tools der Rating-Agenturen verwendet. Im Ergebnis erhielt man ein Rating, und passend zu diesem Rating hat man dann auf dem Anleihenmarkt geschaut, was für eine Rendite Anleihen mit diesem Rating abwerfen. Das war dann der Zinssatz. So war die Vorgehensweise.

„Nun schreibt der Gesetzgeber das Konzern-Rating vor“

Und wie kommt jetzt der Konzernrückhalt ins Spiel?
Es gibt seit vielen Jahren die Diskussion, welche Rolle der Konzernrückhalt beim Zinssatz spielt. Erhält die Tochtergesellschaft eines großen deutschen Konzerns automatisch bessere Zinsen von einer Bank und auch ein besseres Rating, weil sie Teil des Konzerns ist? Die Hinweise darauf sind ziemlich dünn. Trotzdem kriegen sie das aus der Verrechnungspreis-Diskussion nicht raus. Auch Gerichte haben sich mit dem Konzernrückhalt befasst. Es gibt ausländische Gerichtsprozesse, bei denen Banker als Experten dazu gesprochen haben. In drei, vier Fällen haben die Banker ganz klar gesagt: „Konzernrückhalt, das berücksichtigen wir nicht beim Pricing. Es sei denn, es gibt eine harte Patronatserklärung der Muttergesellschaft.“ Die ist dann aber verrechenbar, auch in Deutschland wäre das möglich.

Demnach spielt der Konzernrückhalt bei der Höhe des Zinssatzes keine Rolle?
Genau. Eine Tochtergesellschaft erhält keine günstigeren Bedingungen von einer Bank, nur weil sie Teil eines Konzerns ist. Die Bank geht das Risiko trotzdem ein und hat keine Gewähr, dass die Muttergesellschaft sie stützt, wenn es der Tochtergesellschaft schlecht geht. In der Umsetzung war es dennoch Usus, ein Standalone-Rating der Tochtergesellschaft zu erstellen und es leicht anzuheben, um den Konzernrückhalt abzubilden. Allerdings ist man nur sehr selten so weit gegangen, auf das Konzern-Rating abzustellen, sondern hat sich in der Regel in der Mitte zwischen dem Einzel-Rating und dem Konzern-Rating bewegt.

Das wird mit dem Wachstumschancengesetz nicht mehr möglich sein?
Genau. Nun schreibt der Gesetzgeber das Konzern-Rating vor. Diesen Fall hat die OECD nur als Spezialfall gesehen. Und der BFH hat in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass man auf Grundlage empirischer Evidenz prüfen müsse. Was gibt es denn für Hinweise, dass ein fremder Dritter den Konzernrückhalt berücksichtigen würde? Die Hinweise sind, wie gesagt, eher dünn. Deshalb ist der Standard, in Zukunft das Konzern-Rating hinzuziehen zu müssen die wesentliche Änderung des Gesetzes. Das betrifft in erster Linie Inbound-Finanzierungen. Deutsche Darlehensnehmer müssen jetzt immer das Rating des Konzerns unterstellen.

Sie wollen darauf hinaus, dass Deutschland den möglichst strengsten Fall der OECD angewandt hat.
Mehr noch, der Gesetzgeber hat sich einen Spezialfall herausgepickt und diesen als Regel gesetzt. Das geht auch gegen die internationale Praxis. Es ist möglich, dass andere Länder, diese Vorgehensweise nicht akzeptieren. Deshalb rechnen wir mit einer steigenden Anzahl an Verständigungsverfahren. Es gibt immer Fälle, die nicht ins Verständigungsverfahren gehen, weil sie zu klein sind. Sowas wird es dann mit Sicherheit auch geben, aber es ist davon auszugehen, dass die ohnehin hohe Anzahl der Verständigungsverfahren weiter steigen wird.

Wieso hat es die konzerninterne Finanzierung überhaupt ins Wachstumschancengesetz geschafft?
Das Gesetz in seiner finalen Version erschwert den Zinsabzug in Deutschland. Wahrscheinlich ist das eine Gegenfinanzierungsmaßnahme. Hinzu kommt, dass es eine Vorgeschichte zur Intercompany-Finanzierung gibt. Der ATAD-Gesetzentwurf und die diskutierte Zinshöhenschranke weisen in dieselbe Richtung. Intercompany-Finanzierung fällt, so die Auffassung der Finanzverwaltung, unter die BEPS-Maßnahmen (kurz für: Base Erosion and Profit Shifting; Anm. d. Red.). Das findet sich auch in Fachzeitschriften und wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen. Deshalb gibt es das Fremdvergleichsprinzip und die Zinsschranke, um Missbrauch zu vermeiden. Der Gesetzgeber hat das nun verschärft – allerdings über das hinaus, was international üblich ist.

Was bedeutet das für die Unternehmen?
Man muss In- und Outboundfälle unterscheiden. Was Inbound angeht: Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne in Deutschland müssen jetzt ihre Zinsen überprüfen. Im Grunde genommen muss man alle bestehenden Intercompany-Finanzierungen nun prüfen, ob der Zinssatz noch passt.

Wie weit geht das zurück?
Das gilt grundsätzlich ab dem Erhebungs- oder Veranlagungszeitraum 2024. Wenn man ein abweichendes Wirtschaftsjahr hat, sind auch Wirtschaftsjahre betroffen, die im Jahr 2023 begonnen haben, aber nicht weiter zurück. Allerdings sind nicht nur neue, sondern alle Darlehen betroffen. Wenn ich ein Darlehen von 2017 mit einem Zinssatz nach alter Regel habe, dannkann es passieren, dass ich diesen Zinssatz ändern muss. Das heißt, ich muss auch Altdarlehen überprüfen. Dabei muss keine Korrektur für die vergangenen Jahre erfolgen, aber ich muss ab 2024 die Zinsen ändern.

Wie sieht es mit deutschen Gesellschaften aus?
Man könnte den Eindruck bekommen, dass kein Handlungsbedarf besteht. Denn Voraussetzung ist der Zinsabzug in Deutschland. Der entfällt, wenn der deutsche Mutterkonzern Darlehen nach außen vergibt. Da ist dann eher die Frage, wie der Konzern, der sowohl Darlehen vergibt als auch aufnimmt, mit der Regel umgehen soll. Soll er jetzt zwei unterschiedliche Fremdvergleichsprinzipien anwenden? Eigentlich ist es nicht vorstellbar, mit zwei unterschiedlichen Fremdvergleichsprinzipien zu arbeiten. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber, nach seiner Auffassung, mit dem neu gefassten § 1 Absatz 3d AStG klarstellt, was bei Inbound-Darlehen fremdüblich ist. Das müsste eigentlich auch im Outbound-Fall gelten. Wenn das käme, dann würden Outbound-Darlehen für ausländische Gesellschaften günstiger werden. Mit dem Ergebnis, dass deutsche Konzerne weniger Zinsen erhalten, wenn sie Darlehen vergeben. Das ist aber eine reine Interpretation, weil der Gesetzestext ausschließlich auf Inbound abzielt.

„Der Aufwand wird größer“

Worauf müssen sich die Berater einstellen?
Die Steuerpflichtigen müssen überprüfen, ob die Zinsen noch passen. Von daher kommt auf die Berater, die in die Zinssatzprüfung eingebunden sind, Arbeit zu. In manchen Fällen wird es auch einfacher. Bisher mussten die Berater jede Konzerngesellschaft einzeln prüfen und ein Standalone-Rating machen. Mit § 1 Absatz 3 Nr. 2 AStG muss man eigentlich nur noch ein Rating für den gesamten Konzern ermitteln und dann flächendeckend anwenden.

Wieso eigentlich?
Es gibt einen Haken. § 1 Absatz 3 Nr. 2 AStG ist eine ,Soweit‘-Regelung. Streng genommen muss man prüfen, ob nicht das Standalone-Rating sogar besser ist als das Konzern-Rating. Dann gilt das günstigere Rating. Das wird in der Praxis wahrscheinlich nicht oft vorkommen, aber prüfen muss man es. Der Arbeitsaufwand bleibt also.

Wie lautet Ihr Fazit – mehr oder weniger Aufwand für alle Beteiligten?
Wahrscheinlich wird es auf mehr Aufwand hinauslaufen. Das hängt aber auch davon ab, wie die Betriebsprüfung damit umgeht. Wenn sie regelmäßig den Nachweis verlangt, dass das Einzel-Rating schlechter als das Konzern-Rating ist, bedeutet es denselben Aufwand wie jetzt. Wenn die Betriebsprüfung davon absieht oder den Nachweis nur aufgrund eines konkreten Verdachtsmoments einfordert, dann wird es weniger Arbeit, weil nur noch ein Rating nötig ist. Allerdings sind Darlehen zeitpunktbezogen und Zinsen, wir sehen es derzeit, sehr volatil. Die Umstände ändern sich. Selbst wenn ich ein Rating habe, muss ich trotzdem immer zum Ausgabezeitpunkt prüfen. Wie hoch ist der aktuelle Zins für das Rating? Hinzu kommt, dass es von der Laufzeit und der Währung abhängig ist. Deshalb hält sich die Zeitersparnis in Grenzen. Es ist nicht so, dass ich da ganze Abteilungen einsparen kann.

Wie würden Sie das Wachstumschancengesetz insgesamt bewerten?
Das größte Problem ist, dass der Gesetzestext vom internationalen Standard abweicht und deswegen die Anzahl der Verständigungsverfahren steigen wird. Bei den Konzernen herrscht dann eine enorme Unsicherheit, obwohl das Gesetz ja Wachstum ermöglichen und nicht bremsen soll – Stichwort: Regulatorik. Wenn zum Beispiel ein Darlehen von Frankreich nach Deutschland reinkommt, haben die Franzosen ihre Regeln und die Deutschen haben eine andere Regel. Und im Grunde genommen kann ich den Konflikt dann nicht lösen. Denn wenn beide Betriebsprüfungen ganz normal arbeiten, wird es – wenn man sich das mal durch den Kopf gehen lässt – automatisch zu einem Doppelbesteuerungskonflikt kommen. Und das ist, denke ich, der größte Nachteil.

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